Interview | Hannes Schwaderer und Prof. Dr. Helmut Krcmar zu den Ergebnissen des eGovernment MONITOR

Wir müssen nachlegen: Nutzerorientierung und -freundlichkeit weiter steigern“ – Über die Ergebnisse und allgemeine Erkenntnisse der Erhebung sprach der Behörden Spiegel mit dem Präsidenten der Initiative D21 und dem Direktor von fortiss.

Das Interview erschien zuerst im Behörden Spiegel (Dezember 2018). Die Fragen stellte Guido Gehrt.

Der eGovernment Monitor beobachtet nun bereits seit 2011 die Entwicklung des E-Government in Deutschland. Ist es nicht in gewisser Weise frustrierend zu sehen, dass sich in diesem Zeitraum hierzulande so wenig bewegt hat?

Prof. Dr. Helmut Krcmar: Der eGovernment MONITOR analysiert den dynamischen Prozess, wie sich Akzeptanz und Nutzung über die Jahre entwickelt haben: insofern muss man das differenziert betrachten. Beispielsweise bleiben die Erwartungen der Bürger*innen ja nicht gleich, sondern entwickeln sich weiter – was sich dann auf die Bewertung der gegenwärtigen Lage auswirkt. Natürlich wäre es aber schön gewesen, wenn man hier eine positive Entwicklung verzeichnen könnte.

Man weiß seit Langem, wo die Handlungsbedarfe liegen. So hat sich die Hauptbarriere der mangelnden Bekanntheit in den vergangenen vier Jahren deutlich verringert. Noch 2014 gaben fast 80 Prozent der Befragten als größte Hürde an, dass E-Government-Dienste nicht bekannt sind. Mittlerweile hat sich diese Zahl halbiert. Auf die Nutzung hat dies aber noch keinen Effekt, auch weil viele Dienste einfach immer noch nicht durchgängig online verfügbar sind.

Die Digitalisierung von Verwaltungsdiensten bleibt ein Mammut-Projekt, das jetzt mit den politischen Weichenstellungen des Onlinezugangsgesetzes an Geschwindigkeit gewinnt. Wahr ist aber eben auch: Das hätte durchaus früher passieren können.

Erleben Sie bei der jährlich durchgeführten Studie überhaupt noch Überraschungen? Wenn ja, welche?

Krcmar: Ja, durchaus! Wir beobachten beispielsweise, dass die Zufriedenheit in Österreich trotz eines vergleichsweise gut ausgebauten digitalen Verwaltungsangebots abnimmt, auch wenn sie sich noch immer auf deutlich höherem Niveau befindet als in Deutschland. Das zeigt, dass man sich auf den mutmaßlichen Erfolgen nicht ausruhen darf, sondern die Angebote permanent verbessern muss. Die Technik, die Nutzer*innenfreundlichkeit und der Zugang zu vielen Diensten, die man im alltäglichen Leben nutzt, hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Das erwarten die Bürger*innen dann natürlich auch im Umgang mit den staatlichen Diensten.

In diesem Jahr haben wir mit der Studie erstmalig die Akzeptanz zu neuartigen Interaktionswegen über digitale Assistenten abgefragt. Hier hat uns beispielsweise doch etwas überrascht, wie offen sich die Menschen generell gegenüber solchen Digitalassistenten zeigen. Länderübergreifend können sich in der DACH-Region 80 Prozent vorstellen, mit ihnen für Verwaltungsdienstleistungen zu interagieren, vor allem bei Standardanliegen.

Die Nutzungsraten in Österreich und der Schweiz sind signifikant besser als in Deutschland. Warum ist das so?

Hannes Schwaderer: Das hat verschiedene Gründe: Österreich und die Schweiz haben schon früher umfangreichere Maßnahmen ergriffen, um ihre Angebote zu entwickeln. Beispielsweise hat Österreich bereits sehr früh zentrale Register eingeführt. Zudem wird es natürlich komplexer, je größer ein Land ist, je mehr Menschen und vor allem auch unterschiedliche Verwaltungsebenen man zusammenführen muss. Am Ende hängen Akzeptanz und Nutzung aber vor allem davon ab, wie sinnvoll und erleichternd die Menschen die Angebote finden – und da kann man aktuell in Österreich und der Schweiz deutlich mehr machen als in Deutschland. Dort lassen sich mehr behördliche Verwaltungsdienste komplett über das Internet abwickeln, in Deutschland führt der Weg hingegen früher oder später in der Regel zum persönlichen Termin auf dem Amt.

Ein Beispiel, wo Österreich einen entscheidenden Schritt weiter ist: Die Nutzung des Internets und digitaler Dienste verlagert sich immer mehr auf die mobile Nutzung per Smartphone oder Tablet. Österreich hat diese Entwicklung aufgegriffen und verfolgt daher die Strategie, auch die E-Government-Angebote stärker darauf auszurichten. Dienste werden so vereinfacht und nutzerfreundlicher gestaltet, dass sie sich auch über das Smartphone erledigen lassen.

Inwieweit ist die geringe E-Government-Nutzung auch ein Zeichen von mangelndem Vertrauen gegenüber „dem Staat“?

Schwaderer: Ich glaube nicht, dass die geringe Nutzung in Deutschland ein generelles Misstrauen gegenüber dem Staat widerspiegelt. Die Bürgerinnen und Bürger haben allerdings gewisse Ansprüche für eine Nutzung. Sie legen hohen Wert auf Datenschutz und Datensicherheit. Es ist also wichtig, dass der Staat sie verständlich und transparent über den Umgang und die Speicherung aufklärt. Das muss Hand in Hand mit einer spürbaren Erleichterung von Verwaltungsangelegenheiten gehen und einen echten Mehrwert bieten. Dann bin ich überzeugt, dass die Menschen in Deutschland die Angebote gerne annehmen und die Nutzungszahlen signifikant steigen werden.

Lässt die Studie Rückschlüsse darauf zu, wie es gelingen kann, Deutschland von der E-Government-Lethargie zu befreien?

Krcmar: Wir sollten viel stärker auf das hören, was die Bürger*innen sich wünschen. Der eGovernment MONITOR zeigt auf, welche Dienste die Menschen in ihrem privaten Umfeld kennen und verwenden – und auch, welche sie sich für die behördlichen Online-Dienste vorstellen können. Diesen Schatz muss man heben, die Menschen einbeziehen und die Angebote direkt an ihrem Bedarf ausrichten. Dazu muss ein Perspektivwechsel stattfinden, weg von der Anbieterperspektive hin zur Nutzer*innenperspektive. Zurzeit geschieht das immer öfter, müsste im Idealfall aber flächendeckend Anwendung finden.

Ein Beispiel dafür ist die digitale Identifikation: Fast 70 Prozent besitzen mittlerweile den Personalausweis im Scheckkartenformat, aber nur jeder Fünfte hat die eID-Funktion freigeschaltet und nur noch sechs Prozent haben ein Lesegerät. Hier hat man offenkundig an den Nutzer*innen vorbei entwickelt und ihn nicht nach ihren Wünschen gefragt, noch konkrete Anreize geschaffen. In Österreich hingegen hat mehr als jede*r Dritte die Funktionen freigeschaltet, dort können Sie sich auch bequem per Handysignatur identifizieren – etwas, das die Menschen auch aus ihrer privaten Nutzung kennen.

In der aktuellen Studie haben Sie in einer Citizen Journey erstmals die erlebte Interaktion der Befragten mit den Behörden nachgezeichnet. Welche Feststellungen und Lehren lassen sich aus dieser Erhebung ziehen?

Schwaderer: Wir haben für die drei Vergleichsländer aufgezeigt, über welche Kontaktkanäle, also z. B. das Telefon, per Brief, über die Homepage oder persönlich im Amt, die erste Informationsbeschaffung stattfindet. Wo eventuelle Beratungen und der Abschluss einer Leistung erfolgen und wie die Wanderbewegungen zwischen diesen Kanälen sind. Das Ergebnis zeigt, dass gerade in Deutschland die meisten Wege früher oder später aufs Amt zum persönlichen Kontakt führen – deutlich öfter als in Österreich und der Schweiz. So schließen in Deutschland gerade einmal 18 Prozent ihr Anliegen online ab, in Österreich dagegen sind es 37 Prozent.

Damit spiegelt die Citizen Journey die nach wie vor bestehende Logik von behördlichen Prozessen in Deutschland wider. Wer sich beispielsweise telefonisch informiert, wird aktuell mit hoher Wahrscheinlichkeit aufs Amt ausweichen müssen und kann den erwünschten Dienst nicht online abwickeln. Die Wanderbewegungen zwischen den Kontaktkanälen müssten aber stärker hin zu den Onlineangeboten gehen. Denn laut unseren Erhebungen wünschen sich viele Bürger*innen die Erledigung von Behördenanliegen online, insbesondere bei Standardanliegen, wie dem Beantragen von Dokumenten oder Ausweisen. Das bedeutet, dass wir viel stärker durchgängige Online-Prozesse brauchen und die Kanäle integrierter denken müssen. Denn mein persönlicher Nutzen ist überschaubar, wenn ich ein Formular zwar online aufrufen kann, es dann aber ausdrucken und per Post schicken oder persönlich vorlegen muss. Hier müssen wir nachlegen.