Sabrina Dietrich | zuerst veröffentlicht im Behörden Spiegel, Juni 2016

Digitale Flüchtlingshilfe – Engagement und Bedarf sinnvoll zusammenführen

Seit Monaten zeigt Deutschland unglaublich viel Engagement und Wille zum Helfen, um Geflüchtete willkommen zu heißen und ihnen das Ankommen und Bleiben in Deutschland zu erleichtern. Mit dem Beginn der Flüchtlingskrise im Spätsommer letzten Jahres sind auch unzählige Apps und Webseiten mit diesem Zweck entstanden. Nach über einem halben Jahr zeigt sich aber nun, dass auch die Helfer durchaus Hilfe gebrauchen können, denn viele Anwendungen sind zwar gut, haben aber kaum Wirkung und Reichweite. Um diese Angebote durch ein “Mehr” an Koordination und Zusammenarbeit zu stärken, hat das Bundesministerium des Innern gemeinsam mit betterplace lab, Initiative D21 und Open Transfer am 14. Juni 2016 zum Digitalen Flüchtlingsgipfel geladen. Das Grußwort kam von höchster Stelle: Innenminister Thomas de Maizière lobte die beeindruckende Vielfalt an digitalen Angeboten, betonte jedoch zugleich, dass es in der Flüchtlingshilfe so manches Mal an Abstimmung und dem Seitenblick, welche Angebote denn bereits existieren, mangele.

Es fehlt an Koordinierung und Mut zum Vergleichen und Werten

Auch Birgit Radow, stellvertretende Generalsekretärin des Bundesverbandes Deutscher Stiftung machte deutlich, dass vor Ort zahllose hervorragende Ideen für die Unterstützung von Geflüchteten entstanden seien, davon aber niemand erfahre. Das Ergebnis: Parallelstrukturen und verschwendete Ressourcen. Es sei notwendig, genau zu wissen, worauf bei der Umsetzung zu achten ist und was wirkt. Dazu gehöre auch der Mut, zu benennen, was nicht wirkt und sich dann von diesem Engagement zu verabschieden, so Radow weiter. „Wir wollen heute den Anstoß dafür geben, dass sich das verbessert und dass das Rad nicht immer und überall wieder neu erfunden werden muss“, sagt de Maizière. Der Flüchtlingsgipfel stellte sich der Herausforderung, die Angebote besser zu koordinieren, die Vernetzung zu stärken und die Verteilung von Fördergeldern zu optimieren, um Qualität und Nachhaltigkeit zu sichern. Vertreter ausgewählter Projekte, aus Politik, Wirtschaft und dem Stiftungsumfeld diskutierten, was es bedarf, um die Ressourcen in der digitalen Flüchtlingshilfe und Integration besser einzusetzen und noch mehr Menschen zu erreichen. Da Integration ein langjähriger Prozess ist, müssen Bedarfslagen sicher erkannt und Schnittstellen in der Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Akteure gefördert werden. Der Austausch ist dabei elementar. So können beispielsweise gezielte Zusammenschlüsse bewirken, dass Fördergelder bedarfsgerechter und nicht im „Gießkannen“-Prinzip verteilt werden.

Die Gelegenheit nutzen, bürokratische Strukturen zu prüfen

Auf der anschließenden Podiumsdiskussion mit Hans-Georg Engelke (Staatssekretär, Bundesinnen-ministerium), Susanne Poelchau (Bayerischer Rundfunk) und Marc Reinhardt (Initiative D21 und Capgemini) sowie der syrische YouTuber Firas Alshater wurde die die momentane Situation als Chance beschrieben, überzogene bürokratische Standards und Vorschriften auf den Prüfstand zu stellen. Auch Marc Reinhardt erkennt die Möglichkeit, etwas im bürokratischen System zu verändern, da sich Belastungsgrenzen zeigten und sich deshalb gerade unglaublich viel bewege. Das ganze Land könne geschmeidiger und agiler werden. Der syrische YouTuber Firas Alshater legte dann noch einmal den Finger in die Wunde: Wer nicht wisse, ob er überhaupt einen Aufenthaltsstatus bekomme, der interessiere sich auch nicht für Sprachlern-Apps. Außerdem mangele es an Bekanntheit oder Vertrauen zu den Diensten. Flüchtlinge nutzen das Internet nicht auf dieselbe Art und Weise wie viele Deutsche. Hauptsächlich wird über Facebook oder WhatsApp kommuniziert, Informationen dort gesucht. Apps und Webseiten werden wenig verwendet. Am Ende können nur Geflüchtete aus ihrem Alltag berichten und bewerten, ob digitale Dienste wirklich sinnvoll und unterstützend sind. Deswegen ist es unabdingbar, die Zielgruppe schon vor der Entstehung miteinzubinden. Zielt eine App zum Beispiel auf die bessere Koordination mit den Verwaltungen ab, so sollte durch eine frühzeitige Zusammenarbeit auch die Anschlussfähigkeit an die Prozesse der Verwaltung sichergestellt werden.

Wie soll es weitergehen?

Nach dem ersten Teil mit Impulsen und Podiumsdiskussion bestand der zweite Teil aus einem Barcamp, in dem verschiedene Teilnehmer Sessions ausrufen konnten, in denen zu von ihnen vorgegebenen Themen diskutiert wurde. Die Bandbreite der Themen reichte von der Wirkungsmessung und von Finanzierungsinstrumenten über Unternehmensengagement, Casual Volunteering bis hin zur Usability von Deutschlern-Apps und der erfolgreichen Skalierung von Flüchtlingsprojekten. Hunderte Visitenkarten wechselten an diesem Tag die Besitzer und man war sich schnell einig, die Erkenntnisse dürfen nicht verpuffen. Die Veranstalter hatten die Idee, eine Lenkungsgruppe zu initiieren. Sie wird am 2. August 2016 für interessierte Teilnehmende am Flüchtlingsgipfel einen Hang-out veranstalten, wo konkrete Angebote gemacht werden, wie die weitere Vernetzung aussehen und wie man an spezifischen Themen weiterarbeiten kann – digital wie auch analog.

 Beitragsbild: cc-by-nc Henning Schacht