AG-Blog | ChatGPT – Wie KI-basierte Chatbots die Bildung revolutionieren

Revolution in den Schulen und Universitäten? Die AG Bildung diskutierte über die Möglichkeiten von ChatGPT in der Bildung und tauschte sich über erfolgreiche Implementierungen, aber auch über mit der Anwendung einhergehenden Herausforderungen aus.

Berlin/virtuell. Die in den letzten Monaten zu beobachtende Dynamik rund um ChatGPT macht sich auch in der Bildung bemerkbar. Diese KI-basierten Technologien haben das Potenzial, zu revolutionieren, wie gelehrt und gelernt wird. Das könne auf den ersten Blick bedrohlich wirken, so Cornelia Schneider-Pungs und Timm Lutter, Co-Leitung der AG-Bildung, in ihrer Begrüßung. Die AG-Mitglieder trafen sich, um die Technologie einzuordnen und gemeinsam zu überlegen, was nötig wäre, um sie bestmöglich zu nutzen, sodass alle profitieren können.

Zeitenwende im Bildungssektor? Chancen und Risiken von ChatGPT aus wissenschaftlicher Sicht

Zwei Personen in Videokonferenz-Fenstern übereinander
Cornelia Schneider-Pungs und Timm Lutter, Co-Leitung der AG-Bildung

Prof. Dr. Doris Weßels, Forschungssprecherin Digitalisierung der Fachhochschule Kiel und Co-Leiterin des Virtuellen Kompetenzzentrums „Schreiben lehren und lernen mit KI“, gelang die thematische Einführung. ChatGPT sei seit dem 30. November 2022 online und habe bereits nach zwei Monaten hunderte Millionen Nutzer*innen aufweisen können. Es sei eine sehr niederschwellige und kostenlose Software. Weßels selbst beschäftigt sich jedoch bereits seit 2018 in ihrer Forschung mit generativen Sprachmodellen: „Sie sind ein künstliches neuronales Netz, abgebildet in einer Software – parallel zum Zusammenspiel unserer Neuronen und Synapsen im Gehirn.“

ChatGPT sei darauf trainiert worden, sich sprachlich richtig auszudrücken. Dabei sei die Software so überzeugend, dass ihre Antworten teilweise bedingungslos für richtig gehalten werden. Tatsächlich habe ChatGPT aber keinen Wahrheitsanspruch:

Es ist die hohe Kunst des Systems, Beziehungen und statistische Plausibilitäten auf kleinstteilige Weise abzubilden, sodass ein kohärenter und ein meist sinnvoll erscheinender Text entsteht.
Prof. Dr. Doris Weßels, FH Kiel & Virtuelles Kompetenzzentrum „Schreiben lehren und lernen mit KI“

Alle Texte von ChatGPT seien generiert worden, weswegen die Ergebnisse keine Plagiate seien, sondern „Unikate, die sich wie digitale Kunst oder Wortkunst interpretieren lassen“.

Doris Weßels in einem Videokonferenzfenster
Prof. Dr. Doris Weßels

Weßels wagte auch einen Blick in die Zukunft. In ihren Augen sei es keineswegs sinnvoll, ChatGPT und ähnliche generativen Sprachmodelle zu verbieten. Zudem erwarte sie mit ChatGPT-4 eine erneute Leistungssteigerung der Software. So werde sich immer mehr Text mit einem Knopfdruck generieren lassen und die Ergebnisse letztlich faktengetreuer. Plugins würden die Einsatzmöglichkeiten immer einfacher und breiter machen. Eine Einbindung in die Suchmaschine Bing stehe beispielsweise kurz bevor. Im Bildungssektor lasse sich damit eine Zeitenwende vorhersagen, die Chancen aber auch Risiken mit sich bringe.

Einige der Risiken wären zum Beispiel:

  • der Verlust von Schreibkompetenz bei den Lernenden
  • eine höhere Abhängigkeit von Software und den dahinterstehenden Anbietern
  • eine Inflation von Text, vor allem wissenschaftlichen Texten
  • Festigung des Bias der Durchschnittsmeinung sowie einer Durchschnittssprache (weil neue Trainingsdaten des Systems in Zukunft bereits von ChatGPT erstellte Inhalte sein werden).

Einige der Chancen wären hingegen:

  • die Effizienzsteigerung und der daraus resultierende Zeitgewinn
  • die Kreativität per Knopfdruck: Ein erster Textentwurf von ChatGPT kann als Inspiration dienen
  • mehr Chancengleichheit in der Bildung, wenn der gleiche Zugang für alle ermöglicht werde.

Von nach Leistungsniveaus differenzierten Übungen bis zum Lehrobjekt für Medienkompetenz: ChatGPT in der schulischen Praxis

Jan Vedder in einem Videokonferenzfenster
Jan Vedder

Die Schule, an der Jan Vedder, Lehrer an einer Oberschule und Pädagogischer Seminarleiter am Studienseminar in der Region Hannover sowie Mitgründer der Plattform STUDYPOINT teacher, unterrichtet, ist grundsätzlich offen für innovative Konzepte. Sie setzt beispielsweise den „Freiday“ um, einen Schultag, an dem es keine Bewertungen gibt. Dennoch sehe er, dass viele seiner Kolleg*innen aktuell noch sehr ablehnend auf ChatGPT und andere KI-basierte Technologien reagieren würden – so berichtete es Vedder der AG bei seinem Einblick in die schulische Praxis mit ChatGPT. Er persönlich halte es aber für mehr als notwendig, in der Bildung umzudenken und Änderungen herbeizuführen. Vor allem die Digital Literacy werde zu einer digitalen Schlüsselkompetenz, die es auch an Schulen zu vermitteln gelte:

Wir sind in der Informationsgesellschaft angekommen und müssen lernen, in ihr zu lehren.
Jan Vedder, Lehrer & Mitgründer STUDYPOINT teacher

Deswegen habe er seine kostenlose Plattform „STUDYPOINT teacher“ für Lehrkräfte gegründet. Hier gebe es ein Angebot an online Fortbildungsmöglichkeiten für diejenigen ohne großes Vorwissen, um ihnen einen Einstieg in digitale Lehrmethoden und die Vermittlung digitaler Kompetenzen zu ermöglichen. Dabei sei es wichtig, den Lehrkräften die Vorteile zu vermitteln, zum Beispiel die enorme Arbeitserleichterung. Mögliche Anwendungsbereiche von ChatGPT in der Schule, über die er auch auf seiner Plattform berichtet, seien zum Beispiel das Erstellen von Rechtschreibübungen und Lückentexten oder das Erstellen differenzierter Texte je nach Leistungsniveaus. Vedders Kernbotschaft an andere Lehrkräfte: „Seid neugierig! Für eine zukunftsfähige Bildung braucht es neben der inhaltlichen Arbeit auch die Haltungsarbeit.“

Folie aus einer Powerpointpräsentation. Überschrift: KI für die Schule. Auf der Folie sind verschiedene Softwares genannt: ChatGPT, Dall-E, PeerAI Tutor, DeepL, Perplexity AI, Fobizz KI-Assistenz, Murf AI, Photomath
Jan Vedder brachte viele Beispiele für KI, die sich im Unterricht einsetzen ließe.

Alicia Bankhofer, eLearning-Koordinatorin sowie Englisch- und IKT-Lehrerin in einer Sekundarstufe in Wien, unterrichtet eine sechste Klasse. Sie gab der AG weitere Einblicke darin, wie der Einsatz von ChatGPT und anderen KI-basierten Technologien konkret in einer Schule aussehen kann. An ihrer Schule gebe es beispielsweise das Fach „Digitale Grundbildung“ – und obwohl KI eigentlich noch nicht auf dem Lehrplan stehe, habe sie das Thema aufgrund der Aktualität vorgezogen: „Ich beobachte immer häufiger, dass meine Schüler*innen vieles direkt aus Internetquellen kopieren. Daher habe ich ChatGPT zum Anlass genommen, zu erklären, was eine Quelle, ein Plagiat und was Urheberrecht ist.“ Die Schüler*innen durften dann ein Tool ihrer Wahl – also zum Beispiel DeepL oder ChatGPT – eine Stunde lang kennenlernen und ausprobieren. Dabei sei es ihr besonders wichtig gewesen, dass die Schüler*innen lernen, dass diese Tools nicht immer fehlerfrei seien. Gerne dürfen sie diese jedoch als Hilfsmittel verwenden. In Zukunft müssten sie aber bei einer Recherche immer drei unterschiedliche Quellen angeben und diese mit einem Datum versehen.

Alicia Bankhofer in einem Videokonferenzfenster
Alicia Bankhofer

Auch für ihr Unterrichtsfach Englisch hatte Bankhofer konkrete Übungen parat: Die Schüler*innen sollen den Anfang einer Geschichte schreiben und diese dann von der KI vervollständigen lassen. Dabei sollen sie die Ergebnisse dokumentieren, bewerten und überarbeiten. So diene die KI als Hilfe und Unterstützung. Eins sage sie aber auch ihren Schüler*innen immer wieder, so Bankhofer: „Wir starten mit unserem Gehirn und enden auch mit unserem Gehirn.“

Souveränes Entscheiden und kritische Digitalkompetenzen: ChatGPT in der Hochschule

Von der universitären Praxis mit KI-basierten Technologien berichtete Prof. Dr. Robert Lepenies, Hochschulpräsident der Karlshochschule in Karlsruhe, der AG. Laut eigener Aussage teilt er vor allem die Perspektive einer kleinen, gemeinnützigen und privaten Bildungseinrichtung, welche optimistisch auf die Zukunft blicke.

Da die juristischen Regelungen bezüglich ChatGPT und anderen KI-basierten Technologien in Prüfungsformaten noch unklar seien, bleibe momentan ausschließlich die Möglichkeit, auf Vertrauen gegenüber den Studierenden zu setzten. Dies finde er jedoch großartig und sehe es als Chance:

Es gibt jetzt eben den neuen Kommilitonen ChatGPT. Er ist sehr selbstsicher, erzählt jedoch auch eine Menge Quatsch
Prof. Dr. Robert Lepenies, Karlshochschule
Robert Lepenies in einem Videokonferenzfenster
Prof. Dr. Robert Lepenies

Deswegen seien kritische Digitalkompetenzen jetzt nötiger denn je. Neue Technologien brächten immer ambivalente Implikationen mit sich. Man müsse es schaffen, sich nicht einfach mitreißen zu lassen, sondern die Technologien auch zu gestalten. Dazu benötige es jedoch Zeit, um Diskussionen und Gegenentwürfe zuzulassen: „Die Bildungsinstitutionen brauchen ein bewusstes Abkoppeln und ein souveränes Entscheiden bezüglich der Verwendung von ChatGPT.“ Denn die aktuelle KI-Dynamik treffe auf ein Bildungssystem, welches zuletzt stark vernachlässigt wurde und dementsprechend der neuen Dynamik nicht gewappnet sei.

Revolution der Prüfungskultur? Zukunftsperspektiven für Prüfungsformen in der Universität

Hendrik Haverkamp in einem Videokonferenzfenster
Hendrik Haverkamp

ChatGPT und andere KI-basierte Technologien haben auch auf unsere bisherige Prüfungskultur einen großen Einfluss. Hendrik Haverkamp, Vorsitzender des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur und Koordinator Digitalität am Evangelisch Stiftisches Gymnasium, formulierte es bei seinem Impuls drastischer: „Die Technologien setzen unsere bisherige Prüfungskultur unter Druck.“ Er kritisierte die aktuelle Prüfungskultur als stark veraltet. Noch immer liege der Fokus bei Prüfungen darauf, auswendig Gelerntes abzufragen. Außerdem seien Prüfungen meist analoge Einzelleistungen, die ohne Hilfsmittel abgelegt werden müssten. Kompetenzen, die die Studierenden im 21. Jahrhundert benötigen werden, würden dabei kaum berücksichtigt. Der enorme Bedeutungszuwachs dieser Kompetenzen spiegele sich nicht im Lehrplan, geschweige denn in Prüfungsformaten. Zum Beispiel würden Kollaboration und Austausch untereinander weiterhin als Täuschungsversuch in Prüfungssituationen gewertet, so Haverkamp.

Hinzu komme, dass ChatGPT und andere KI basierte Technologien mittlerweile viele Prüfungsformate bestehen können, wenn die Studierenden es darauf anlegen würden. Das habe vor allem an den Universitäten zu einem großen Aufschrei geführt; teils werden nun Verbote gefordert. Die Gegenbewegung dazu bestehe darin, eine „Kultur der Digitalisierung“ zu erlauben: 

Wir brauchen eine neue Prüfungskultur. Dabei müssen wir uns davon verabschieden, dass Leistungen als Einzelleistungen erbracht werden müssen. Diese neue Prüfungskultur beinhaltet das Zulassen von neuen Hilfsmitteln, die Autor*innenschaft von Mensch und Maschine und den Bedeutungsverlust von Reproduktion.
Hendrik Haverkamp, Institut für zeitgemäße Prüfungskultur

Dafür würden Transferleistungen relevanter werden und das personalisierte Lernen nach individuellem Lernniveau ermöglicht.

Neugier, Lernmotivation und kritisches Denken

Die zahlreichen Teilnehmenden der AG-Sitzung diskutierten im Anschluss angeregt und voller Tatendrang und Enthusiasmus über eine mögliche Zukunft mit dem gewinnbringenden, lernfördernden Einsatz von KI-basierten Technologien im Bildungssystem. Viele spannende Fragen stehen noch offen, zum Beispiel, welchen Einfluss der Einsatz auf die Lernmotivation haben könnte. Neue Aufgabenformate, die Neugier am Stoff, aber auch am Lernen an sich wecken können, sind eine Chance, die es zu erforschen gilt. Deutlich wurde aber auch, dass Kompetenzen wie kritisches Denken in Bezug auf moderne Technologien dringend in die Lehrpläne müssten.

15 Personen in Videokonferenzfenstern auf einem Bildschrim. Zwei haben die virtuelle Hand gehoben.
Die AG-Mitglieder diskutierten mit Enthusiasmus mit den Speaker*innen.

Ansprechpartnerin in der Geschäftsstelle

Porträt von Stefanie Kaste

Stefanie Kaste, Stellv. Geschäftsführerin