Digitale Teilhabe: Was wir als Digitalszene besser machen können

Viele Menschen, z. B. Ältere, stehen vor digitalen Hürden. Können wir das ändern und verbessern? Gemeinsam mit Expert*innen haben wir auf Clubhouse über digitale Teilhabe und Inklusion gesprochen.

Eventgrafik für die Veranstaltung "Digitale Teilhabe". Zu sehen sind die Portraits der Panelist*innen und der Text "Was wir als DIgitalszene besser machen können"

Berlin/virtuell. 9 Millionen Menschen in Deutschland sind „Offliner*innen“, haben keinen Zugang zum Internet. In der Gruppe der Menschen mit niedrigem Bildungsgrad gehört sogar für ein Drittel das Internet nicht zu ihrem Leben, so die Ergebnisse des D21-Digital-Index. Als Gründe geben die Befragten dabei vor allem an, dass sie keinen Nutzen für sich persönlich in der Nutzung des Internets sehen würden oder dass die Bedienung zu komplex sei. Wenn das Ziel nun aber lautet, dass alle Menschen bestmöglich von der Digitalisierung profitieren sollen, wie können wir als digitale Gesellschaft diese Menschen abholen und ihnen die Teilhabe in der digitalen Welt ermöglichen? Das war die Ausgangsfrage der Gesprächsrunde auf der Social-App Clubhouse zum Thema „Digitale Teilhabe“.

Ungefähr 90 Gäste nahmen teil, hörten zu und diskutierten mit Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Digitales, Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21, Dagmar Hirche, Gründerin des Vereins „Wege aus der Einsamkeit“, und Benedikt Lika, Vorsitzender des Forums Menschen mit Behinderung der CSU. Gerlach unterstrich gleich zu Beginn die Wichtigkeit des Themas „Digitale Teilhabe“, das die Digitalisierung und die Menschen miteinander verbinde:

Die Frage, wer wirklich von welcher neuen Technologie und Entwicklung profitiert, darf nicht vermieden werden.
Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Digitales

Teilhabe an der Gesellschaft durch Digitalisierung

Eine ältere Person hält ein Smartphone in beiden Händen.

Zunächst betrachteten die Diskutant*innen das Thema vor allem aus einem chancenorientierten Blickwinkel. Benedikt Lika, selbst kleinwüchsig und auf den Rollstuhl angewiesen, stellte die Verbesserung seines Alltags und des Alltags anderer Menschen mit Behinderung durch digitale Errungenschaften vor: Ein elektronisches Türschloss mit zugehöriger App ermöglicht ihm das selbstständige Öffnen seiner Haustür; die crowdbasierte Website Wheelmap erleichtert das Auffinden barrierefreier öffentlicher Orte wie zum Beispiel Cafés oder Bahnstationen. Be My Eyes wiederum ist eine App, in der sehbehinderte Menschen sich die Augen einer sehenden Person „ausleihen“ können, um bestimmte Herausforderungendes Alltags zu meistern, zum Beispiel das Lesen eines Straßennamens oder die farbliche Zusammenstellung der Kleidung.

Dagmar Hirche berichtete aus ihrer Arbeit mit Senior*innen in Altenheimen, wie diese über einen Videoanruf mit dem Smartphone zum ersten Mal überhaupt die Chance hatten, ihre Enkel in Kanada zu sehen. Solche Beispiele machen deutlich, dass die Digitalisierung für einige die Teilhabe an der Gesellschaft erleichtert oder sogar erst ermöglicht.

Zugangshürden für digitale Teilhabe

Hirche zeigte aber gleichzeitig auf, wie wenig sichtbar die Vorteile der Digitalisierung für ältere Menschen oft seien. Mit ihrem Verein begleitet sie Senior*innen in die digitale Welt und hat sich zum Ziel gesetzt, die ältere Generation auf Augenhöhe ohne Überforderung mitzunehmen. 

Man muss die Interessen der Senior*innen so konkret wie möglich ansprechen und die persönliche Motivation schaffen, Schwellen zu überwinden. Dabei ist es wichtig, nicht unseren Blick auf die Vorzüge der digitalen Welt vorauszusetzen, sondern zu akzeptieren, dass ihre digitale Welt eine andere sein kann als unsere.
Dagmar Hirche, Gründerin des Vereins „Wege aus der Einsamkeit“

In Pandemie-Zeiten feiert sie mit den Senior*innen Partys via Zoom, macht über die Entfernung gemeinsam Sitz-Yoga und Kaffeeklatsch. Englische Fachbegriffe vermeidet sie dabei – der Abschreckung wegen.

Projekte wie dieses seien einer der Gründe, warum sie den Digitalpreis „B.DiGiTAL“ mit dem Schwerpunkt „Digitale Teilhabe“ ins Leben gerufen habe, so Judith Gerlach. Der Preis solle aktiv Sichtbarkeit für Projekte und Ideen schaffen, die die Partizipation voranbringen. Bisher bekämen diese oftmals keine Anerkennung und würden keinen größeren Nutzer*innenkreis finden. Das wolle sie ändern.

Konkrete Lösungsansätze: Was können wir besser machen?

Im Gespräch sammelten die Panelist*innen, aber auch die beteiligten Gäste verschiedene ganz konkrete Vorschläge und Ideen, die uns als Gesellschaft in Bezug auf die digitale Teilhabe von den bisherigen Offliner*innen voranbringen könnten – Lösungsansätze, die auf der Hand liegen, aber auch solche, die kreativ um die Ecke denken. Einige Beispiele:

  • Eine kostenfreie Ausstattung mit grundlegendem W-Lan für alle Senior*innen-Wohnungen und Altenheime sei essenziell für die Auseinandersetzung mit dem Internet und seinen Möglichkeiten.
  • Die konventionellen Medien – Fernsehen, Radio, Wochenblätter, die z. B. in älteren Menschen eine große Zielgruppe haben – müssten ihre Rolle in der digitalen Fortbildung reflektieren und einerseits auf bestehende Unterstützungsangebote aufmerksam machen, andererseits aber auch selbst ein digitales Bildungsprogramm für ältere Menschen ähnlich dem für Kinder entwickeln. „Was spricht gegen eine halbe Stunde ,Wie benutze ich ein Smartphone?‘ in einem der dritten Programme?“, fragte Hirche in die Runde.
  • Analoge Wege beschreiten, um Menschen mit digitalen Angeboten zu erreichen: Es müsse mehr Vor-Ort-Angebote für alte Menschen geben, bei denen ihnen niedrigschwellig und ausführlich die Anwendung z. B. eines Smartphones erklärt werde. Die eigene Familie sei hierbei oft zu ungeduldig – neue Partnerschaften zwischen jungen, digital aktiven Menschen und digitalen Einsteiger*innen könnten hier Abhilfe schaffen.
  • Dass Sprache ausschließend wirken kann, ist keine neue Erkenntnis, wirke aber beim Digitalen nochmal stärker, da englische Fachbegriffe einen Großteil des Diskurses ausmachten. Diese müssten in einfacher Sprache erklärt und bei initialen Gesprächen über den Nutzen der Digitalisierung am besten ganz vermieden werden. Mit einfacher Sprache ließen sich auch grundsätzlich neue Zielgruppen erschließen.
  • Bei der Etablierung neuer Formate der digitalen Verwaltung dürfe die Fortbildung der Mitarbeitenden nicht als letztes Glied der Kette betrachtet werden. Nur wenn die Mitarbeitenden die Systeme selbst wirklich verstünden, könnten sie auch niedrigschwellig dazu beraten und unterstützen.
  • Marginalisierte Gruppen, z. B. Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder queere Menschen, aber auch Frauen, müssten in IT-Berufen besser repräsentiert werden, damit ihre Perspektiven auch bei der Entwicklung von Algorithmen mitgedacht werden. Judith Gerlach erläuterte, wie dies langfristig zu einer besseren digitalen Teilhabe der jeweiligen Gruppen führen könne.
  • Barrierefreie Inhalte sind heutzutage möglich und wichtig. Das geht von barrierefreien PDFs bei digitalen Publikationen (die z. B. Beschreibungen für Grafiken enthalten müssen und auch sonst für die Screenreader-Programme seheingeschränkter Menschen ausgerichtet sein sollten) bis hin zu Tweets und Instagram-Posts, für die jedeR leicht Bildbeschreibungen anlegen kann.
  • Plattformen müssten in die Pflicht genommen werden, bei ihren Online-Angeboten immer mindestens zwei Sinne (z. B. Hören, Sehen) anzusprechen, sodass Menschen mit Einschränkungen die Angebote auch wahrnehmen können. An dieser Stelle müsse auch Clubhouse, die Plattform, auf der die Gesprächsrunde stattfand, dringend nachbessern.

Digitale*r Einstiegshelfer*in für andere sein

Lena-Sophie Müller fasste am Ende zusammen: Es ist wichtig, das Thema digitale Inklusion und Teilhabe regelmäßig zu thematisieren – dabei müssen wir als Akteur*innen in der Digitalszene selbst Anfänge machen. Der Befähigung und dem Empowerment durch digitale Errungenschaften stehen dabei große Hürden im Zugang zur digitalen Welt gegenüber, die wir inklusiver denken müssen. Oft ist es der erste Einstieg, der fehle und der den entscheidenden Durchbruch bei der Teilhabe in der digitalen Gesellschaft bringen könnte:

Lassen Sie uns auf die Menschen um uns herum schauen: Vielleicht gibt es auch in unserem Alltag jemanden, für den wir mit empathischer Motivation der erste Einstieg in die digitale Welt sein können.
Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21

Ansprechpartnerin in der Geschäftsstelle

Porträt von Lena-Sophie Müller

Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin

- in einer beruflichen Auszeit -