(Kiehle/Knospe/Naujokat*)
Jedem gravierenden gesellschaftlichen Wandel geht meist eine Katastrophe oder eine technologische Revolution voraus! Die digitale Revolution basiert technisch auf der Erfindung des Mikrochips, dessen stetiger Leistungssteigerung und natürlich dem weltweiten Siegeszug des Internets. Dieser Siegeszug geht einher mit der Sammlung und Verbreitung einer immens wachsenden Datenmenge. Da geschätzt 80% der Daten einen Raumbezug haben, ist es nicht vermessen zu behaupten, dass die Geoinformationen als Motor der Veränderung angesehen werden können.
Machte im Jahr 1990 das Internet weniger als 1% der Informationsflüsse der weltweiten Telekommunikationsnetze aus, ist heute die Schwelle zu einer technologischen Revolution längst überschritten: Wie wir leben, arbeiten und miteinander in Beziehung stehen hat sich grundlegend durch die riesige Menge, Verfügbarkeit und Auswertbarkeit von Daten verändert. Diese digitale Transformation – gleichwohl in Ihrer Größenordnung die umfassendste gesellschaftliche Neuordnung bislang – wird wohl durch wenige Kernthemen determiniert:
- Smart Devices haben zu einem enormen Wachstum der erfassten (oft georeferenzierten) Datenmengen geführt.
- Sensorik ermöglicht eine permanente (georeferenzierte) Datenerhebung.
- Informationsgesellschaft ermöglicht eine bislang nicht gekannte Möglichkeit zur Partizipation an allen gesellschaftsrelevanten Bereichen.
- Big Data als Paradigma ungeahnter Datenmengen, die mittels moderner Methoden zu Informationen aufbereitet werden können.
- Analytik als Kernelement der Aufbereitung von Daten zu Informationen und damit zu entscheidungsunterstützendem Wissen.
Smart Devices und Sensorik als Treiber von Big Data
Durch die Chancen dieser Technologien wird eine gesellschaftliche Eigendynamik hervorgerufen: So hat beispielsweise die Verbreitung von Smart Devices das Verhältnis zwischen Fachberufen und Gesellschaft massiv verändert.
Ein Beispiel: „Erfassen – analysieren – bewerten – darstellen“ in Karten war stets wenigen Expertengruppen vorbehalten. Spätestens mit Einführung von Wikipedia und OpenStreetMap (OSM) ist deutlich geworden, dass Bürger mitgestaltend und interagierend handeln. Damit einhergehend ist ein Paradigmenwechsel vollzogen worden: Aktualität und Vollständigkeit werden höher gewichtet als deren (Lage-)Genauigkeit. Auch Firmen wie Alphabet nutzen die Masse „ungenau“ georeferenzierter Sensoren (geographische Zuordnung auf Basis von IP-Adressen) zur Berechnung von Wohn- und Arbeitsstandort sowie der aktuellen Fahrzeit zwischen beiden. Massendaten und deren Analyse haben in vielen Anwendungsbereichen präzise Einzelmessungen längst abgelöst.
Die Möglichkeiten von Milliarden von Menschen, die durch mobile Geräte verbunden sind, mit bisher unerreichter Prozessorleistung, Speicherkapazität und dem Zugang zu Wissen, sind nahezu unbegrenzt. Bereits heute ist künstliche Intelligenz überall um uns herum: Selbstfahrende Autos und Drohnen, virtuelle Assistenten und Software, die in jede Sprache übersetzt. Diese beeindruckenden Fortschritte sind in den letzten Jahren durch exponentiellen Anstieg der Rechenleistung und durch die Verfügbarkeit von riesigen Datenmengen erzielt worden. Entwicklungen aus den Bereichen künstliche Intelligenz und Robotik im Verbund mit den durch das Internet der Dinge erhobenen Datenmengen begünstigen einen weiteren technologischen und damit gesellschaftsrelevanten Wandel. Wir wissen noch nicht, wie sich diese „digitale Revolution“ weiter entfalten wird, aber eines ist klar: Die Antwort darauf muss alle relevanten Akteure, vom öffentlichen und privaten Sektor, über Wissenschaft und Zivilgesellschaft, umfassend einbeziehen.
Die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) entwickelt sich im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen exponentiell, statt in einer linearen Geschwindigkeit. Darüber hinaus ist fast jede Branche weltweit betroffen. Und die Breite und Tiefe dieser Veränderungen wird die Transformation der gesamten Steuerungs- und Regelungssystem sowie der Analytik in der Produktion, Verwaltung und Gesellschaft einläuten.
Exkurs:
Die Entwicklung von Smart Devices und (deren) Sensorik werden dazu beitragen, dass „Messstationen“ weltweit in einer hohen Dichte vorhanden sind und zu jeder Zeit aktuelle Informationen bereitstellen. Dies geschieht systemimmanent ohne eine aktive Beteiligung der Nutzer („opt out“ Einstellungen von Apps = sich aktiv dagegen entscheiden). Darüber hinaus gibt es eine zweite Ebene, über die freiwillig Informationen in World Wide Web abgesetzt werden. Kritisch in der Verknüpfung dieser Ebenen ist die Möglichkeit der Zusammenschau der unterschiedlichen Rollen, in denen der Nutzer sich bewegt: z.B. der Mensch als Person, Mobilfunkteilnehmer, Arbeitnehmer, Kunde, Internetnutzer, Verkehrsteilnehmer, Patient. Positiv hingegen ist: Der Bürger wird zum wichtigsten Geomatiker des Landes! Im Kern dieser kontrovers geführten gesellschaftlichen Diskussion stehen dabei häufig die Begriffe “Freiheit” und “Sicherheit” im Mittelpunkt. Fest steht: „Öffentlichkeit“ in der vernetzten Welt bedeutet etwas anderes als noch vor der digitalen Revolution und auch der Begriff “Privatsphäre” ist vor diesem Hintergrund neu zu definieren.
Big Data entsteht überall, wo in elektronischen (Geschäfts-)Prozessen Daten anfallen: Automatisch erhoben von Computern und Sensoren oder generiert von Nutzern in Social-Media-Netzwerken und Crowdsourcing. Bei jedem Klick, jeder Transaktion, jeder Nachricht entstehen neue Informationen. Noch werden 80% dieser Daten unstrukturiert gesammelt. Das macht je Tag 2,5 Milliarden Gigabyte! Weltweit (FAZjob.NET vom 22.10.2015). Mit den Möglichkeiten von «Big Data» stehen wir wahrscheinlich an der Schwelle eines neuen Denken:
Nicht mehr die Kausalität, sondern die analytische Korrelation von Daten bestimmt unser Handeln! Beispiel: Wenn als Ergebnis eine Routenanfrage „Google Now“ „“: „Sie brauchen 11 Minuten bis nach Hause!“ wird Nähe nicht mehr in Metern, sondern in Verfügbarkeit gemessen!
Die wachsende Datenmenge kann nur noch mit mathematischen und statistischen Methoden verarbeitet werden. Die traditionelle Suche nach kausalen Zusammenhängen wird wohl abgelöst durch die Suche nach Wahrscheinlichkeiten und Korrelationen. Das kann zu einer tiefgreifenden Veränderung unseres Denkens führen. Womöglich stehen wir also an einem Wendepunkt des menschlichen Denkens bzw. der Auffassungsgabe: Wir können nur noch den Weg, auf dem ein Ergebnis erzielt wird, nachvollziehen, aber nicht mehr eins und eins zusammenzählen. Algorithmen sind die Grundlage, um in digitalen Datenmengen Muster erkennen zu können (Data Mining). Diese ermöglichen ganz neue Einsichten z.B. in gesellschaftliche, ökonomische und politische Prozesse und Probleme. Die gespeicherten Informationen erlauben immer genauere zeitliche und räumliche Zukunftsprognosen. Damit diese für einen Nutzen in Wert gesetzt werden können, sind zukünftig auch Algorithmen zu speichern, zu dokumentieren und zu archivieren.
Motor dieser Entwicklung in Deutschland ist die sich flächendeckend entwickelnde «Open Data» Bewegung. Mit dem Begriff „Offene Daten“ ist gleichermaßen eine Philosophie des freien Zugangs zu Informationen als auch eine frei zugängliche und nutzbare Veröffentlichungsform gemeint. Diese digitalen Daten stammen sowohl aus öffentlichen wie auch privaten Quellen oder werden als öffentliche Dienstleistung bereitgestellt. Sie dienen nicht nur neuen Geschäftsmodellen, sondern werden auch um weiteres Wissen aus dem privaten Sektor angereichert. Bürger veredeln (s.o. Smart Devices) sozusagen öffentliche Informationen, sie ergänzen Daten in räumlicher und zeitlicher Art, die unter dem „open“-Gedanken sozusagen Teil des Allgemeinguts werden. Man kann sich das als eine Umgebung zusammengefügter Objekte vorstellen: z.B. werden Orte mit Geschichte und Geschichten unterschiedlicher Personen verknüpft. Die Möglichkeiten zur Datenhaltung öffentlichen Wissens muss noch größtenteils entwickelt werden, selbst wenn sich ihre Bedeutung für die Schaffung neuer Applikationen bereits erahnen lässt.
Big Data fordert auch den Datenschutz heraus und bringt ihn an seine Grenzen! Als Reaktion darauf hat sich bereits heute sich ein neues gesellschaftliches Konzept entwickelt, was wir aktuell mit der Einführung von Google Street View erlebt haben, das Konzept von „Post Privacy“.
„Post“ könnte dabei in zwei Auslegungsformen definiert werden:
- im Sinne einer nachträglichen Löschung der privaten Inhalte (opt out),
- Verzicht auf den Datenschutz, da er aufgrund der rieseigen Datenmengen und der Globalisierung der Datenhaltung in der heutigen Form nicht zu kontrollieren ist.
Hier wäre vielleicht ein technologischer Lösungs-Ansatz der „Innovative Datenschutz“ (s. gleichn. Buch, Peters, Kersten, Wolfenstetter bei Duncker&Humblot, 2012), der leider bisher in der öffentlichen Diskussion wenig Aufmerksamkeit gefunden hat.
Weder die Technik noch die Umbrüche, die durch diese verursacht werden, , sind direkt von uns zu beeinflussen. Es ist aber unsere Aufgabe als Gesellschaft und insbesondere auch der Politik, die Entwicklung, die Entscheidungen, die wir auf einer täglichen Basis als Bürger, Verbraucher und Investoren erleben und bewerten, zu verantworten. Wir sollten daher die Chancen und unsere Möglichkeiten nutzen, diese digitale Revolution mit zu gestalten. Damit diese sich in eine Zukunft bewegt, die unsere gemeinsamen Ziele und Werte widerspiegelt, ist es entscheidend, im App-Zeitalter „Aufklärung“ zu betreiben, welche Geschäftsmodelle hinter „kostenlosen“ Apps und Payback-Karten stecken und welchen Anteil jeder Bürger damit zum Thema Big Data hat.
Heutige Entscheidungen sind jedoch allzu oft von traditionellem, linearem Denken geprägt. . Es ist ein politischer Meinungsbildungsprozess notwendig, der umfassend und länderübergreifend konsensfähige Strategien entwickelt, wie Technologien unser Leben beeinflussen und wie die Neugestaltung unserer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umgebung zu entwickeln ist.
Diesen Zukunftsanforderungen der „Digitalen Revolution“ wollen auch wir uns als Arbeitsgruppe „Geoinformationswirtschaft“ der Initiative D21 stellen und frühzeitig Szenarien zukünftiger Entwicklungen aufzeigen.
*Dr. Christian Kiehle, Abteilungsleiter Public Sector, msg systems ag, ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Geoinformationswirtschaft der Initiative D21
Dr. Frank Knopse, Amtsleiter Amt für Geoinformation, Vermessung und Kataster der Stadt Essen, und Wolfgang Naujokat, Vorstand European Society for eGovernment, sind stellvertretende Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe.
Dieser Artikel erschien im Rahmen der Kooperation der Initiative D21 mit dem Behörden Spiegel in der Februar-Ausgabe 2016.
Foto:Marc Biebusch, CC-BY-SA, flickr.com