Deutschland, deine Eigenheiten
Oder: Warum wir auf die Gigabitgesellschaft noch warten müssen

Die Herbstkonferenz 2016 der Deutschen Breitbandinitiative eröffnet mit deutlichen Worten: Dr. Hannes Ametsreiter (CEO von Vodafone Deutschland und Präsidium Bitkom e. V.) nennt die Glasfaserausstattung in Deutschland „lächerlich“. Mit nicht einmal zwei Prozent FTTB (fibre to the building – Glasfaserkabel bis ins Gebäude) sei Deutschland Drittletzter in Europa und gerade als Industriestandort sei dieser Zustand nicht haltbar. „Wir sind noch nicht, wo wir hinmüssen“, schlussfolgert Dr. Ametsreiter. Auch Lena-Sophie Müller (Geschäftsführerin von Initiative D21 e. V.) ist der Meinung, wir müssen heute schon in Gigabit denken, um für zukünftige Bedürfnisse gewappnet zu sein. Sie fordert vorausschauende politische Schritte, die Zukunftschancen eröffnen. Gleichzeitig müssten diese aber von Maßnahmen begleitet werden, „die die Bevölkerung auf dieser Innovationsreise mitnehmen“.

Lena-Sophie Müller (Geschäftsführerin Initiative D21 e. V.) im Gespräch mit Dr. Hannes Ametsreiter (Präsidium Bitkom e. V.) und Sven Oswald (radio eins)
Lena-Sophie Müller (Geschäftsführerin Initiative D21 e. V.) im Gespräch mit
Dr. Hannes Ametsreiter (Präsidium Bitkom e. V.) und Sven Oswald (radio eins)

Seit Anbeginn der Digitalen Agenda 2014 wird das erklärte Ziel, bis 2018 flächendeckend Übertragungsgeschwindigkeiten von 50 MBit/s zu gewährleisten, kontrovers diskutiert. Dr. Tobias Miethaner (Abteilungsleiter Digitale Gesellschaft im BMVI) sieht in seiner Keynote Aufholbedarf in Sachen Glasfaser für Deutschland. Grundsätzlich zeichnet er ein positives Bild zum hauseigenen Förderprogramm. Dass 50 Mbit/s und das Förderprogramm für die Entwicklung zur Gigabitgesellschaft jedoch nicht ausreichen, erkenne das BMVI. Deswegen würde es durch finanzielle Aufstockung des Förderprogramms und die Entwicklung neuer, zeitgemäßerer Programme den Anforderungen einer Gigabitgesellschaft mehr gerecht werden wollen. „Aber auch die Bevölkerung muss kraftvoller und chancenorientierter an die Entwicklungen herangehen“, schließt Dr. Miethaner seine Keynote. „Die Erfahrung zeigt, es braucht Frontrunner, denn der Bund kann Breitbandausbau nicht alleine vorantreiben. Gemeinsam müssen wir den Zeitgeist in allen Teilen der Bevölkerung wecken. Es gibt noch viel zu tun“.

Zuallererst Breitband für alle, dann High-Tech bei Bedarf

Dass es nicht nur eine technologische Debatte ist, sondern die deutsche Bevölkerung selbst den Schritt in die Gigabitgesellschaft bremst, wird bei der Herbstkonferenz ziemlich schnell deutlich. Dennoch bleibt es zunächst eine auf die Technologie konzentrierte Diskussion. Was er jetzt zu sagen habe, werde vermutlich vielen nicht gefallen, stellt Roland Schäfer (Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB)) zu Beginn seines Impulses fest. Der Bürgermeister der Stadt Bergkamen erlebt Landflucht, die er auch auf den mangelnden Ausbau von breitbandigem Internet zurückführt. Schäfer fordert, zuerst schnelles und technologieneutral gefördertes Internet für alle, dann superschnelles Glasfaser-High Tech-Internet wo der Markt es hergibt: „Es kann nicht angehen, dass weite Teile der Bevölkerung auf unbestimmte Zeit kommunikationstechnisch abgeschnitten bleiben, da es irgendwann einmal einen Glasfaserausbau gibt“. Das fördere die digitale Spaltung und gesellschaftliche Ungerechtigkeit. Auch wenn Schäfer durchaus seine Schwierigkeiten mit Vectoring habe, setze er doch auf einen Technologiemix. Er verfahre dabei nach dem Ansatz: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, denn zuallererst muss der Ausbau bezahlbar sein.

Dr. Tobias Miethaner (Abteilungsleiter BMVI) während seiner Keynote
Dr. Tobias Miethaner (Abteilungsleiter BMVI) während seiner Keynote

Für den Schritt zur Gigabitgesellschaft stehen wir uns selbst im Weg

Dass die in Deutschland umfassend geführte Debatte um Technologien bald ad acta gelegt werden könnte, zeigen die weiteren Impulse. So fasst es Wilhelm Dresselhaus (Sprecher der Geschäftsführung von Nokia Solutions and Networks) zusammen: Alle Technologien werden die technischen Anforderungen von Gigabit erfüllen können. Auch im späteren Verlauf der Veranstaltung wird immer wieder deutlich, Medien, über die man ins Netz geht, und auch Netztechnologien werden zukünftig nicht mehr relevant sein, denn alles wird zusammenwachsen. Somit ist der technologische Aspekt nicht die alleinige Bremse für eine Gigabitgesellschaft in Deutschland. Dresselhaus macht vielmehr die deutsche „Flatrate-Mentalität“ als Haken aus. Hierzulande gibt es keine Fortschritt-fördernde Zahlungsbereitschaft: Zwar bestehe der Wunsch nach schnellem und leistungsstarkem Internet, aber es mangele an der Bereitschaft, für diesen Service auch entsprechend zu bezahlen, sind sich die ReferentInnen einig. Die Deutschen müssen bereit sein, zu investieren und sich zu beteiligen.

Wo ist die deutsche Innovationskraft?

Wo soll auch der Investionswille herkommen, wenn Teile der Gesellschaft gar nicht wissen, sich nicht vorstellen können, was es Tolles gäbe und wie sehr ihr Leben vereinfacht werden könne, kritisiert Moderator Sven Oswald (radio eins, rbb). In der Realität stellt es sich nicht ganz so einfach dar: Die deutsche Mentalität scheint der Entwicklung zur Gigabitgesellschaft noch sehr viel stärker entgegenzuwirken, als dass sie nur den Nutzen nicht erkennt. So erlebt Ramona Schumann in ihrem Berufsalltag als Bürgermeisterin der Stadt Pattensen regelmäßig, wie selbst kleine digitale Schritte durch mangelnde Akzeptanz oder gar grundlegende Ablehnung der Digitalisierung blockiert werden. Sie ist es auch, die die Notwendigkeit einer umfassenden digitalen Bildung ins Gespräch bringt. Es sei nicht allein der Breitbandausbau, der eine Gigabitgesellschaft hervorbringe, „dafür bedarf es einer Gesellschaft, die vorbereitet ist und versteht, was da kommt“. Oftmals werde Digitalisierung jedoch nicht verstanden und auch nicht gewollt. Es ist dringend notwendig, die Gesellschaft als Ganzes mitzunehmen, stellt Müller doch bereits zu Beginn der Veranstaltung treffend fest, „die analoge Eisscholle wird immer kleiner“.

Paneldiskussion mit (v. l. n. r.) Sven Oswald (radio eins), Marcus Isermann (Deutsche Telekom AG), Dr. Manfred Hauswirth (Institutsleiter Fraunhofer FOKUS), Ramona Schumann (Bürgermeisterin Stadt Pattensen), Walter Haas (Geschäftsleitung Huawei Technologies Deutschland GmbH), Herbert Behrens (MdB, die LINKE)
Paneldiskussion mit (v. l. n. r.) Sven Oswald (radio eins), Marcus Isermann (Deutsche
Telekom AG), Dr. Manfred Hauswirth (Institutsleiter Fraunhofer FOKUS), Ramona
Schumann (Bürgermeisterin Stadt Pattensen), Walter Haas (Geschäftsleitung
Huawei Technologies Deutschland GmbH), Herbert Behrens (MdB, die LINKE)

In der Paneldiskussion wird durch Dr. Manfred Hauswirth (Institutsleiter vom Fraunhofer-Institut FOKUS) jedoch wieder etwas revidiert: „Wir müssen nicht immer alles erst verstehen können. Experimentierfreudigkeit ist ebenso notwendig“. Daran fehle es allerdings. Skepsis und Zweifel leiten oft den Umgang mit der Digitalisierung. Eine Ursache dafür ist auch der deutsche Umgang mit dem Scheitern, dieses werde oft nicht geduldet. Wenn für eine Breitbandstrategie, die tauglich ist für eine Gigabitgesellschaft, neue sinnvolle Modelle für einen schnellen Breitbandausbau mit notwendigen Bandbreiten und Partizipation der BürgerInnen gefunden werden sollen, müssen auch Fehler gemacht werden dürfen. Zum Experimentieren und innovativ Sein gehöre eben auch das scheitern Können.

Überraschend stellt sich also am Ende der diesjährigen Herbstkonferenz heraus, dass es viel weniger einer technologischen Weichenstellung als einer gesellschaftlichen Veränderung in Deutschland bedarf, um in naher Zukunft eine Gigabitgesellschaft werden zu können.

Wir twitterten unter #D21HK
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Lizenz der Bilder: CC BY 3.0 DE – Jana Kausch