KI in Bewegung: Wie Physical AI unsere Mobilität revolutioniert
Was wäre, wenn Künstliche Intelligenz unser ganzes Verständnis von Mobilität neu definiert? Ob autonom fahrende Busse, KI-gesteuerte Lieferdrohnen oder intelligente Verkehrsflüsse – KI-basierte Mobilitätslösungen haben das Potenzial, Verkehrsprobleme zu entschärfen, Städte lebenswerter zu machen und unsere gesamte Infrastruktur zu verändern. Physical AI spielt hierbei eine wichtige Rolle. Um diese kommenden Veränderungen aktiv zu gestalten, müssen wir als Gesellschaft in den Dialog treten.

Berlin. Wie verändert Physical AI unsere Mobilität? Was bedeuten autonome Fahrzeuge und Mobilitätslösungen für unsere Fortbewegung und unsere Logistik? Wie verändern sie unsere Infrastruktur und Bewegungsmuster? Um diese Fragen ging es beim dritten Event der Veranstaltungsreihe KI in Bewegung: Wie Physical AI unseren Alltag revolutioniert, die die Initiative D21 gemeinsam mit MISSION KI im IQZ Berlin veranstaltet.
Zentrale Zukunftsthemen für die Gesellschaft von Morgen vordenken
Nach einer kurzen Begrüßung durch Dr. Katharina Kaufmann von MISSION KI hieß auch Martin Vesper, Vorstand der Initiative D21, die Gäste herzlich willkommen. Er betonte, dass die Verschmelzung der digitalen und der physischen Welt in Physical AI unseren Alltag grundlegend verändern werde:
Wir wollen frühzeitig eine Diskussion starten, damit die Gesellschaft vorbereitet ist auf die kommenden Veränderungen.


In 230 Wochen zu Physical AI – die Zukunft wartet nicht auf uns
In seinem einführenden Impuls erläuterte Zukunftsforscher Lars Thomsen von future matters den Unterschied zwischen inkrementeller und disruptiver Sprunginnovation. Letztere beschrieb er mit dem Bild des „Popcorn-Moments“ – es dauere immer eine ganze Weile, bis der erste Mais in der Pfanne aufpoppe, dann aber gehe es ganz schnell. Mit Künstlicher Intelligenz (KI) und Physical AI stünden wir ganz kurz vor einem solchen Popcorn-Moment.

Thomsen erläuterte einige grundlegende Begriffe wie Mustererkennung und reinforcement learning für die KI-Entwicklung. Für LLMs wie ChatGPT sei bereits die Schwelle zum Verstehen von Sprache überschritten worden. In 230 Wochen werde KI auch die physische Welt verstehen. Roboterhunde wie „Spot“ könnten sich heute schon KI-gesteuert bewegen und Dinge erkennen. Bald seien auch sprachgesteuerte Roboter in der Lage, vollautonom hochkomplexe und menschenbelebte Umgebungen sicher zu navigieren und Objekte so zu unterscheiden, dass sie uns etwa eine Flasche Sprudelwasser aus der Küche holen können. Dieses Überschreiten der Schwelle in die physische Welt eröffne zahlreiche neue Einsatzmöglichkeiten, die KI als App auf dem Bildschirm nicht habe.
In dieser Zukunft sieht Thomsen eine klare Chance für Deutschland und Europa, wenn wir sie ergreifen. Ambitionierte Start-Ups – viele davon aus den USA oder China – stellten zwar in hoher Geschwindigkeit Physical-AI-Prototypen wie humanoide Roboter vor, für die qualitativ hochwertige Serienproduktion in großer Stückzahl fehlten aber oft eigene Kompetenzen und Kapazitäten. Multifunktionale Roboter benötigten nicht nur eine Vielzahl von Teilen und Gelenken, diese müssten auch in verschiedensten Bedingungen wartungsarm funktionieren: in Schwedens Winter ebenso wie im Sand der Wüste. „Und das können wir“, so Thomsen.
Es sei deswegen notwendig, den Markt der Physical AI in den nächsten 230 Wochen zu erschließen. Dieser werde um einiges größer sein als beispielsweise der bisherige Automobilmarkt:
Ich erwarte, dass in fünf Jahren Roboter in Handwerksbetrieben, in der Pflege und anderen Bereichen unseres Lebens zum Alltag gehören werden.
Um auf diese Entwicklungen vorbereitet zu sein, plädierte er für einen Diskurs, der Physical AI als einen Weg sehe, zukunftsgerichtete Lösungen von gesamtgesellschaftlichen Problemen zu entwickeln – „aber wir dürfen das nicht verschieben, denn die Zukunft wartet nicht auf uns.“


Anwendungsfälle, Ausprobierräume und Zukunftsszenarien von Physical AI in der Mobilität
Nach Szenarien für genau diese Zukunft der Mobilität fragte Moderatorin Katja Weber im Anschluss die Panelist*innen. Für Dr. Ilja Radusch vom Fraunhofer FOKUS ist klar: Autonomes Fahren werde vermutlich in den kommenden drei Jahren im Regelbetrieb des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ankommen. Prof. Dr. Christine Eisenmann von der TU Cottbus-Senftenberg lud in diesem Zusammenhang dazu ein, den Blick nach Hamburg zu werfen, wo aktuell massiv in die Automation des öffentlichen Verkehrs investiert würde, um diesen effizienter und attraktiver zu machen. Und KI könne auch dazu dienen, bestehende Infrastruktur besser zu nutzen. Lars Thomsen verwies noch einmal auf den Angebotscharakter von Innovationen: Niemand habe die Menschen gezwungen, ihre alten Handys durch moderne Smartphones zu ersetzen – und als das erste iPhone vorgestellt wurde, seien auch viele skeptisch gewesen.
Letztendlich setzen sich die Dinge durch, die unser Leben als Menschen sicherer, angenehmer, komfortabler und freudvoller machen. Und in der Mobilität haben wir den besten Punkt noch lange nicht erreicht.
Darum sei es so wichtig, neugierig zu sein und auszuprobieren: um Lösungen finden, die unser Leben tatsächlich verbessern. Als mögliche Ideen und Szenarien für solche Lösungen sprachen die Panelist*innen von autonomen Sammeltaxis mit optimierten Verkehrsrouten, Physical-AI-gestützten Krankenwagen als mobile Krankenhäuser auf dem Land, humanoiden Robotern in der Güterverladung oder autonomen LKWs und Delivery Bots, die eine Pizza backen, während sie sie liefern. Sobald wir kreativ an den Möglichkeiten arbeiteten, würden sich auch Alternativen zu altbekannten Fahrzeugtypen und -größen ergeben. Hier gebe es viel Raum für maßgeschneiderte Lösungen, die auch aus dem Mittelstand kommen könnten, statt nur von den großen Automobilkonzernen, so Thomsen.


Ilja Radusch und Christine Eisenmann brachten hierfür auch die unterschiedlichen Bedürfnisse von unterschiedlichen Menschen ins Spiel. Nicht alle seien technologische Early Adopter und eine sinnvolle Entwicklung versuche, möglichst viele unterschiedliche Nutzungsgruppen im Blick zu behalten – daran hänge letztlich auch die Akzeptanz. Als zentral sahen alle Austausch, Testräume und Beteiligung an:
Die Menschen müssen erfahren können, was möglich ist, und gestalten können, was sie haben wollen.
So könnten sie die gesellschaftlichen Debatten informierter führen. Zudem fehle es an positiven Zukunftsbildern, ergänzte Lars Thomsen. Hierfür brauche es Austausch und das Heben von Synergien.

Von Katja Weber auf das 500-Milliarden Sondervermögen der Bundesregierung angesprochen, durften die Panelist*innen Investitionsideen entwickeln:
- Lars Thomsen schlug den Ausbau von KI-Trainings- und Rechenzentren vor, um hierbei nicht von anderen Staaten abhängig zu werden.
- Christine Eisenmann plädierte für den Öffentlichen Verkehr: Lebenswerte Städte seien dicht und böten viele Möglichkeiten. Doch die negativen Folgen des Verkehrs würden hier einschränken: Große Straßen mit hoher Trennwirkung und Staus würden die Attraktivität deutlich senken. Eine zielorientierte Automation des ÖPNV, dessen Leistungsfähigkeit die des Individualverkehrs deutlich übersteige, könne hier eine wichtige Antwort sein.
- Ilja Radusch schlug ergänzend die Investition in Köpfe vor: Es brauche kluge Köpfe, Forschende und Start-ups, um international mithalten zu können.


Abschließend wurden die Panelist*innen gebeten, einzuschätzen, welche Rolle Europa im internationalen Wettbewerb um innovative Mobilität spielen könne. Lars Thomsen erläuterte, dass Europa in seinen Augen jetzt die einmalige Chance habe, die nächste Stufe der KI – nämlich Physical AI – und sichere, vertrauenswürdige und wertebasierte KI zu entwickeln – „das könnte der nächste deutsche und europäische Exportschlager für die kommenden 50 Jahre werden.“ Ilja Radusch appellierte, dass wir uns in Europa nicht schlecht reden sollten. Man sei gut aufgestellt, jetzt müsse die Umsetzung kommen. Und Christine Eisenmann forderte Mut:
Es kommt ganz stark darauf an, dass wir uns trauen. Deutschland und Europa haben ein unglaubliches Potenzial, bei Physical AI dabei zu sein.


