21st Century Schools – Wie kriegen wir unsere Schule zukunftsfähig?
Schüler*innen, die im 21. Jahrhundert heranwachsen, benötigen andere Kompetenzen als früher, um in einer sich schnell wandelnden Welt selbstbestimmt agieren zu können. Eine solche Erweiterung der zu vermittelnden Grundkompetenzen um die Digitalkompetenzen zeichnet eine 21st Century School aus. Aber wie weit sind wir auf dem Weg zu solchen Schulen? Darum ging es beim Veröffentlichungsevent zur neuen Studie zum digitalen Schulunterricht in den 16 Bundesländern.
Berlin.
Im 21. Jahrhundert sind digitale Technologien im Alltag der Menschen
angekommen. Schüler*innengenerationen wachsen mit dem Internet und den
sich wandelnden Dynamiken digitaler Innovationen auf. Im Alltag
kommunizieren sie über digitale Geräte, kaufen online ein und
konsumieren Medieninhalte über Apps. Digitale Dienste sind wichtige
Zugänge zur gesellschaftlichen Teilhabe geworden. Auch in der
Arbeitswelt ist der Umgang mit digitalen Tools eine grundlegende
Fähigkeit. Beide Aspekte machen es umso wichtiger, die
verantwortungsvolle Nutzung durch Bildung zu fördern. Aber werden die
Schüler*innen des 21. Jahrhundert auf die heutigen und kommenden
Herausforderungen vorbereitet? Sind unsere Schulen wirklich „21st
Century Schools“, die die zu vermittelnden Grundkompetenzen um digitale
Kompetenzen erweitern und sie erfolgreich vermitteln können?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die neue D21-Studie „21st Century Schools – Lagebild des digitalen Schulunterrichts in den 16 Bundesländern aus Sicht der Eltern“. Die Ergebnisse zeigen: Drei Jahre nach Inkrafttreten des DigitalPakts Schule sehen Eltern in allen 16 Bundesländern Nachholbedarf bei der digitalen Bildungsinfrastruktur, den digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte sowie der Leistungsfähigkeit der Schulen, digitale Unterrichtsmethoden wirkungsvoll anzuwenden. Anlässlich der Veröffentlichung dieser neuen Zahlen traf sich das Netzwerk der Initiative D21 in Berlin mit Vertreter*innen von Bund und Ländern sowie Expert*innen aus der Wissenschaft und Praktiker*innen aus den Schulen, um anhand der neuen Erkenntnisse zu diskutieren, wie wir unsere Schulen fit für die digitale Zukunft kriegen. Im Microsoft Atrium in Berlin im Herzen der Hauptstadt standen für die ca. 150 Gäst*innen vor allem Handlungsempfehlungen für die Zukunft im Mittelpunkt.
Ungleiche Voraussetzungen für digitalen Unterricht in den Bundesländern
Im bundesweiten Durchschnitt geben 62 Prozent der Eltern an, dass ihr Kind einen Internetzugang an der Schule hat, so D21-Geschäftsführerin Lena-Sophie Müller bei ihrer Vorstellung der wichtigsten Erkenntnisse aus der neuen Studie. Führend sind hierbei die Stadtstaaten Hamburg (75 Prozent) und Bremen (71 Prozent), Schlusslichter die neuen Bundesländer Brandenburg (52 Prozent) und Sachsen-Anhalt (51 Prozent).
In
Teilen Deutschlands habe also nur jedes zweite Kind überhaupt Zugang zu
digitaler Infrastruktur in der Schule. Insgesamt nehmen 84 Prozent der
Eltern Hürden bei der Umsetzung digitalen Unterrichts wahr. Zudem
glauben 2 von 5 Eltern, dass die Schule ihres Kindes mit den digitalen
Unterrichtmethoden überfordert ist. Müllers Plädoyer für mehr Zusammenarbeit zwischen den politischen Ebenen auf dem Weg zu besserer digitaler Schulbildung:
Innovationsfreundlichkeit im Ökosystem Bildung
Zwei Bildungsexpert*innen ordneten im Anschluss die neuen Ergebnisse vor dem Hintergrund anderer grundlegender Studien wie der PISA-Studie oder der ICILs-Studie ein. Prof. Dr. Andreas Schleicher, Direktor des Direktorats für Bildung bei der OECD, legte dabei den Fokus auf die internationale Perspektive und den Vergleich mit anderen Ländern. Die digitale Transformation habe das Lernen überall radikal verändert. Dabei habe sich in vielen Ländern gezeigt, dass es nicht ausreiche, Infrastruktur und Hardware bereitzustellen. Vielmehr müsse man sich fragen, wie man Zeit, Ort, Personen und Pädagogik so neu kombinieren könne, dass etwas ganz Neues entstehe: „Die große Chance der digitalen Lerntransformation ist, individuelles Lernen zu realisieren.“ Technologien würden dabei stark unterstützend wirken, so Schleicher.
Doch welche Schritte braucht es auf dem Weg hin zu einem solchen Unterricht? „Wir brauchen ein innovationsfreundlicheres Ökosystem im Bildungsbereich. Das können Regierungen allein nicht leisten, aber ihre Aufgabe besteht darin, gleiche und faire Bedingungen für alle zu schaffen“, das ist eine von Schleichers Antworten. Deutschland habe beispielsweise bei den digitalen Lernplattformen sehr viel Aufholbedarf: Wenn neue Technologien eingesetzt würden, hätten Lehrkräfte nur selten Zeit und Raum, sich mit diesen neuen Möglichkeiten wirklich vertraut zu machen. Regierungen müssten gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und Unternehmen Standards festsetzen, vernetzte Plattformen schaffen, Regeln für die Bereiche Ethik und Datenschutz festlegen sowie Innovationen strategisch einsetzen. Zum Abschluss hielt Schleicher noch ein Plädoyer für die Einbindung der Schüler*innen selbst in diesen Prozess:
Bildungsgerechtigkeit muss wichtiger Baustein sein – Digital Divide steht dem entgegen
Die zweite Expertin Prof. Dr. Brigit Eickelmann (Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn) betonte wiederum die Rolle der Eltern als zentralen Baustein für eine gelungene Bildungszusammenarbeit. „Eltern sind wichtige Akteur*innen im Schulsystem. Schulen, die das begriffen haben, sind in ihrer Entwicklung schon weiter“, argumentierte Eickelmann. „Eltern geht es um bestmögliche Chancen für ihre Kinder. Zurecht haben sie deshalb auch Erwartungen an die Schulen, im Jetzt digitale Kompetenzen zu schaffen und die Kinder digital fit zu machen“ – eine Aussage, die sicher viele Elternteile im Publikum unterschreiben konnten. Eickelmann zeigte sich auf Grundlage der Studienergebnisse vor allem besorgt in Bezug auf das Thema Bildungsgerechtigkeit:
Es ergebe sich eine Lücke zwischen den Schüler*innen, die die Möglichkeit haben, digitale Technologien zu nutzen, und denjenigen, die diese Chance nicht haben – Teilhabe am digitalen Lernen sei also nicht für alle gewährleistet. Daraus ergebe sich dann auch, dass viele Schüler*innen aktuell nicht die nötigen Digitalkompetenzen aufbauen könnten. „Die Ausstattung bedingt nicht automatisch eine gute Lehre, jedoch ist sie eine notwendige Bedingung dafür“, betonte die Bildungsexpertin.
Ausbildung digitaler Kompetenzen als Garant für nachhaltigen Innovationsschub
Nach ihren Impulsen voller Ideen für einen
besseren digitalen Schulunterricht gingen die beiden
Bildungsexpert*innen ins Gespräch mit Vertreter*innen der Bundes- und
Landespolitik, um sich über politische Gelingensbedingungen für den Wandel hin zu 21st Century Schools auszutauschen. Moderiert von D21-Präsidiumsmitglied Timm Lutter diskutierten sie mit Dr. Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), und mit dem Hamburger Staatsrat Rainer Schulz,
Vorsitzender der Amtschefkommission Qualitätssicherung in der Schule
bei der Kultusministerkonferenz (KMK). Insbesondere die Frage, wie die
Innovationskraft, die sich über die letzten Jahre im Zuge der Coronapandemie entfaltet habe, nachhaltig etabliert werden könnte, bewegte sowohl das Panel als auch das Publikum.
Deshalb brauche es jetzt besonders schnell Standards, Plattformen und Infrastruktur als ein verstetigtes gemeinsames System, auf dem man aufbauen könne. Sonst, so fürchtet Eickelmann, würde sich das Innovationsfenster wieder schließen, ohne dass es zu einem nachhaltigen Fortschritt gekommen sei. Staatssekretär Brandenburg adressierte zunächst den Erfolg zurückliegender bildungspolitischer Maßnahmen. So habe der DigitalPakt Schule wichtige Entwicklungen angestoßen, da er die digitale Infrastruktur und Hardware-Ausstattung an Schulen signifikant verbessert habe. Diese durchaus positive Entwicklung sei aber nicht ausreichend, stellte auch der Staatssekretär fest:
KMK-Vertreter Schulz ergänzte, dass neben einem solchen gemeinsamen Vorgehen von Bund und Ländern wie beim DigitalPakt die Lehrkräfteausbildung ein wichtiger Hebel für die Zukunft sei: „Digitales Lehren und Lernen muss in der Lehrkräfteausbildung strukturell verankert werden – im Studium, im Referendariat und als prüfungsrelevantes Thema beim Staatsexamen“, legte er seine Strategie für die Kompetenzentwicklung bei Lehrkräften dar. Auch in der Ausbildung der Schulleitungen brauche es die Entwicklung eines Verständnisses davon, dass Digitalisierung in Schulen eine Leitungsaufgabe darstelle.
Aber was kann an den Schulen im Hier und Jetzt getan werden, solange die Lehrkräfte solche Schritte in ihrer Ausbildung noch nicht oder nur marginal durchlaufen haben? Prof. Dr. Eickelmann betonte die Bedeutsamkeit einer nachhaltigenr Finanzierung der Schulen: „Die Schul-Aktiven wissen oft sehr gut, wo die Probleme bei der IT-Ausstattung der Schulen liegen. Wenn wir den Menschen vor Ort zuhören, werden wir auch innovative Anschaffungskonzepte entwickeln können. Aber das kostet Geld, da müssen wir das Portemonnaie aufmachen.“ Staatssekretär Brandenburg reagierte hierauf aufgeschlossen: „Die Politik müsste den Lehrkräften Freiräume lassen, neue Lernmethoden auszuprobieren und keine weiteren Hürden in den Weg legen. Innovationen funktionieren nicht nach Rezept, sondern durch Austausch von Best Practice.“ Von Seiten des Bundes könnten in seinen Augen die Kompetenzzentren, die im Jahre 2022 auf dem Weg gebracht worden sind, einen Teil dazu beitragen. In diesen Zentren gehe es darum, neueste Erkenntnisse der Wissenschaft schneller in die pädagogische Praxis überführen zu können.
Ein Gelingen der digitalen Bildungstransformation bedarf weiterer gemeinsamer Anstrengung
Zum Ende der Veranstaltung gab OECD-Direktor Schleicher den Teilnehmenden noch motivierende Worte für die kommende Herausforderungen mit auf den Weg:
Beim Buffet im Anschluss wurde im Geiste dieser Worte noch angeregt weiterdiskutiert. Eines steht fest – die bevorstehenden Anstrengungen können nur gemeistert werden, wenn alle relevanten Akteur*innen aus Politik, pädagogischer Praxis, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen vorangehen. Die Motivation, gemeinsam die Zukunft der Schulen im 21. Jahrhundert zu gestalten, war in den zahlreichen Gesprächen deutlich zu spüren.