Am 18.2. erschien in der Sonderbeilage der Zeitung DIE ZEIT ein Interview mit Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21, zum Thema „Medienkompetenz“.
Google mal Napoleon!
Martina Cerovsek
Deutschlands Achtklässler liegen mit ihren digitalen Medienkompetenzen international nur im Mittelfeld. Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern.
Gibt man einem Zweijährigen heute ein iPad in die Hand, hat er innerhalb von wenigen Minuten herausgefunden, wie man im Fotoalbum weiterblättert. Die Vierjährige schafft es nach kurzer Zeit, den Code fehlerfrei einzugeben, mit dem das Tablet entsperrt werden kann. Werden diese Kinder dereinst ein Fach namens Digitale Bildung überhaupt noch brauchen?
Mehr Aufklärung über Cybermobbing
»Manche verstehen unter digitaler Bildung immer noch: Lernen mit dem Laptop«, sagt Lena- Sophie Müller. »Da denke ich mir oft: Wow, da muss noch viel Arbeit passieren.«
Müller ist Geschäftsführerin der Initiative D21, eines gemeinnützigen Vereins, der 1999 gegründet wurde, um eine digitale Spaltung in Deutschland zu verhindern. Für sie geht die Frage der Medienbildung weit über ein bloßes Verständnis von Computern und Anwendungsprogrammen hinaus. »Die simple Formel lautet: Lernen mit und über digitale Medien«, sagt sie. »Dazu gehört aber auch, dass Kinder eine Meinungsbildungskompetenz brauchen. Nur weil etwas im Internet steht, ist es noch lange nicht wahr.« Auch ein digitales Rechtsbewusstsein müsse vermittelt werden. »Als Kind lernt man: Wenn ich im Laden etwas mitnehme, muss ich es bezahlen«, sagt Müller. »Im Internet denken sich viele: Ach Mensch, das Bild kopier’ ich mir einfach raus.« Nicht zuletzt erfordert das Digitalzeitalter eine ganz neue Art der sozialen Kompetenz. Wer online streitet, bekommt die Reaktion seines Gegenübers nicht mit.
Das senkt so manche Hemmschwelle. »Für Cybermobbing«, sagt Müller, »braucht man eine ganz andere Aufklärung. Das alles muss in den Bildungsplänen verankert sein.« Doch hier ist Deutschland sehr wohl noch gespalten. Während in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Medienbildung in den Lehrplänen verankert wurde, ist sie in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachen, Nordrhein- Westfalen und Rheinland- Pfalz nur wenig verbindlich integriert. Allerdings existieren »hochwertige projektorientierte Angebote, die von den Schulen und Lehrern meist optional in Anspruch genommen werden können«, wie eine D21-Studie 2014 feststellte. Im Rest der Bundesrepublik liegt die schulische Medienbildung weitgehend in der Verantwortung der Schulen und Lehrer.
»Es gibt sehr engagierte Lehrkräfte «, sagt Ulrike Wagner vom Münchner Institut für Medienpädagogik. »Doch es hängt oft vom Zufall ab, ob ein Kind auf eine von ihnen trifft.« Kein Wunder, dass Deutschland bei der Schulleistungsstudie ICILS 2013 im Mittelfeld landete. Die ICILS misst mittels computerbasierter Tests, über welche computer- und informationsbezogene Kompetenzen Achtklässler im internationalen Vergleich verfügen. Auch die Studienautoren fordern eine konzeptionelle Verankerung digitaler Medien in den Lehrplänen, sonst werde Deutschland »zukünftig nicht über ein mittleres Leistungsniveau hinauskommen«. Ulrike Wagner sieht die Chancen dafür mit verhaltenem Optimismus. »Viele Entscheidungsträger haben erkannt, dass man etwas tun muss«, sagt sie. »Aber bis die Lehrpläne umgeschrieben sind, ist es ein langwieriger Prozess. Noch kommt zu wenig bei den Kindern und Jugendlichen an. Da werden noch einige Jahre vergehen.« Zuvor brauchen die Lehrkräfte selbst erst einmal eine fundierte Ausbildung.
Außerdem fehlt in vielen Schulen die entsprechende Infrastruktur. »Es kann nicht sein, dass ein Lehrer so nebenbei die gesamte IT-Administration erledigt«, sagt Lena- Sophie Müller. Wie die Medienbildung gestaltet werde, hänge dann von den einzelnen Lehrkräften ab. »Oft fehlt der ganzheitliche Ansatz «, kritisiert Ulrike Wagner. »Wenn ich beispielsweise mit den Kindern einen Film drehe, kann ich ihnen dabei viel über Veröffentlichung, Persönlichkeitsrechte und Datenschutz vermitteln. Das passiert dann gleichzeitig.« Trotzdem herrscht in vielen deutschen Schulen nach wie vor ein Handyverbot. »88 Prozent der Jugendlichen haben heute schon ein Smartphone«, sagt Lena- Sophie Müller.
An vielen Schulen herrscht Handyverbot
»Im Alltag bauen wir diese Geräte immer stärker ein, aber in der Schule wird den Kindern gesagt: Du darfst dieses Tor zum Wissen nicht nutzen. Ich mache mir Sorgen, dass es irgendwann Akzeptanzprobleme bei den Schülern geben wird.«
Wenn Lehrer Angst haben, dass alle Antworten einfach nur noch gegoogelt werden, dann »stellen sie vielleicht einfach die falschen Fragen«, sagt Müller. »Wann Napoleon geboren wurde, vergesse ich auch gleich wieder. Vielleicht wäre es also besser zu fragen, wie Napoleons Konflikte mit anderen Ländern zu bewerten sind. Wir vergeben uns damit eine große Chance auf Wissensvermittlung. «Oder wie es Ulrike Wagner formuliert: »Wenn ich etwas ausschließe, kann ich nichts darüber lernen.«