Big-Data Studie zu E-Government – Interview mit Initiative D21 und Neuro Flash
Die Initiative D21 und Neuro Flash führten erstmals eine Big-Data-Studie zu eGovernment durch. Welche Erkentnisse liefern die neuen Studienergebnisse?
Zuerst veröffentlicht im Behörden Spiegel, Juli 2018
Die Initiative D21 beleuchtet mit dem eGovernment MONITOR jährlich die aktuelle Lage der digitalen Verwaltung in Deutschland. Wodurch unterscheidet sich diese Untersuchung von der nun erstmals durchgeführten Big-Data-Studie zu E-Government?
Patricia Scheiber: Der eGovernment MONITOR liefert jährlich ein umfassendes Lagebild zur Nutzung und Akzeptanz digitaler Verwaltungsangebote. Dafür befragen wir die Online-Bevölkerung nach ihrem Wissen und ihrer Einstellung zu E-Government. Damit können wir allerdings nicht erfassen, wie die Menschen sich unbewusst verhalten oder dazu äußern. Anstelle von konkreten Fragen zu Verwaltungsdiensten hatte die erstmals durchgeführte Big-Data-Studie daher das Ziel, das Unterbewusste zu erfassen. Statt einzelne Personen zu befragen, analysierte sie große Mengen von Medieninhalten im Internet. Die Big-Data-Studie stellt damit eine Ergänzung zum eGovernment MONITOR dar und bietet eine neue Dimension an Erkenntnissen, die bei der Bewertung von E-Government in Deutschland hinzugezogen werden kann. Die Leitfrage war: Was können wir aus diesen Ergebnissen lernen, um digitale Verwaltungsangebote attraktiver zu machen?
Wie lassen sich unterbewusste Assoziationen überhaupt messen?
Jonathan Mall: Die Big-Data-Studie untersuchte großflächig Medieninhalte, die nach Erkenntnissen aktueller Marktforschung für eine*n durchschnittliche*n Bürger*in relevant sind. Das sind Zeitungen, Onlineartikel und soziale Medien, die die Wahrnehmung von Bürger*innen prägen. Sie beeinflussen, wie wir beispielsweise Produkte, Personen oder Begriffe wahrnehmen, bzw. was wir mit diesen verbinden. Die umfassende Auswertung dieser Medieninhalte zeigt, welche unterbewussten Assoziationen Konsumenten zu Marken, Begriffen oder Konzepten haben. Denn was Menschen über Themen denken, wird zwischen den Zeilen ausgedrückt. Um unterbewusste Assoziationen zu messen, analysieren wir, wie wahrscheinlich Wörter in Medieninhalten in bestimmten Zusammenhängen vorkommen. Außerdem gewichten wir die Wörter, die im Zusammenhang zu einem anderen stehen: Je häufiger das der Fall ist, desto größer ist ihre Assoziationsstärke. Beispielsweise prägt der Titel „Ausfälle bei der Einführung von E-Government“ eine Assoziation von Unsicherheit mit digitalen Verwaltungsdiensten. Wenn sich ein ähnlicher Kontext in der Vielzahl der Beiträge und in der Berichterstattung widerspiegelt, manifestiert sich eine entsprechende Prägung in der Bevölkerung.
Wie nimmt die deutsche Bevölkerung E-Government unterbewusst wahr?
Scheiber: Die Untersuchung zeigt die Verwendung des Begriffs E-Government in all seinen Ausprägungen auf. Wie verwenden Bürger*innen ihn und mit welchen anderen Wörtern bringen sie ihn in Verbindung? Am stärksten assoziieren die Menschen E-Government mit dem Begriff „Verwaltungsmodernisierung“, daneben dominieren Begriffe wie „IT-Sicherheit“, „Nachhaltigkeitsmanagement“, „Informationstechnologie“ oder „Technologiepolitik“. Die allgemeinen Assoziationen zum Thema stammen also eher aus der Fachcommunity und in den allgemeinen, ich nenne sie mal Alltagsgesprächen im Netz, findet der Begriff kaum Anwendung. Gängige Begriffe für Verwaltungen, wie z. B. „Behörde“ oder „Amt“, kommen hingegen nicht im Assoziationsraum vor. Das zeigt, dass klassische Behörden nicht mit dem Begriff E-Government assoziiert werden. Interessanterweise verbinden die Menschen unterbewusst Begriffe wie „modern“, „effektiv“, „schnell“ und „sicher“ mit E-Government. Das zeigt, dass die Bürger*innen also durchaus Hoffnungen einer Modernisierung der klassischen Behörden mit dem Begriff assoziieren.
Welche Daten haben Sie für diese Studie erhoben und ausgewertet?
Mall: Die Analyse beruht auf einer sogenannten neuro-semantischen Textanalyse von Milliarden von Texten. In die Analyse flossen zum einen Beiträge von Nachrichtenseiten und zum anderen Inhalte aus sozialen Medien ein. Insgesamt wertete die Studie über 42 Milliarden Wörter aus.
Die Ergebnisse aus dem eGovernment MONITOR werfen ein eher trübes Licht auf E-Government in Deutschland. Die Nutzung und Zufriedenheit sinken. Die Big-Data-Studie zeigt hingegen positive Assoziationen – wie erklären Sie sich das?
Scheiber: Wie gesagt finden die Diskussionen über digitale Verwaltungsangebote fast ausschließlich innerhalb einer Fachszene statt und kaum in sozialen Medien. Der Begriff ist noch nicht im allgemeinen Sprachgebrauch und damit bei den Bürger*innen angekommen. In der Fachcommunity wird E-Government aber dann vor allem mit Verwaltungsmodernisierung assoziiert und durch die Darstellung in Medieninhalten als modern, schnell, effektiv und recht sicher wahrgenommen.
Kann Big Data auch die geringe Nutzung von E-Government in Deutschland erklären und warum die Bürger*innen unzufrieden sind?
Mall: Um dies zu beantworten, haben wir zusätzlich zu den Medieninhalten bisher nicht systematisch ausgewertete Daten aus dem eGovernment MONITOR untersucht. Die Befragten sollten offen beantworten, wie sie sich eine moderne Behörde vorstellen und welche Aspekte ihnen dabei wichtig sind. Hier zeigte sich, dass die deutsche Bevölkerung E-Government allgemein durchaus in einem positiven Licht sieht und als sicher bewertet. Mit Schnelligkeit assoziiert sie den Begriff allerdings weniger. Eine zügige und effektive Umsetzung der Angebote und somit eine schnelle Abwicklung von Verwaltungsleistungen erschien den Befragten als immer unwahrscheinlicher.
Was kann eine solche Untersuchung ergänzend zu einer persönlichen Befragung zeigen?
Mall: Eine Big-Data-Untersuchung ist in der Lage, das breite Spektrum an Assoziationen in der Bevölkerung aufzufangen. Eine Online-Befragung ist immer limitiert auf die direkt befragten Bürgerinnen und Bürger. So kann man mit Big Data sehr viel tiefer in die Bedeutung von E-Government eintauchen und auch Folgefragen beantworten, z. B. welche Behördentätigkeiten die Menschen am ehesten mit Online-Diensten verbinden oder bei welchen Themen Datenschutz eine große Bedeutung hat. Zudem sind Big-Data-Resultate schneller verfügbar und sofort mit Daten aus vorigen Jahren vergleichbar, selbst wenn man in diesen Jahren keine direkte Befragung durchgeführt hat. Letztlich ist auch die Möglichkeit, auf unterbewusste Meinungen zu schließen, für eine effektive Gestaltung von Behördenmodernisierung essentiell: Wovor haben Bürger*innen am meisten Angst? Bei welchen Themen würden Sie am ehesten online gehen wollen? Wann ist Datenschutz und persönlicher Kontakt essentiell?
Was können wir aus den Ergebnissen lernen, um E-Government in Deutschland attraktiver zu machen?
Scheiber: Die Analyse zeigt deutlich, dass E-Government als Begriff bisher in der Fachwelt verharrt. Dementsprechend bringt die Bevölkerung E-Government auch nicht mit den ihnen bekannten Behörden in Verbindung. Wenn Bürger*innen einen Verwaltungsdienst in Anspruch nehmen müssen, denken die wenigsten daran, dass sie diesen digital abwickeln könnten. Hier zeigt sich ein hoher Kommunikations- und Aufklärungsbedarf. Es empfiehlt sich, Maßnahmen zu fördern, die digitale Verwaltungsangebote im täglichen Leben der Menschen bekannter und damit leichter auffindbar machen. Bezüglich der qualitativen und inhaltlichen Bewertung bietet die Big-Data-Analyse ebenfalls Anhaltspunkte: Die Bürger*innen interessieren sich beim Thema E-Government hauptsächlich für Mobilität und Flexibilität. Sie assoziieren mit einer digitalen Behörde eine schnelle Bearbeitung und kurze Wartezeiten. Um dies zu gewährleisten, gibt es allerdings noch deutlichen Nachholbedarf. Für die Zukunft empfehlen sich detaillierte Big-Data-Analysen zu einzelnen Verwaltungsleistungen, um zu klären, welche positiven und negativen Assoziationen Bürger*innen beispielsweise mit der elektronischen Steuererklärung oder dem Online-Kindergeldantrag haben. Bessere Kenntnisse von Nutzungsbarrieren und Faktoren zur Steigerung der Zufriedenheit können dabei helfen, Verwaltungsdienste zu verbessern und zielgerichteter bekannt zu machen.