Robert Zepic, Marcus Dapp, Helmut Krcmar | zuerst erschienen in der Kommune21, Januar 2017
2010 zeichnete der eGovernment MONITOR der Initiative D21 und des Institute for Public Information Management (ipima), damals noch als Sonderteil des (N)Onliner Atlas, erstmals ein umfassendes Bild der E-Government-Situation in Deutschland und Vergleichsländern. 52,2 Prozent der deutschen Onliner konnten sich vor der Einführung des neuen Personalausweises (nPA) noch vorstellen, diesen als „Internetausweis“ zu verwenden. 70,1 Prozent waren es bei Smartphone-Nutzern. Eine große Mehrheit von 80,4 Prozent der Onliner, die zumindest ein E-Government-Angebot bereits genutzt hatten, waren zu diesem Zeitpunkt zufrieden mit dem existierenden Angebot.
Seitdem ist im deutschen E-Goverment viel geschehen: Ende 2010 erfolgte die Einführung des nPA, 2011 die erste Akkreditierung eines De-Mail-Providers. Die E-Government-Nutzung der deutschen Onliner erreichte 2012 die 45 Prozent Marke. Zehn Prozent der Befragten der Studie besaßen 2013 ein De-Mail-Konto und weitere 12 Prozent planten die Freischaltung. 2013 trat das E-Government-Gesetz des Bundes in Kraft und kurze Zeit später folgten die Bundesländer mit eigenen Initiativen. Das Bundeskabinett beschloss 2014 das Regierungsprogramm „Digitale Verwaltung 2020“. Im selben Jahr wurde die „Digitale Agenda 2014 – 2017“ veröffentlicht. 2015 trat der inzwischen vierte CIO Bund sein Amt an und Thüringen erhielt 2015 als letztes deutsches Bundesland einen eigenen Landes-CIO.
Zum siebten Mal in Folge hat der eGovernment MONITOR auch für 2016 ein Bild der E-Government-Situation gezeichnet und die deutschen Onliner nach ihrer Nutzung und Zufriedenheit mit E-Government-Angeboten befragt. In vielerlei Hinsicht mögen die Ergebnisse den Leser unserer Studie zufrieden stimmen: Ein Anstieg der E-Government-Nutzung in Deutschland um sechs Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. 62 Prozent Zufriedenheit mit dem verfügbaren Online-Angebot der eigenen Stadt zur Abwicklung von Behördengängen. Ein Rückgang nahezu aller abgefragten Nutzungsbarrieren. Und auch die Bekanntheit, derzeitige Nutzung und Nutzungsabsicht von Open Government Angeboten, traditionell geringer als andere E-Government-Angebote, nimmt erfreulicherweise zu.
Auf der anderen Seite sind 2016 lediglich vier Prozent der deutschen Onliner im Besitz eines nPA mit freigeschalteter Online-Ausweisfunktion (eID) und eines derzeit zur Verwendung benötigten Lesegerätes. Werte die überraschen, vergleicht man sie mit den Ergebnissen des eGovernment MONITOR 2010. Und auch die De-Mail, einst Hoffnungsträger von Politik und Verwaltung für die sichere elektronische Kommunikation mit dem Bürger, scheint in der Bevölkerung alles andere als „angekommen“ zu sein. Acht Prozent der Onliner besitzen mit Stand 2016 ein entsprechendes Konto, neun Prozent planen die Einrichtung – zusammengenommen fünf Prozentpunkte weniger als noch 2013. Mögen immerhin die Nutzungszahlen von E-Government-Angeboten im Vergleich zum Vorjahr auf 45 Prozentpunkte gestiegen sein, so relativiert sich dieser vermeintliche Erfolg, angesichts des unveränderten Wertes im Vergleich zu 2012. Der Anstieg ist also nur deshalb möglich, weil die Nutzungsquote zwischenzeitlich zurückgegangen ist.
The same procedure as last year? The same procedure as every year? Wieder nur eine weitere Negativmeldung zum Status quo des deutschen E-Government? Nicht ganz. Denn der eGovernment MONITOR erlaubt es dem Leser, Ursachen für die Entwicklung der Nutzung und Zufriedenheit der Bürger mit dem deutschen E-Government und mehr noch, Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung aus den Ergebnissen abzuleiten. Nehmen wir als Beispiel den nPA: 21 Prozent aller Befragten im Besitz des Ausweises erhielten bei der Aushändigung laut Befragungsergebnis keine weiteren Informationen zur Aktivierung der eID-Funktion. 16 Prozent derjenigen, die sich gegen die Freischaltung der eID-Funktion entschieden haben, erhielten zwar eine Information, aber eine andere als der Leser es vielleicht erwartet hätte: Von der Freischaltung wurde aktiv durch die Behörden abgeraten. Darüber hinaus kennen 59 Prozent viele Online-Angebote nicht, die mit der eID hätten genutzt werden können und 61 Prozent der Befragten geben an, gundsätzlich keinen Nutzen in einer Freischaltung zu sehen. Eine fatale Informationspolitik und ein unzureichendes Angebot – das oft zitierte Henne – Ei – Problem, es scheint zumindest im Fall eID nicht gänzlich unerklärbar. Ähnlich verhält es sich bei der De-Mail, bei der die herrschende mediale Berichterstattung doch zumindest hätte vermuten lassen, dass der Bürger das Angebot als unsicher ablehne und daraus die geringen Nutzungszahlen resultierten. Tatsächlich geben 37 der Befragten, die die De-Mail kennen, aber kein Konto haben und auch keine Einrichtung planen, an, dass die empfundene mangelnde Datensicherheit und Datenschutz einen Ablehnungsgrund für sie darstellt. Allerdings empfinden auch 33 Prozent der Befragten den Anmeldevorgang als zu kompliziert, 34 Prozent kritisieren, dass eine einfache Handhabung des Angebotes nicht gegeben sei und für 61 Prozent erschließt sich auch hier kein Mehrwert.
Auf der einen Seite kann man für Deutschland also urteilen: “E-Government ist en vogue”. Die allermeisten Kommunen besitzen inzwischen einen eigenen Online-Auftritt, nicht selten sogar eine eigene App. Die Zahl der Open Data Portale nimmt zu und Bürgerbeteiligung findet zunehmend onlineunterstützt statt. Ebenso ist das Bedürfnis, gar die Forderung nach E-Government mehr denn je vorhanden, nicht nur bei Bürgern und Unternehmen, sondern auch in der Verwaltung und ihren Mitarbeitern selbst. Doch es scheint, die Digitalisierung der Verwaltung geht am Nutzer vorbei: Systeme, werden ohne Einbezug der Endnutzer konzipiert und umgesetzt, und entsprechen dann häufig nicht ihren Bedürfnissen. Neben der eID des nPA und der De-Mail sind hier auch die unzähligen Apps der öffentlichen Hand zu nennen, die häufig ohne Nutzer und Nutzung bleiben. Was und wem nützen aber Apps, wenn sie nur eine Kopie von Webseiten ohne weiteren Mehrwert darstellen, die ein Bürger mit seinem Smartphone ohnehin hätte im mobilen Browser öffnen können? Welche gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Potenziale sollen offene Daten entfalten, wenn die spannendesten Datensätze unter Verschluss bleiben? Wieviel Beteiligung an E-Partizipation wollen wir erwarten, wenn nur die allerwenigsten Bürger die vorhandenen Angebote kennen und dann auch noch zuweilen das Budget für Werbemaßnahmen gestrichen wird? Bevor wir uns weiter fragen, was denn der Bürger nun will, dieses unbekannte Wesen, fragen Sie sich einmal selbst, wann Sie zuletzt eine De-Mail verschickt, von Ihrer eID-Funktion Gebrauch gemacht oder online an einer Konsultation Ihrer Stadt beteiligt haben. Der Bürger, das sind wir alle.
Die Staatsmodernisierung ist kein leichtes Unterfangen und sie wird nie abgeschlossen sein, solange ein Staat existiert. Verwaltung und Politik besitzen jedoch in ihren eigenen Reihen, in Wissenschaft, Wirtschaft und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Privatpersonen engagierteste Mitstreiter und Unterstützer bei der digitalen Transformation des Staates. National und international. Klug ist der Staat, der dieses Potenzial zu nutzen weiß.