Sabrina Dietrich | zuerst veröffentlicht im Behörden Spiegel, Mai 2016

Feuerwehrfrau und Erzieher – in Deutschland eher nicht

Das Mädchen möchte zur Feuerwehr, der Junge Erzieher werden. In unserer modernen Gesellschaft sollten diese beruflichen Entscheidungen selbstverständlich sein. Dennoch sind tradierte Rollenbilder noch immer fest verankert und damit auch das Spektrum für die Berufswahl junger Menschen eingeschränkt.

Seit über zehn Jahren gibt es den bundesweiten Girls’Day und Boys’Day. Dieser Tag soll Schülerinnen und Schüler ermutigen, Berufe auszuprobieren, die typischerweise nicht ihrem Geschlecht zugeordnet werden. Beim Girls’Day geht es um die Bereiche Technik und Naturwissenschaften, Forschung und Wissenschaft, Informatik und Handwerk, beim Boys’Day um die Bereiche Pädagogik, Soziales und Erziehung, Pflege und medizinische Versorgung. Die sogenannten Zukunftstage wollen erreichen, dass junge Menschen ihren Blick für die Vielfalt der Möglichkeiten öffnen und Berufe wählen, die ihrem Können und ihrer Vorliebe entsprechen.

Digitale Bildung ermöglicht mehr Chancengleichheit und Teilhabe

Um Rollenklischees nachhaltig zu überwinden, braucht es jedoch mehr als reine Berufsorientierung. Durch den digitalen Wandel sind technische Geräte inzwischen selbstverständlicher Bestandteil in nahezu allen Bereichen unseres Lebens. Digitale Medien begleiten uns quasi unablässlich und verändern, wie wir miteinander kommunizieren, lernen und arbeiten. Junge Menschen, die in unserer digitalisierten Welt aufwachsen, benötigen Unterstützung, um selbstbestimmtes, sachgerechtes, kreatives und sozial verantwortliches Handeln mit (digitalen) Medien zu erlernen. Der Lernraum Schule muss – neben dem Elternhaus – daher eine zeitgemäße Medienbildung anbieten. Dabei beinhaltet ein gute schulische Vermittlung von Medienkompetenz sowohl das Lernen über Medien als auch das Lernen mit Medien. Hierin liegt großes Potenzial, Mädchen, neben den mathematisch, naturwissenschaftlichen Schulfächern, für Berufe im sogenannten MINT-Bereich (Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik und Technik) zu begeistern.

Die aktuelle Studie „D21-Digital-Index 2015“ der Initiative D21 e. V. zeigt, dass der Digitalisierungsgrad von Frauen mit nur geringer Steigerung zum Vorjahr noch immer deutlich niedriger ist als der von Männern. Auf einer Skala von 0 bis 100 erreichen Frauen 46,5 Indexpunkte (2014: 45,8), Männer 56,9. Deswegen muss bereits frühzeitig Digitale Bildung in Schulen vermittelt werden. Dies würde sich deutlich positiv auf die Chancengleichheit von Frauen auswirken, denn einen kompetenten Umgang mit Technik zu erlernen, bedeutet nicht nur, sich selbstbestimmt im digitalisierten Alltag bewegen zu können, sondern es baut ebenso Berührungsängste ab und führt zu mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Schülerinnen werden ermutigt, die Vielfalt ihrer Begabungen zu erkennen und sich auch für Berufe in neuen zukunftsträchtigen Branchen zu interessieren.

Frauen: Besser gebildet und schlechter bezahlt

Knapp 40 Prozent der Frauen erlangen heute in Deutschland die Allgemeine Hochschulreife – bei den Männer sind es 29 Prozent – und dies sogar durchschnittlich mit den besseren Abiturnoten. Gerade junge Frauen binden somit ein enormes ökonomisches wie soziales Kapital, was leider für viele Berufe und Branchen ungenutzt versickert, wenn die geschlechtsspezifische Berufswahl sowie die klassische Rollenverteilung in der Familie weiterhin gängige Praxis bleibt. Wo der Girls(– wie Boys)’Day hilft, das Thema Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit ins gesellschaftliche Bewusstsein zu heben, macht er ebenso bewusst, wie defizitär die Situation in Deutschland noch immer ist. So sind es noch immer Frauen, die den Großteil der unbezahlten Arbeit übernehmen und sich um Kinderbetreuung und Pflege von Familienangehörigen kümmern. Nur 5,5 Prozent der Männer mit minderjährigem Kind arbeiten in Teilzeit, Frauen zu 67,8 Prozent. Diese Zahlen weisen zudem deutlich auf die Lohnlücke zwischen Mann und Frau. Bei gleicher Arbeit verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer. Dies konnte auch die sukzessive Wandlung der Geschlechterrollen in der Gesellschaft nicht merklich verringern. Für Frauen wäre es attraktiv, in den deutlich besser bezahlten MINT-Berufen zu arbeiten. Männer schrecken die niedrigen Löhne im sozialen Bereich oftmals ab. Es ist an der Zeit, Frauen und auch Berufe, die eher weiblich konnotiert sind, weil hauptsächlich von Frauen ausgeführt, besser zu stellen. Erst diese Schritte würden zu wirklicher Gerechtigkeit führen.

Der Blick über den Tellerrand ist nicht allein zu leisten

Berufsorientierung ist ein komplexer Prozess und entscheidend für das weitere Leben. Oft ist man bereits in jungen Jahren gefordert, diese weitreichenden Entscheidungen zu treffen. Die gute Bilanz des Girls’Day zeigt, dass Schülerinnen offen sind für den Blick über den Tellerrand und es oftmals nur an Ideen und einem kleinen Schubs fehlt. Knapp 80 Prozent der teilnehmenden Mädchen befinden ihre Teilnahme am Girls‘Day als hilfreich für die berufliche Orientierung. Inzwischen nennen 21 Prozent der Teilnehmerinnen einen Wunschberuf im MINT-Bereich. Es zeigt sich, dass der Blick über den Tellerrand der Unterstützung vieler Parteien benötigt und früh ermöglicht werden sollte, denn ein früher Start eröffnet viel mehr Möglichkeiten und erhöht die Chancen auf eine erfüllende Berufstätigkeit.

Auch die Initiative D21 e. V. engagiert sich gemeinsam mit ihren Mitgliedern u. a. durch die Ausrichtung des Girls’Day, mehr Frauen für einen Beruf im MINT-Bereich zu begeistern und so ebenso sukzessive die Anzahl der Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Jedes Jahr, einen Tag vor dem bundesweiten Aktionstag, eröffnet die Initiative D21 gemeinsam mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel den Girls’Day Mädchen-Zukunftstag im Kanzleramt. Jeweils acht Mädchen der Klassenstufe 9 aus drei besonders engagierten Berliner Schulen werden eingeladen, auf einem Technik-Parcours MINT-Berufe kennenzulernen und auszuprobieren. Auch in diesem Jahr, am 27. April, eröffnete Frau Bundeskanzlerin Merkel den Girls’Day persönlich und erkundete gemeinsam mit den Schülerinnen den Parcours. Damit unterstreicht sie als promovierte Physikerin auch ihr persönliches Anliegen, Frauen im MINT-Bereich zu fördern.