Berlin, 25. November 2020. Laut der Sonderstudie „Digitales Leben“ spielt der digitale Raum für das Leben von Frauen und Männern eine wichtige Rolle. Dennoch sehen sich neun Prozent aller Frauen und zwölf Prozent aller Männer Anfeindungen im Netz ausgesetzt. Deren Qualität unterscheidet sich dabei stark: Während sich 32 Prozent der Frauen durch erlebte Anfeindungen stark verletzt fühlen, sind es bei den Männern neun Prozent. Dieses Problem der systematischen Verdrängung von Frauen aus dem digitalen Raum (sogenanntes „Silencing“) ist kein Frauen- sondern ein Gesellschaftsproblem, denn der demokratische Diskurs braucht einen politischen Raum – auch im Digitalen –, der es allen ermöglicht, sich frei von Angst vor Angriffen ob ihres Geschlechts, ihrer Sexualität, Religion, Herkunft oder Ethnie bewegen zu können. Was kann die Politik, was aber auch jede und jeder Einzelne in unserer Gesellschaft unternehmen, um Frauen im digitalen Kontext besser vor Gewalt zu schützen? Welchen Einfluss haben Rollenbilder in den sozialen Medien? Und wo herrscht Handlungsbedarf bei Regulierungen und Kompetenzen?

Anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen diskutierten Juliane Seifert, Staatssekretärin aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Prof. Dr. Wolfgang Schweiger (Universität Hohenheim), Ann Cathrin Riedel (LOAD e. V.) sowie Dr. Joy Alemazung (UN Women Deutschland) und Lena-Sophie Müller (Initiative D21 e. V.) über digitale Gewalt und Geschlechterunterschiede in den sozialen Medien. Die Diskussion der ExpertInnen verdeutlichte: Gewalt spielt nicht nur im analogen Raum eine Rolle, sondern vermehrt auch im Netz. Die breite Spannweite digitaler Gewaltformen verdeutlicht ebenfalls, wie wichtig eine intensive Auseinandersetzung mit und Präventionsarbeit gegen neue Phänomene ist.

Studie 

Im Rahmen unserer virtuellen Event-Reihe zu den Ergebnissen unserer Sonderstudie fand bereits eine erste digitale Gesprächsrunde zur Chancengerechtigkeit und Rollenbildern in der Berufswelt statt, u. a. mit Thomas Jarzombek.

Vor- und Rollenbilder im digitalen Raum

Die ExpertInnen thematisierten die Bedeutung von Vor- und Rollenbildern im Netz: Junge Menschen, die täglich soziale Medien nutzen, vertreten häufiger stereotype Rollenbilder. Diesen Effekt verstärken die klischeebeladenen Darstellungen von NutzerInnen und insbesondere InfluencerInnen: Frauen befassen sich öfter mit Mode- oder Beauty-, Männer häufiger mit politischen oder wirtschaftlichen Themen. Auch die Funktionsweise von sozialen Plattformen, beispielsweise Algorithmen, tragen dazu bei, NutzerInnen von Instagram, Facebook und Co. häufiger mit Beiträgen zu konfrontieren, die festgefahrenen Rollenbildern entsprechen. Die ExpertInnen appellierten für mehr Diversität bei der Entwicklung und Programmierung der Plattformen. Auch müsse man junge Mädchen stärker für Technikberufe begeistern – gerade positive Vorbilder könnten dazu beitragen, ein Bewusstsein für diese Stereotypen fördernden Mechanismen zu schaffen und junge Menschen zu motivieren, diese zu hinterfragen und zu durchbrechen. Formate wie der Girls’Day schaffen Berührungspunkte mit Rollenvorbildern.

Zusammenfassung und Forderungen der ExpertInnen

Das Gespräch verdeutlichte Forderungen zu Regulierung, Sensibilisierung und Kompetenzförderung:

Regulierung

  • Klare und allgemeingültige Nutzungs- und Verhaltensregeln auf Social-Media-Plattformen definieren, um z. B. Beleidigungen, Belästigungen und Bedrohungen zu unterbinden und zu sanktionieren
  • Transparente inhaltliche Moderation durch sogenannte „Content-ModeratorInnen“ auf Social-Media-Plattformen etablieren, um die Einhaltung der Nutzungs- und Verhaltensregeln zu kontrollieren und zu gewährleisten

Sensibilisierung

  • Aufmerksamkeit für das Thema durch Prävention und gesellschaftlichen Dialog schaffen, um so ein Problembewusstsein in die breite Bevölkerung zu tragen
  • Frauen z. B. durch Vorbilder ermutigen und befähigen, sich selbstbewusst im Netz zu verhalten und sich zur Wehr zu setzen
  • Solidarität mit Frauen zeigen und Gewalt gegen sie nicht als ein Frauen- sondern Gesellschaftsthema behandeln

Kompetenzen

  • Bei MitarbeiterInnen der Justiz- und Sicherheitsbehörden (spezifiziertes und thematisches) Wissen und einen sensibleren Umgang mit der Thematik durch Schulungen fördern. Damit sollen mehr Schutzmöglichkeiten für Betroffene (z. B. durch OpferanwältInnen) möglich gemacht werden
  • Bei KommunikatorInnen (z. B. JournalistInnen) Fertigkeiten für eine angemessene Diskussionsmoderation stärken, um gezielter Beleidigungen und Belästigungen unter ihren Beiträgen zu unterbinden
  • Eine bevölkerungsgruppenübergreifende Medienkompetenz durch niederschwellige Vermittlung in der Gesellschaft etablieren

Lena-Sophie Müller fasst am Ende der Diskussionsrunde die wichtigsten Forderungen zusammen:

„Schauen Sie nicht weg! Seien Sie solidarisch! Sensibilisieren Sie Ihr Umfeld! Geben Sie Betroffenen keine Mitschuld! Helfen auch Sie mit, digitale Gewalt gegen Frauen als Gesellschaft zu bekämpfen und es nicht als Frauenproblem zu behandeln!“

Das ExpertInnen-Gespräch war der zweite Teil der Eventreihe „Digitales Leben“, die verschiedenen Themen der Studie „Digitales Leben – Geschlechterunterschiede und Rollenbilder in der digitalen Welt“ aufgreift. In einer ersten Gesprächsrunde diskutierten wir u. a. mit Thomas Jarzombek , MdB aus dem BMWi, über bessere Rahmenbedingungen für Frauen in der (digitalen) Berufswelt und spezifisch für Gründerinnen.

Die virtuelle Gesprächsrunde zum Nachgucken: