„Kluge regionale Konfiguration und eine stärkere Nutzer*innenorientierung sind notwendig.“

Interview mit Dr. André Göbel für das „Bundesländer Spezial“ im eGovernment MONITOR 2024

Dr. Göbel, der eGovernment Monitor beobachtet seit 2010 die Nutzung und Akzeptanz digitaler Verwaltungsleistungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seit 2021 gibt es auch jährliche Berichte für die 16 Bundesländer. Hierbei fällt auf, dass sich die Bundesländer in der Nutzung (14 Prozentpunkte Differenz zwischen höchster und geringster Nutzung) und der Zufriedenheit (18 Prozentpunkte Differenz zwischen höchster und geringster Zufriedenheit) des E-Government-Angebots vor Ort deutlich unterscheiden. Diese Unterschiede bleiben beständig. Was sind die Gründe für diese Diskrepanzen? Sind die Bundesländer wirklich so unterschiedlich aufgestellt, wenn es um digitale Verwaltungsleistungen geht?

Natürlich gibt es Unterschiede im Digitalisierungsgrad von Veraltungsleistungen zwischen den Ländern. Das zeigen auch andere Studien. Ich wäre aber vorsichtig, diese Unterschiede als alleinige Ursache für die Diskrepanzen in der Nutzung und Zufriedenheit zwischen den Bundesländern zu betrachten. Wir wissen, dass Flächenländer oft vor größere Herausforderungen bei der Entwicklung und Bereitstellung von Verwaltungsleistungen stehen als Stadtstaaten. Solche strukturellen Unterschiede haben zwar Auswirkungen auf die Nutzungsquote, sie korrelieren aber nicht zwangsläufig mit einer positiven Nutzer*innenerfahrung, also der Zufriedenheit der Bürger*innen mit der genutzten Leistung. Die Unterschiede in der Nutzung und Zufriedenheit sind demnach auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen. Hier müssen wir noch weitere Erkenntnisse sammeln, um noch genauer zu verstehen.

Zwei wesentliche Punkte werden aber deutlich: Erstens ist in Deutschland der Wohnort entscheidend für die Quantität und Qualität der verfügbaren digitalen Verwaltungsleistungen. Das widerspricht dem Prinzip gleichberechtigter Lebensbedingungen, wenn es darum geht, das Leben der Bürger*innen durch effiziente und moderne Verwaltung zu erleichtern. Eine Harmonisierung ist schon im Grundsatz geboten, um sicherzustellen, dass alle Bürger*innen gleichermaßen von den Vorteilen einer modernen Verwaltung profitieren. Deswegen ist die Arbeit des IT-Planungsrats so wichtig: Ähnlich wie beim „Einer-für-Alle“-Prinzip in der Softwarebereitstellung, werden hier gemeinsame Strategien zur Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung abgestimmt, sowie einheitliche IT-Architekturen und standardisierte IT-Schnittstellen für alle Verwaltungsebenen beschlossen. Dies schafft die Grundlage dafür, dass sich öffentliche und private IT-Dienstleister unabhängig engagieren können und dabei die lokalen Vorschriften und Besonderheiten berücksichtigen, um die regionale Relevanz und Akzeptanz der digitalen Verwaltungsleistungen zu erhöhen.

Und zweitens schaffen wir es dadurch, die Dimension der Nutzer*innenzufriedenheit viel mehr in den Blick nehmen zu können. Denn nur, wenn Bürger*innen die Leistung ohne Schwierigkeiten bedienen können, nutzen sie diese auch. Deshalb finde ich kontinuierliche Nutzungsanalysen sehr wichtig – genau wie es beim Online-Shopping schließlich auch seit fast zwei Jahrzehnten gemacht wird. Auch in der FITKO möchten wir mehr über die Zufriedenheit mit den Produkten des IT-Planungsrats erfahren. Stellenweise geschieht dies bereits, wie zum Beispiel bei der Behördennummer 115. Die Befragung der Nutzer*innen, wie sie für den eGovernment MONITOR erfolgt, ist ein einfaches und zugleich sehr wirkungsvolles Mittel, um ihre Bedürfnisse besser zu verstehen und gezielte Verbesserungen umzusetzen.

Im eGovernment MONITOR sehen wir in diesem Jahr einige positive Entwicklungen. Verglichen mit 2021 ist die Zufriedenheit der Bürger*innen mit dem E-Government-Angebot vor Ort in allen Bundesländern deutlich gestiegen, im Schnitt um 14 Prozentpunkte. Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für diese Verbesserungen? Welche Fortschritte haben Sie in den letzten Jahren im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung beobachtet?

Ich denke, das ist das Ergebnis intensiver Bemühungen auf vielen Ebenen. Da ist natürlich das Online-Zugangsgesetz (OZG) zu nennen, das mit seiner ursprünglichen Vorgabe, bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten, der Verwaltungsdigitalisierung zu einem enormen Schub verholfen hat. Es konnten aber auch beim Thema Finanzierung gute und wichtige Fortschritte erzielt werden. Ich nenne nur als Beispiel die Schaffung eines Zentralbudgets bei der FITKO, das es ermöglicht, die Kosten der Verwaltungsdigitalisierung gemeinsam zu tragen. Dadurch werden die Kommunen entlastet, in denen die Leistungen umgesetzt werden. Damit wurden auch die Voraussetzungen geschaffen, um beim flächendeckenden Roll-out der vom IT-Planungsrat beschlossenen 16 Fokusleistungen mehr Tempo zu gewinnen. Zu diesen Leistungen gehören zum Beispiel die digitale Beantragung von Wohngeld oder die Ummeldung des Wohnsitzes, also Leistungen, die von Bürger*innen häufig genutzt werden. Diese finanzielle Unterstützung, kombiniert mit dem Engagement der Bundesländer, trägt dazu bei, dass digitale Angebote schneller und flächendeckender bereitgestellt werden können. Und Engagement ist das Stichwort für einen weiteren Fortschritt, der mich persönlich besonders freut: In den letzten Jahren haben Bund und Länder unter der Koordination des IT-Planungsrats und mit Unterstützung der FITKO verstärkt zusammengearbeitet, um die digitale Transformation der Verwaltung voranzutreiben. Diese Zusammenarbeit ist entscheidend für ganz Deutschland, denn wir werden die Digitalisierung nur gemeinsam erfolgreich umsetzen können.

Trotz dieser Erfolge dürfen wir nicht einfach den bisherigen Wegen folgen. Wir müssen weiter eine effizientere und akzeptierte Verwaltung für Bürger*innen und Unternehmen vorantreiben und eine systemische digitale Transformation der Verwaltung anstreben, die sich nicht nur an kurzfristigen Erfolgen orientiert, sondern eine nachhaltige Verbesserung zum Ziel hat. Diese Transformation ist auch das Kernstück der föderalen Digitalstrategie, die der IT-Planungsrat mit Unterstützung der FITKO derzeit erarbeitet.

Die Bürger*innen erwarten von der Verwaltung zunehmend dieselbe Effizienz und Digitalisierung, die sie aus ihrem Privatleben kennen, etwa durch mobile E-Government-Angebote oder den Einsatz neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz. Der IT-Planungsrat arbeitet an einer föderalen Digitalstrategie. Wie werden die Erwartungen der Bürger*innen an eine moderne, effiziente und digitale Verwaltung in dieser Strategie berücksichtigt? Was sind die nächsten konkreten Schritte hin zu einer digitalen Verwaltung, die das Leben der Menschen erleichtert?

Der IT-Planungsrat betrachtet die Verwaltung der Zukunft aus den vier Nutzendenperspektiven: Bürger*innen, Unternehmen, Verwaltungsmitarbeitenden und politische Entscheider*innen. Das heißt, die Erwartungen der Bürger*innen stehen im Zentrum der Strategie. Ziel ist es, die Verwaltung als Unterstützung im Alltag der Menschen erfahrbar zu machen.

Hierfür wird in der Strategie ein Zukunftsbild gezeichnet, das Leitlinien für die Produkte, Projekte, IT-Standards und –Architekturen sowie die Dialogformate des IT-Planungsrats definiert und somit den verfassungsrechtlichen Auftrag des Gremiums für alle föderalen Ebenen anwendbar beschreibt. In der Umsetzung soll dann beispielsweise verstärkt auf nutzer*innenorientierte IT-Verfahren in Cloud-Architekturen gesetzt werden. Das ist ein entscheidender Schritt, um die Entwicklung und den Betrieb der Verfahren zu vereinfachen.

Natürlich stehen wir vor der Herausforderung, diese Digitalisierung in unserem komplexen föderalen System umzusetzen. Deshalb greift die föderale Digitalstrategie verschiedene Landes- und Bundesstrategien auf, um nicht mehr Komplexität, sondern mehr Gemeinsamkeit zu schaffen. Es geht darum, den Föderalismus zeitgemäß zu interpretieren und gemeinsam klare Erfolge im Sinne der Bürger*innen zu erzielen. Die Strategie nimmt daher Maßnahmen in den Blick, die eine moderne, digitale Verwaltung schaffen sollen, die das Leben der Menschen spürbar erleichtert.

Das Wimmelbild des Normenkontrollrats zeigt eindrücklich die komplexe Akteur*innenlandschaft bei der Verwaltungsdigitalisierung. Die FITKO will die Zusammenarbeit über alle föderalen Ebenen hinweg stärken und koordiniert Akteur*innen, um gemeinsame Lösungen und Kooperationen zu fördern. Welchen Beitrag können Akteur*innen außerhalb der Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung leisten, um weitere Fortschritte und Erfolge in den nächsten Ausgaben des eGovernment MONITOR zu erzielen?

Bei diesen Akteur*innen sehe ich ein großes Potenzial. Tatsächlich sind Kooperationen und die Zusammenarbeit über die klassischen Verwaltungsebenen hinaus ein Schlüssel für den Erfolg der digitalen Transformation der Verwaltung. Externe Akteur*innen können innovative Ideen und Lösungen einbringen, die wir innerhalb der Verwaltung nicht unbedingt auf dem Schirm haben. Die Beiträge können vielfältig sein. Nehmen wir zum Beispiel den Bereich Wissenschaft und Forschung, der die Verwaltung dabei unterstützen kann, evidenzbasiert zu handeln. Deshalb habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass die FITKO den eGovernment MONITOR in den nächsten zwei Jahren unterstützt. Die Bewertung der Wirksamkeit unserer staatlichen eGovernment-Anstrengungen aus Sicht der Bürger*innen ist unverzichtbar, um datengetriebene Entscheidungen zu treffen und die Effektivität unserer Maßnahmen zu überprüfen und zu verbessern. Als FITKO möchten wir mehr mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen zusammenarbeiten, um die Wirkung unserer Maßnahmen entlang der politischen Umsetzungsziele des IT-Planungsrats zu verbessern und gleichzeitig sicherzustellen, dass wir die Bedürfnisse der Bürger*innen bestmöglich berücksichtigen.
Ich erachte es daher als sehr wichtig, dass wir externe Akteur*innen innerhalb der Verwaltung mitdenken, die Zusammenarbeit ausbauen und stärker in die Prozesse integrieren. Ihre Expertise – sei es in Form von technologischen Innovationen, wissenschaftlichen Erkenntnissen oder als Brücke zu den Bürger*innen – ist unverzichtbar. Unser Ziel sollte es sein, uns an einem ganzheitlichen Governance-Modell zu orientieren, das diese vielfältigen Interessen optimal miteinander verknüpft. Dadurch wird zwar das „Wimmelbild“ in der Peripherie nicht weniger komplex, aber das Spiegelbild unserer Gesellschaft umso vollständiger. Dies wird sicher durch Akzeptanz und Fortschritt in der Verwaltungsmodernisierung belohnt werden.

Wenn Sie sich die Ergebnisse des eGovernment MONITOR ansehen, gibt es bestimmte Ergebnisse, die Sie besonders relevant oder überraschend finden?

Aus meiner Sicht sind die Ergebnisse im Bereich KI sehr relevant. Denn wir sehen, dass mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland KI in der Verwaltung unter bestimmten Bedingungen befürwortet. Das Vertrauen in moderne Technologien zur Steigerung der Effizienz in der Verwaltung ist sogar noch ausgeprägter. Diese Erkenntnisse sollten wir nutzen, um durch gezielte Aufklärungs- und Informationsarbeit die Akzeptanz für KI in der Verwaltung zu erhöhen. Gleichzeitig müssen wir uns noch stärker damit auseinandersetzen, wie wir die Potenziale der Automatisierung durch KI in der Verwaltung ausschöpfen können. Angesichts des bereits bestehenden Fachkräftemangels und der anstehenden Pensionierungswelle in der Verwaltung besteht hier eine gewisse Dringlichkeit, um die Leistungsfähigkeit des Staates auch in Zukunft sicherzustellen.

Abschließend: Möchten Sie uns noch etwas mit auf den Weg geben?

Ich möchte an dieser Stelle mal DANKE sagen, dass die Initiative D21 und alle Partner*innen diese Studie bereits seit 14 Jahren ermöglichen. Hierdurch ist eine unabhängige und politisch neutrale Analyse der Verwaltungsdigitalisierung entstanden, die für den Staat und alle föderalen Ebenen ein wichtiges Bewertungsbild der gemeinsamen Anstrengungen liefert.

Das Interview führte

Porträt von Sandy Jahn

Sandy Jahn, Referentin Strategic Insights & Analytics (sie/ihr)