AG-Blog | Zwischen Innovation und verantwortungsvoller Nutzung: Die neue Datenstrategie der Bundesregierung

Wie sieht die neue Datenstrategie der Bundesregierung unter der Federführung des BMWK, BMI und BMDV aus? Die AG Datendemokratie hat die bevorstehende Veröffentlichung zum Anlass genommen, um einen konstruktiven Blick zurück auf die Datenstrategie der Vorgängerregierung zu werfen und den Ausblick nach vorne zu wagen.

Berlin. Die innovative Nutzung von Daten kann unser tägliches Leben erleichtern und bereichern – beispielsweise kann die Nutzung von Verkehrsdaten die Optimierung des Verkehrsflusses ermöglichen und somit zur Verbesserung der Luft- und Lebensqualität führen. Die Datenstrategie der Bundesregierung soll den Nutzen und die Qualität von Daten in verschiedenen Bereichen wie Bildung, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft erhöhen. Die bisherige Datenstrategie wurde am 27. Januar 2021 verabschiedet und umfasst insgesamt vier Handlungsfelder. Sie soll die europäischen Werte und die technologische Souveränität im digitalen Zeitalter stärken.

Björn Stecher steht vor einem Bildschirm mit dem Agenda der Sitzung. Er gestikuliert, während er redet.
AG-Co-Leiter Björn Stecher begrüßt die Gäste.

In der ersten Sitzung unter der neuen Co-Leitung Lilian Dammann und Björn Stecher nahm die AG Datendemokratie die bevorstehende Veröffentlichung der neuen Datenstrategie der Bundesregierung zum Anlass, einen konstruktiven Blick zurück auf die Datenstrategie der Vorgängerregierung zu werfen und gleichzeitig den Ausblick nach vorne zu wagen. Mit Expert*innen aus der öffentlichen Verwaltung wurden mögliche Kernelemente der neuen Datenstrategie beleuchtet und gemeinsam analysiert, wo diese optimiert werden und wie ihr nachhaltiger Erfolg gesichert werden könnte. Bei seiner Eröffnung brachte AG-Co-Leiter Björn Stecher es treffend auf den Punkt: „Nichts passt thematisch besser als Opener zur AG Datendemokratie als die neue Datenstrategie der Bundesregierung“.

Vorabeinblick in die neue Datenstrategie der Bundesregierung

Zum Einstieg in die Thematik gab Ben Brake, Abteilungsleiter der Abteilung „Digital- und Datenpolitik“ im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), den Teilnehmenden der Sitzung einen Einblick in Eckpfeiler der noch nicht veröffentlichten neuen Datenstrategie der Bundesregierung. Brake hob zwei in seinen Augen besonders wichtige Punkte der neuen Strategie heraus:

  1. Mehr und bessere Daten: Zukünftig müsse zwischen qualitativ „guten und schlechten“ Daten unterschieden werden. Daten müssten verwendbar und anwendbar sein. Statt den Fokus nur auf die reine Quantität der Datenmengen zu legen, müsse die Betrachtung der Daten hinsichtlich ihrer Qualität und Anwendbarkeit stärker berücksichtigt werden. Somit sei neben der Qualität der Daten auch die Art und Weise relevant, wie diese zur Verfügung gestellt werden (Stichwort Open Data).
  2. Offene Standards und Normen: Obwohl Brake zu Beginn eine eher zurückhaltende Haltung gegenüber gesetzlichen Regulierungen durch die Regierung äußert, betont er die Wichtigkeit von offenen Standards und Normen für die Umsetzung der Projekte und Maßnahmen der bisherigen und der neuen Datenstrategie: „Alle Projekte, die wir anstoßen und fördern, sollen auch umsetzbar sein. Dafür werden offene Standards und Normen benötigt.“ Tatsächlich seien gesetzliche Regulierung und Standards unterschiedliche Ebenen, weil Standards immer freiwillig sind. Hierzu sah Brake die Notwendigkeit von Datenräumen, die durch Konnektoren verbunden werden und somit miteinander in Kommunikation stehen können: 
Ich bin der Überzeugung, dass Digitalisierung aus den einzelnen Domains heraus gedacht werden muss. Datenräume müssen miteinander kommunizieren.
Ben Brake, BMDV

Der Austausch zwischen den einzelnen Datenräumen solle an den Stellen möglich sein, wo er gewünscht und sinnvoll ist. Voneinander abgeschottete Datensilos sollten in Zukunft der Vergangenheit angehören. Nutzungsanwendungen, in denen besonders sensible Daten gesammelt werden, wie bspw. im Datenraum Gesundheitssektor, könnten hier aber eine Ausnahme darstellen. Hier forderte Brake unter anderem Standards für sinnvolle Labels für Daten und Datenräume, die eine strukturierte interne Kommunikation zwischen den verschiedenen Datenräumen ermöglichen.

Ban Brake bei seinem Vortrag. Im Vordergrund des Bildes sind einige Personen im Publikum von hinten zu sehen.
Brake brachte den Teilnehmenden der Sitzung einen Einblick in die noch nicht veröffentlichte neue Datenstrategie der Bundesregierung mit.

Hinzu komme ein internationaler Faktor: Auf den internationalen Märkten herrsche ein ständiger Wettkampf um neue Standards in der Datenverarbeitung: „Wer den neusten Standard definiert, definiert auch den Markt“, so Brake. Gerade Deutschland, aber auch andere westliche Länder wie die USA, würden in diesem Punkt anderen Staaten hinterher hängen. Auch hier glaubt Brake, dass offene Standards und Normen dem entgegenwirken können. Brake sprach zudem von einer Änderung der Datenkultur und der Datennutzung – sowohl in der Verwaltung als auch in der Gesellschaft. Die neue Datenstrategie könne also auch als ein Versuch eines Kulturwechsels in der Regierung und Verwaltung verstanden werden. So könne die strukturierte und systematische Nutzung von Daten auch zu einer offeneren Kommunikation zwischen den einzelnen Datenlaboren der verschiedenen Ressorts führen. Gleichzeitig kritisierte Brake den Personalmangel im Bereich der Datenverarbeitung, der diese Entwicklungen drastisch erschwere.

Die neue Datenstrategie als eine Vertiefung ihrer Vorgängerversion

Brake betonte auch, dass die neue nicht die vorherige Strategie ersetzen solle, sondern eher als eine Erweiterung dieser verstanden werden könne:

Die Verabschiedung der neuen Strategie wird nicht bedeuten, dass die Maßnahmen der Vorgängerversion gestoppt werden.
Ben Brake, BMDV

Die neue Strategie solle auf gleich zwei Ebenen ansetzen – zum einen auf der nationalen, zum anderen auf der europäischen Ebene. Dabei stehe die Regierung in permanenten Austausch mit Vertreter*innen der Industrie. Deutschland weise im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern eine sehr spezifische Industriekultur auf, mit einem verhältnismäßig stark ausgeprägten zweiten Wirtschaftssektor (industrielle Produktion). Diese Besonderheit Deutschlands innerhalb Europas könne ein Hindernis für das Voranschreiten der Digitalisierung und Datennutzung darstellen. 

Nahaufnahme von Ben Brake während seines Vortrags
Brake sprach von einer Änderung der Datenkultur und der Datennutzung in Verwaltung und Gesellschaft.

Als Beispiel für eine erfolgreichere Datendigitalisierung nannte Brake Finnland: Im Unterschied zu Deutschland weise das Land einen starken dritten Wirtschaftssektor (also Dienstleistungssektor) auf. Die Notwendigkeit der Nutzung von Daten zum Bereitstellen und zur Verbesserung der Serviceleistungen treibe die Datendigitalisierung dort stärker voran. Auf europäischer Ebene sprach Brake von der Wichtigkeit einer Entwicklung hin zu datenbasierter Wertschöpfung im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Datenziele. Dabei solle die Datenstrategie keine Interessensvertretung einzelner Unternehmen darstellen, sondern sich für gesamteuropäische Ziele einsetzen.

Chancen für die deutsche Wirtschaft und Verwaltung?

In einer von AG-Co-Leiterin Lilian Dammann moderierten Paneldiskussion diskutierten Evelyn Graß, Referatsleiterin VIB1 „Künstliche Intelligenz, Datenökonomie, Blockchain“ (BMWK), Britta Daffner, Head of Data Culture & Strategy o2 Telefónica, und Lina Rusch, Redaktionsleiterin Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI, über die Notwendigkeit und den Nutzen der neuen Datenstrategie.

Evelyn Graß teilte die Perspektive des Wirtschaftsministeriums – eines der drei Ministerien, die die neue Datenstrategie konzipiert haben – auf die Strategie mit den Teilnehmenden. Diese stelle in erster Linie den Versuch dar, Leitlinien für eine kompetentere Datennutzung bereitstellen zu können:

Daten sind die essenzielle Grundlage für die Zukunft, Gegenwart und eine gelungene digitale Transformation.
Evelyn Graß, BMWK

Die richtige Nutzung von Daten biete viele Chancen und könne die Lebensqualität aller Menschen verbessern. So könnten beispielsweise Produktionsabläufe optimiert und somit Ressourcen geschont werden. Ebenfalls spielten nutzbare und vertrauenswürdige Daten eine entscheidende Rolle für das Vorantreiben von KI. Als eines der Ziele der neuen Datenstrategie der Bundesregierung könne somit die Optimierung der Ausschöpfung und Verwendung der Daten verstanden werden. Dennoch würden auch viele Zielkonflikte und Spannungsfelder auftreten – und das nicht nur zwischen den einzelnen Ministerien, sondern auch in Wirtschaft und Zivilgesellschaft. 

Vier Personen sitzen auf Stühlen in einer Reihe und und diskutieren miteinander und mit dem Publikum.
V. l. n. r.: Evelyn Graß (BMWK), Britta Daffner (o2 Telefónica), Moderatorin Lilian Dammann, Lina Rusch (Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI).

Das Ziel der neuen Datenstrategie müsse somit sein, den größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu finden. Als besonders relevante für das BMWK hob Graß dabei folgende Punkte hervor:

  • die Regelung von Datennutzung und Datenbreitstellung (Data Act)
  • die Vereinfachung von Datennutzung
  • die Wichtigkeit von Datenräumen und offenen Standards
  • die Gewährleistung von grenzüberschreitendem Datenaustausch (sicher nach DSVGO)
  • gute Rahmenbedingungen für datenbasierte Geschäftsmodelle in der Wirtschaft
  • Hilfestellungen für (rechts-)sichere Datennutzung für Unternehmen
  • Standards für Datensicherheit und -schutz

Auch das Thema „Daten in der öffentlichen Verwaltung“ solle in der neuen Strategie nicht zu kurz kommen. Graß betont die Wichtigkeit der Zugänglichkeit der Daten für die Arbeit in den Datenlaboren und die damit verbundene Nutzung, Sammlung sowie Aufbereitung der Daten. Die Bundesregierung müsse neue Angebote und Technologien als erste nutzen und mit einer Vorbildfunktion voran gehen. So könne Graß sich beispielsweise die Anwendung großer KI-Modelle auf die Datenlabore und die dort verarbeiteten Daten vorstellen. Gleichzeitig habe man ebenfalls die Steigerung der Effizienz durch solche neuen technologischen Möglichkeiten im Blick. Graß wünschte sich einen lebendigen Prozess bei der Gestaltung der neuen Datenstrategie – es sollen Leitplanken geschaffen werden, mit denen die Gesellschaft dann gemeinsam vorgehen könne.

Eine neue Datenkultur?

Auf Nachfrage von Lina Rusch, ob sich der Nutzen der neuen Datenstrategie nicht hauptsächlich regierungsintern gestaltet, betont Graß, dass die neue Datenstrategie nicht nur selbstadressiert sei, sondern idealerweise an die Gesamtgesellschaft herangetragen werden solle: „Der Umgang mit Daten und Datenkultur geht uns alle etwas an.“ Grundsätzlich wünsche sie sich gerade mit Blick auf die Zukunft ein positives Bild von Daten und deren Nutzungspotenzial. Die neue Datenstrategie solle vermitteln, dass mit den Daten verantwortlich umgegangen werde und dass die Bundesregierung die Chancen, die Datenverfügbarkeit und -nutzung mit sich bringen, im Blick habe.

Dr. Winfried Veil, Referent für Datenpolitik, Datenstrategie und Open Data im BMI, stimmte Graß hier zu: Die neue Datenstrategie beschreibe einen Paradigmenwechsel. Es solle eine positive Einstellung gegenüber der Datennutzung erreicht werden. Die neue Datenverarbeitungsverordnung könne als einschränkend, aber auch als ermächtigend gelesen werden. Es gebe aber immer noch viele Stimmen, die sich auf die Risiken der Datennutzung fokussieren würden – sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft. Veil wünschte sich – nach der Klärung wichtiger Punkte wie Urheberschaft oder Betriebsgeheimnissen – eine bewusste Entscheidung für den Nutzen der Datenverarbeitung, obwohl gewisse Risiken vorhanden seien.

Warum genau jetzt eine neue Datenstrategie?

Vier Personen sitzen auf Stühlen in einer Reihe und schauen ins Publikum, wo gerade eine Frage gestellt wird.
Die Frage nach dem Nutzen einer neuen Datenstrategie nur 2 Jahre nach der letzten bewegte das Podium.

Lina Rusch zeigt sich überrascht von der raschen Ablösung der „alten“ Datenstrategie. Sie sei über die Ankündigung zunächst verwundert gewesen, da die Verabschiedung der Vorgängerversion gerade einmal etwas über zwei Jahre her sei. Durch die Erläuterungen zur neuen Strategie als Vertiefung bzw. Ergänzung der Vorgängerversion könne sie dies aber nun besser nachvollziehen. Als positiv hob sie hervor, dass die Maßnahmen der alten Strategie somit nicht verloren gingen, sondern gegebenenfalls sogar ergänzt und erweitert würden. Dennoch sei Sie der Meinung, dass in der Gesellschaft „gerade niemand auf eine neue Datenstrategie warte“. Die alte Datenstrategie sei während der Corona-Pandemie zu einem äußerst relevanten Zeitpunkt verabschiedet worden, allerdings falle es ihr schwer, die Notwendigkeit einer neuen Datenstrategie zum aktuellen Zeitpunkt zu sehen. Fraglich sei vor allem der Nutzen dieser neuen Strategie für die Zivilgesellschaft.

Zudem stellt Rusch den Erfolg bei der bisherigen Umsetzung der „alten“ Datenstrategie in Frage. Auf der Website der Bundesregierung zur Datenstrategie befinde sich die Aussage, dass die Datenstrategie nach knapp zwölf Monaten nach Ihrem Beschluss die bisher am schnellsten umgesetzte Digitalstrategie der Bundesregierung sei. Dabei werde jedoch ein Großteil der Maßnahmen (76%) als „laufend“ aufgeführt und nur ein kleiner Teil (11%) als tatsächlich abgeschlossen.

Plädoyer für eine Usecase-getriebene Datenstrategie

Britta Daffner brachte als Verantwortliche eines datenorientierten Transformationsprozess in einem Unternehmen ihre Perspektive aus dem privatwirtschaftlichen Sektor mit ein. „Eigentlich warten hier alle auf eine Datenstrategie“, so Daffner. Dabei sei die Betrachtung der Ziele sowie der notwendigen Schritte auf dem Weg dahin besonders wichtig. Vor allem die Messbarkeit der Maßnahmen dürfe nicht vernachlässigt werden. Sie sprach sich auch für einen Usecase-getriebenen Ansatz bei der Konzipierung der Datenstrategie aus und nannte Estland als gelungenes Beispiel Gerade beim Punkt Open Data sei eine nutzer*innenorientierte Vorgehensweise essenziell. So müsse die Reihenfolge anders gedacht werden: Zunächst sollten Usecases gesammelt werden, um anschließend die dazugehörigen Datensätze zielgerecht freigegeben zu können.

Insgesamt müsse das Thema eine noch höhere Priorität bei der Politik bekommen. Es müssten Rollen und Verantwortungen geschaffen und diese Positionen mit Personen mit entsprechendem Hintergrundwissen und Kompetenzen besetzt werden:

Wären wir bei Wünsch-Dir-Was, würde ich mir wünschen, dass jemand mit Geld und Autorität ausgestattet wird, um mit Strahlkraft Datenkultur und Datenwertschöpfung nach vorne zu bringen.
Britta Daffner, o2 Telefónica

Die AG-Teilnehmenden waren sich einig: Die Festlegung von Zielvorstellungen, Maßnahmen und Richtlinien ist wichtig, aber ohne praktische Umsetzung geht es nicht. Datennutzung und Datenverfügbarkeit sind Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Die Datenstrategie der Bundesregierung wird die AG Datendemokratie daher in den nächsten Monaten bei ihren Sitzungen weiter begleiten.

Das Publikum bei der AG Datendemokratie.
Die Gäste der AG Datendemokratie zeigten sich sehr interessiert an den Diskussionen rund um eine Datenstrategie der Bundesregierung.

Ansprechpartner in der Geschäftsstelle

Porträt von Alexander Köhler