Sabrina Dietrich | zuerst veröffentlicht im Behörden Spiegel, November 2016

Neue Medien, alte Ängste

Digitalisierung verändert unsere Welt fundamental. In Deutschland wird dieser Wandel oft durch diffuse Ängste und Horrorszenarien begleitet, die Entwicklung der Gesellschaft erlebt dadurch eher ein Bremsen als ein notwendiges mit-der-Zeit-Gehen. Dabei sind viele Ängste keine neuen und könnten mit einem kurzen Blick in die Historie bereits beruhigt werden.

Schon länger geht es nicht mehr um ein örtlich begrenztes Internet, sondern um eine umfassende Verflechtung und Vernetzung. Messenger Dienste und soziale Netzwerke, Navigation und Autos, die miteinander kommunizieren, um Unfälle zu vermeiden, Online-Banking und Online-Shopping, intelligente Haustechnik, die automatisch die Temperatur reguliert und den Verbrauch an die Energiewerke sendet – unzählige Anwendungen, die bereits für einen Großteil unserer Gesellschaft alltägliche Unterstützer sind. Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran und ist schon heute nicht mehr wegzudenken: Sie ist kein Thema der Zukunft, sondern Thema der Gegenwart.

Die Debatte rund um die Digitalisierung zeigt sich in Deutschland jedoch eher durch Ängste und Risiken genährt, als durch Nüchternheit und Chancen. Immer schon standen Menschen dem Fortschritt zum Teil äußerst kritisch gegenüber. Es ist keine 140 Jahre her, da galten Telefone als Gefahr für die Öffentlichkeit und Vertraulichkeit. Jeder Laternenmast ausgestattet mit Telefondraht würde zu einem Spion werden, über den Gespräche heimlich abhörbar würden. Nicht zuletzt forderte man den Tod der Erfinder und Hersteller des Telefons um wieder Vertrauen herstellen zu können.

Wandel der Wahrnehmung

Heute ist Telefonieren nur noch eine von vielen Apps auf dem Smartphone, keiner würde dem Telefonieren noch dunkle Mächte unterstellen. Aber den erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten, nicht zuletzt durch das Smartphone, wird heute nachgesagt, sie würden uns im Negativen verändern. Als die Industrielle Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts Europa und die Welt so fundamental veränderte wie wir es gerade durch die Digitalisierung erleben, befürchtete Karl Marx, die Menschen würden zu geistlosen und fremdgesteuerten Anhängsel der Maschine, würden in Massen ihre Arbeit verlieren und verelenden. Ja, viele Menschen verloren ihre Arbeit, wurden durch Maschinen ersetzt. Aber als Marx seine Verelendungstheorie veröffentlichte, verdienten die Menschen mehr, hatten geringere Arbeitszeiten und eine höhere Lebenserwartung als je zuvor.

Ängste und Bedenken, die elementare Wandel begleiten, sind keine neuen. Aber wir müssen diese Ängste durch Kompetenzaneignung überwinden und wir müssen beginnen, den Wandel aktiv zu gestalten. Dafür muss die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen von uns allen verinnerlicht werden. Bildung von Digitalkompetenzen muss strukturell in Rahmenpläne der Schulen verankert und regelmäßig durch Weiterbildung von Arbeitenden gewährleistet werden. Denn nahezu jeder in der Bevölkerung unter 50 Jahren ist inzwischen online. Wir nutzen das Internet und die neuen Medien, wie Smartphone und Notebook, weil sie so vieles einfacher, schneller und bequemer machen. Auch die ältere Generation ab 60+ lebt zunehmend digitaler. Neben all den Annehmlichkeiten, die ein digitalisiertes Leben mit sich bringt, sind Offliner vermutlich auch zunehmend dazu gezwungen, das Internet zu nutzen, denn die analoge Handlungsfähigkeit wird immer geringer, die analoge „Eisscholle“ verkleinert sich zusehends.

Ängsten durch Kompetenz begegnen

Spätestens hier wird deutlich, wie wichtig es ist, alle Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen beim digitalen Wandel und sie fit zu machen, für ein digitalisiertes Leben. Wie eingehend beschrieben: Der Wandel ist fundamental und wir sind mittendrin! Dabei lautet das Ziel nicht, alle zu Onlinern zu machen. Ziel ist, alle zu befähigen, sich digital kompetent und damit selbstbestimmt und chancenorientiert in der Welt des 21. Jahrhunderts bewegen zu können. Zu diesem Wandel gehört auch, dass es gewisse Berufe (auch bereits in naher Zukunft) nicht mehr geben wird. Aber wie zur Industriellen Revolution werden stetig viele neue Berufe entstehen, für die sich Arbeitende durch Spezialisierung und Weiterbildung befähigen können. Dass uns diese Entwicklungen jetzt bereits bewusst sind, sollte nicht in dem erfolglosen Versuch münden, an alten Zeiten festzuhalten, sondern sollte zu einer umfassenden Weiterbildung entsprechender Berufsgruppen führen.

Die zentrale Herausforderung ist, dass jeder Bürger und jede Bürgerin unabhängig von Bildungsgrad, Alter, Wohnort, Einkommen oder Geschlecht digitale Kompetenzen vermittelt bekommt. Dafür müssen wir Schulbildung und Weiterbildung auf die Digitalisierung ausrichten. Nur eine digital kompetente Gesellschaft kann Ängste in konstruktive Energie umwandeln und die für unsere Generationen einmalige Chance nutzen, unsere Lebens- und Arbeitswelt so auszugestalten, wie wir sie haben wollen. Bereits jetzt müssen wir uns chancenorientiert und reflektiert mit den Möglichkeiten des digitalen Wandels auseinandersetzen und die Antworten auf die neuen Herausforderungen so gestalten, dass wir Ideale wie Freiheit, Selbstbestimmtheit und Teilhabe fest in die digitalisierte Welt integrieren. Dann werden wir erleben, dass in 200 Jahren die uns nachfolgenden Generationen vom digitalen Wandel ebenso profitieren wie wir von der Industriellen Revolution.

Beitragsbild: http://www.earlyofficemuseum.com/IMagesWWW/1876_Bell_Speaking_into_Telephone.jpg, gemeinfrei