KI in Bewegung: Wie Physical AI unser Gesundheitssystem revolutioniert
Was heißt es, wenn ein Roboter in Form einer niedlichen Robbe mit meinem Opa kuschelt? Oder wenn er als Exoskelett der Pflegeperson beim Umlagern hilft? Oder wenn er sogar die Operation an meinem eigenen Körper übernimmt – und dabei in Zukunft vielleicht auch autonome Entscheidungen treffen soll? Physical AI verändert unser Gesundheitssystem – und stellt uns vor ethische, gesellschaftliche und politische Fragen, über die wir als Gesellschaft in den Dialog treten sollten.

Berlin. Wie kann – und wird – Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik sinnvoll ineinandergreifen, um reale Probleme im Alltag von Patient*innen, Ärzt*innen und Pflegenden zu lösen? Beim zweiten Event der Veranstaltungsreihe „KI in Bewegung“ hatten die Initiative D21 und Mission KI verschiedene Expert*innen und Praktiker*innen aus dem Gesundheitsbereich ins IQZ nach Berlin eingeladen, um über solche und weitere Fragen zu diskutieren: Wie kann der Sprung von zukunftsweisender Forschung in die tatsächliche Gesundheitsversorgung gelingen? Und wie können wir Innovation verantwortungsvoll so gestalten, dass dabei der Mensch im Mittelpunkt steht?
Zwischen Robbe und OP-Roboter: Technologie trifft Alltag
Nach der Begrüßung durch Moderatorin Katja Weber und Dr. Katharina Kaufmann von MISSION KI ordnete D21-Referent Gordon Fließ die Relevanz der neuen technologischen Entwicklungen ein:
KI hat enormes Transformationspotenzial – und Physical AI ganz besonders. Damit wir die Zukunft mit dieser Technologie so gestalten können, wie wir es möchten, müssen wir JETZT miteinander ins Gespräch kommen, Fragen stellen und zuhören.


Wie groß das Spektrum ist, das unter „Physical AI“ im Gesundheitswesen fällt, zeigte sich bei der anschließenden Paneldiskussion schnell: Von Therapierobotern zur Linderung negativer Emotionen wie der Plüschrobbe PARO über Assistenzsysteme für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen bis hin zu hochpräzisen OP-Robotern reicht die Palette. Und das sind nur die Anwendungen, die bereits heute eingesetzt werden können. Dr. André Nemat (International Data Spaces Association), selbst Mediziner, warf den Blick aber gleich noch weiter in die Zukunft: Mithilfe „Digitaler Zwillinge“ von Patient*innen könnte ein Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen stattfinden – weg vom reaktiven „Find and Fix“ hin zu einem präventiven „Predict and Prevent“. Daten könnten es uns ermöglichen, Krankheiten zu vermeiden, bevor sie entstehen. Ein Mensch als medizinischer Entscheider sei aber auch in diesem Szenario nicht ersetzbar – wohl aber entlastbar durch präzisere Diagnostik und neue Assistenzsysteme.

Mensch und Maschine im Pflegealltag
Im Panel diskutierten neben Nemat auch Prof. Dr. Michael Prilla (Universität Duisburg-Essen), Maria Hinz (BARMER) und Jörn Vogel (Institut für Robotik und Mechatronik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik). Alle waren sich einig: In der Pflege stehen wir vor einer Versorgungslücke – immer weniger Fachkräfte, immer mehr Aufgaben. Hier biete Physical AI große Chancen. Prilla, der u. a zu Mensch-Roboter-Interaktion und interaktiven Systemen in der Pflege forscht, betonte:
Physical AI wird in der Pflege keine Menschen ersetzen – sondern die Aufgaben übernehmen, die heute schon niemand mehr machen möchte – etwa schwere Transportarbeiten.
Auch hier seien bereits einige Lösungen im Einsatz: Autonome Logistikroboter navigieren durch Krankenhäuser, beladen sich selbst und bringen Medikamente oder Wäsche an den richtigen Ort. Das entlaste Pflegekräfte und schaffe Zeit für zwischenmenschliche Zuwendung. „Mir geht es darum, dass KI sinnvolle Dinge tut“, so Prilla.


Zwischen Akzeptanzlücke und Innovationshunger
Dass es nicht an Ideen, sondern oft an Umsetzung und Investitionen scheitert, machte Jörn Vogel deutlich. Mit seinem Team hat er das Robotersystem EDAN entwickelt, das beim „Assistenzroboter-Rennen“ des Cybathlon 2024 den 1. Platz belegte – eine Physical-AI-Lösung, die für Betroffene von Muskelschwund spürbare Entlastung bieten könnte. Doch bis zur Anwendung im Alltag sind noch viele und große Schritte zu gehen. Vor allem fehle es an Ressourcen:
Im Bereich Physical AI braucht es einfach ein größeres Fördervolumen, als die Förderinstrumente im deutschen und europäischen Wissenschaftsraum hergeben. Es reicht für vielversprechende Prototypen, und das fertige Produkt später würde sich vermutlich auch gut verkaufen, aber die Periode dazwischen – von den Prototypen zum Medizinprodukt – ist in unserem Fördersystem nicht vorgesehen.
Auch Maria Hinz sieht hier Nachholbedarf. Auf Gesundheitsmessen sehe sie als Vertreterin einer gesetzlichen Krankenkasse oft vielversprechende Physical-AI-Produkte, deren Entwickler*innen sie aber sagen müsse, dass sie noch nicht weit genug seien, um den Versicherten bereits morgen zu helfen. Und erst ab diesem Punkt sei es möglich, als Krankenkasse zu investieren.


Den Menschen ins Zentrum stellen – für alle
Gern würden gesetzliche Krankenkassen wie die BARMER sich noch stärker an den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Versicherten orientieren:
Wir könnten theoretisch viel stärker als Lotsen im System agieren, etwa mit digitalen Zwillingen, die unseren Kund*innen präventiv passende Gesundheitsangebote vorschlagen.
Hierfür seien aber viele Fragen noch ungeklärt – rechtlich, wirtschaftlich und ethisch. Ein Beispiel: Die elektronische Patientenakte (ePA) darf von Kassen nicht eingesehen werden – auch nicht mit Zustimmung der Patient*innen. Gleichzeitig würden sich viele Bürger*innen aber personalisierte Angebote wünschen.

Auch André Nemat war eine dieser noch ungeklärten Fragen besonders wichtig:
In Zukunft werden Technologie-Akteure nicht mehr nur Instrumente in der Medizin zur Verfügung stellen, sondern in diesem Zuge auch in Code usw. festlegen, wie Krankheiten definiert werden. Wenn sie so einflussreich werden, brauchen wir vielleicht so etwas wie einen Hippokratischen Eid für Entwickler*innen – und müssen sie in die dahinterliegende Ethik miteinbeziehen.
Nur so könne sichergestellt werden, dass der Mensch nicht aus dem Blick gerate. Dabei betonte er auch die Rolle der Politik, die in solchen Fragen regulierend vorangehen müsse.
Vertrauen, Teilhabe und Fairness sind zentrale Themen, wenn es um Physical AI im Gesundheitswesen geht, das wurde in der Diskussion deutlich. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn ein Exoskelett Pflegende beim Heben unterstützen, aber vielleicht nicht auf jede Körperform eingestellt werden kann? Hinz brachte es so auf den Punkt: „Erst wenn Technologien allen zugutekommen – unabhängig von Geschlecht, Körperform oder Hautfarbe – sind sie wirklich menschenzentriert.“


Zukunftsbilder: Wie wollen wir leben?
Zum Abschluss warfen die Panelist*innen einen Blick in die Zukunft. Moderatorin Katja Weber fragte sie – mit dem ganz konkreten Blick auf positive, chancenorientierte Entwicklungen: „Wenn ihr am Ende eurer Karriere zurückschaut und denkt: Toll was wir in den 10 Jahren von 2025 bis 2035 geschafft haben – was hat dann geklappt?“
Für Michael Prilla wäre es ein Erfolg, wenn niemand mehr Angst haben müsse, nicht gut versorgt zu werden – dank einer Kombination aus engagierten Menschen und sinnvoller Technologie. Jörn Vogel hofft, dass die Lösungen, die wir in Deutschland brauchen, dann auch in Deutschland selbst gestaltet wurden – statt sie aus anderen Systemen, in denen vielleicht andere Werte als bei uns wichtig sind, übernehmen zu müssen. André Nemat wünscht sich eine Medizin, in der Prävention durch Datenanalysen zur Selbstverständlichkeit geworden ist – und wir dadurch mehr Lebensqualität bis ins hohe Alter erreichen. Und Maria Hinz betont: „Ohne Bildung und Akzeptanz, auch in der Breite, wird es nicht gehen. Wir müssen die Nutzer*innen, Ärzt*innen und Pflegekräfte mitnehmen – und die Datenräume schaffen, die dafür nötig sind.“


