Rafael Eggebrecht | zuerst veröffentlicht im Behörden Spiegel, Mai 2017

Die alljährliche Girls’Day-Auftaktveranstaltung der Initiative D21 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel rückte in den Fokus, dass gerade junge Mädchen zwar moderne Technik aktiv nutzen, aber der technischen Seite der Digitalisierung weiterhin eher fernbleiben. Dabei liegt gerade darin viel verschenktes gesellschaftliches Potential.

Klar ist, der digitale Graben zwischen Männern und Frauen stellt eine gesellschaftliche Herausforderung dar, da viele junge Frauen ihre beruflichen Möglichkeiten verkennen oder nicht voll ausschöpfen. Dabei zeigt auch die Auftaktveranstaltung zum bundesweiten Girls’Day mit Bundeskanzlerin Angela Merkel jedes Jahr erneut, dass zeitgemäße Bildung ein großes Sprungbrett zur Überwindung dieses Grabens sein kann. Insgesamt 24 Mädchen der Klassenstufe 9 aus drei besonders engagierten Berliner Schulen erlebten an acht Stationen eines Technik-Parcours, dass der Abbau von digitalen Berührungsängsten leichter sein kann als gedacht.

Digitale Lebensnähe motiviert

Die wenigsten werden schon einmal länger darüber nachgedacht haben, wie die WLAN-Antenne in ihrem Smartphone eigentlich genau funktioniert. Was aber, wenn man Funktion und Form dieses Bauteils in einer anschaulichen 3D-Simulation kennen lernen und im Anschluss eine eigene Antenne konzipieren, verlöten, montieren und verschrauben könnte? Bei der industriellen Automatisierung verhält es sich ähnlich. Für die meisten enden Gedanken über Industrieroboter mit Bildern aus modernen Auto-Fabriken in den Abendnachrichten. Was aber, wenn man einen niedlichen, 1,20 m großen Roboter namens Pepper zuhause selbst programmieren könnte, damit er auf Kommando einen Lieblingswitz erzählt oder beim Anblick von Kanne und Teebeutel den Wasserkocher anschaltet? Auch der direkte Nutzen von Technik in Schulen ist vielen wenig bewusst. Was aber, wenn sich im Biologieunterricht das Lehrbuch-Schema des Verdauungssystems mithilfe einer VR-Brille in eine ganz und gar nicht unappetitliche 360-Grad-Enteckungstour durch den menschlichen Verdauungstrakt verwandeln würde? Mit all diesen lebensnahen Technikanwendungen, erfahrbar beim von der Initiative D21 und sieben ihrer Mitgliedsinstitutionen sowie der Bundespolizei konzipierten Technik-Parcours, konnten die teilnehmenden Schülerinnen beim Girls’Day Auftakt spielerisch und leicht eingänglich für Tätigkeiten in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) motiviert werden.

Um Mädchen und junge Frauen gezielt zu fördern, müssen die passenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Leider spiegelt sich die durch Smartphone und Computer geprägte Lebenswelt in der Lernwelt der Schulen kaum wider. Und das, obwohl die große Mehrheit der Lehrkräfte, Eltern und Schüler und Schülerinnen den Einsatz digitaler Medien in allen Fächern für notwendig erachten.  Dennoch zeigt die D21-Sonderstudie „Schule Digital“ auch, dass Lehrkräften professionalisierte Unterstützung fehlt und sie meist das Betreiben und Warten technischer Geräte in den Schulen selbst übernehmen müssen. Da sie ebenfalls angeben, dass auch die eigene mangelnden IT- oder Digitalkompetenzen eine große Hürde sind, mehr digitale Medien im Unterricht zu benutzen, verwundert es nicht, dass der über 50 Jahre alte Overheadprojektor noch immer das meistverfügbare Medium in den Klassenzimmern ist. Schulen brauchen also einen professionellen IT-Service, entweder extern oder als eine Art digitaler Hausmeister. Außerdem müssen Lehrkräfte dringend entsprechende Aus- und Weiterbildung erfahren, um Berührungsängste durch den Erwerb digitaler Kompetenzen abbauen zu können und Ideen vermittelt zu bekommen, wo und wie der Einsatz digitaler Medien im Unterricht sinnvoll ist. Es darf nicht allein an den Lehrkräften liegen, moderne Zeiten in den Unterricht zu bringen.

Die nächste Marie Curie?

Diese langsame Weichenstellung verkennt die zentrale Rolle von digitaler Bildung bei der beruflichen Chancengleichheit. Fehlendes Wissen führt zu Berührungsängsten, die viel gesellschaftliches Potential verschenken. Sei es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder der wachsende Fachkräftemangel. Mit Hinblick darauf betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Girls’Day Auftakt, dass sich noch immer viele Mädchen fragen, ob Maschinenbau, Elektrotechnik, Physik oder Chemie nicht zu schwierig seien. Sie beantwortete diese Frage mit einem Zitat der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie: „Man muss nichts im Leben fürchten, man muss nur alles verstehen.“ Ein besseres Motto hätte sie den Schülerinnen als Teil der digitalen Gesellschaft kaum mitgeben können.