#D21talk: Digitale Welt – aber nicht für alle? Wege zur Teilhabe und menschenzentrierten Digitalisierung
Digitale Spaltungen überwinden, Teilhabe neu denken und Wege zur menschenzentrierten Digitalisierung finden. Aber wie? Darüber diskutierten verschiedene Expert*innen auf dem Fachkongress #D21talk in Berlin anlässlich der Veröffentlichung der Studie D21-Digital-Index 2024/25.
Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, welche Weichen wir für eine inklusive digitale Zukunft stellen. Doch wie kann Digitalisierung als Mittel zur sozialen Gerechtigkeit genutzt werden? Wie können alle Bürger*innen gleichberechtigt von neuen Zugängen und Chancen profitieren? Und wie kann eine Zukunftsvision für ein menschliches und gerechtes digitales Zeitalter aussehen? Unter dem Motto „Digitale Gesellschaft 2030: Gerechtigkeit, Teilhabe und Verantwortung“ diskutierten Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft auf dem #D21talk, dem Veröffentlichungsevent des D21-Digital-Index 2024/25, genau diese Fragen. Welche Erkenntnisse dabei hängen bleiben? Digitalisierung kann Teilhabe schaffen – oder Ungleichheit zementieren. Die richtigen Weichen dafür werden jetzt gestellt.
Ein perspektiven- und branchenübergreifender Diskurs über die bevorstehenden Umbrüche sei dringend notwendig, begrüßte Marc Reinhardt, Präsident der Initiative D21, die anwesenden Gäste. Der D21-Digital-Index sei seit über 20 Jahren eine gute Grundlage, um ein wirkungsorientiertes Handeln zu stärken – und das nicht nur für Politik, sondern auch für Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dem pflichtete auch Oliver Lauer, Deutscher Giro- und Sparkassenverband, bei, der die Location für den Kongress bereitgestellt hatte. Durch den D21-Digital-Index könnten Handlungen besser daraufhin angepasst werden, dass eine breite Masse an Menschen bei der Digitalisierung mitgenommen werden. Dadurch könnten langfristig digitale Gräben überwunden werden.


Digitale Spaltung im Wandel der Zeit – was wir aus zwei Jahrzehnten Digitalisierung lernen können
Doch was steht eigentlich im D21-Digital-Index 2024/25 – und hat es digitale Spaltungen schon immer gegeben? Antworten darauf lieferten Prof. Barbara Schwarze, Präsidiumsmitglied der Initiative D21 und Vorsitzende vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit, und Stefanie Exel von Kantar. Die beiden zeichneten die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung anhand der Ergebnisse des D21-Digital-Index aus mehr als zwei Jahrzehnten nach. Als im Jahr 2001 alles anfing mit der Studie, sei die Digitalisierung eher ein Nischenthema gewesen und von einer nutzer*innenzentrierten Digitalisierung noch wenig zu spüren. Dennoch sei eine gesellschaftliche Spaltung von Beginn an verankert gewesen – in Form von Onliner*innen und Offliner*innen.

Einen Wendepunkt bei der Nutzer*innenzentrierung habe es in den Jahren 2007 und 2008 gegeben, als die ersten Smartphones auf den Markt kamen. Dieser Wandel sei einer der ersten von vielen Anlässen gewesen, den D21-Digital-Index weiterzuentwickeln. Im Jahr 2012/13 sei erkenntlich geworden, dass die digitale Spaltung nun entlang soziodemografischer Gruppen verlaufe. Später seien in der Studie die „Personas der digitalen Gesellschaft“ entwickelt worden, mit denen die Einstellung von Bürger*innen gegenüber der Digitalisierung erfasst werde. In der aktuellen Ausgabe stehe neben der Einstellung auch die Anpassungsfähigkeit der Bürger*innen an den digitalen Wandel im Fokus – die Zukunftsresilienz.
Resilienz ist eine Frage der Einstellung gegenüber der Digitalisierung.
Der D21-Digital-Index 2024/25 zeige, dass zwar 94 % der Bevölkerung mittlerweile online sind, aber nur 63 % resilient gegenüber dem digitalen Wandel. Zudem verfügten nur 49 % über alle fünf digitalen Basiskompetenzen.
Viele nehmen zwar den Wandel wahr. Aber das führt nicht zur Eigeninitiative, sich auf Wandel einzustellen. Wir haben in der Weiterbildung kleine Insellösungen, durch die sich das Bewusstsein nicht an die Bevölkerung transportiert. Wir müssen als neue Strategie eine echte Kompetenzinitiative voranbringen!
So könne man allen Personengruppen den Nutzen der Digitalisierung aufzeigen, die digitale Resilienz stärken und der digitalen Spaltung entgegenwirken.
Überwindung digitaler Ungleichheiten: Digitalkompetenzen allein reichen nicht aus

Weitere Wege, wie man digitale Ungleichheiten überwinden kann, führte Prof. Dr. Nicole Zillien, Soziologieprofessorin an der Universität Koblenz, in ihrem Impulsvortrag aus. Ungleichheiten würden gesellschaftlich zum Beispiel durch politische Entscheidungen oder kulturelle Praktiken erzeugt und durch digitale Technologien reproduziert. Das wiederum führe dazu, dass bestimmte Personengruppen etwa hinsichtlich der Digitalkompetenzen besser und andere schlechter gestellt seien. „D21-Digital-Index ist eine wichtige Quelle für empirische Forschung der digitalen Ungleichheit“, führte Zillien aus und ergänzte:
Wer digitale Ungleichheiten überwinden möchte, muss an die Ursachen ran. Wir machen die Hürde sehr hoch, wenn wir von den schon von vornherein schlechter gestellten Menschen erwarten, das allein zu schaffen.
Dabei würden eine Stärkung der Digitalkompetenzen oft als Allheilmittel für digitale Ungleichheiten dargestellt. Allerdings müssten ebenso stark die digitalen Technologien selbst in den Blick genommen werden und Politik, Wirtschaft und Wissenschaft dafür sorgen, dass in dieses Herzstück der digitalen Gesellschaft keine Diskriminierung und soziale Ungleichheiten einprogrammiert würden.


Teilhabe neu denken: Warum digitale Resilienz lebenslang trainiert werden muss
Digitale Ungleichheiten und eine digitale Welt, die niemanden zurücklässt, spielten auch in der anschließenden, von Moderator Marcus Richter geführten Fish-Bowl-Diskussion eine große Rolle. Bei der Digitalisierung blieben vor allem diejenigen zurück, die keinen Zugang zu digitalen Technologien haben oder schlicht nicht wissen, wie man mit ihnen umgeht, begann Astrid Mönnikes, Leitung des Digitalpakt Alter beider der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, die Diskussion:
Lebenslanges Lernen hört aktuell in Deutschland effektiv auf mit 65, weil es bedeutet: Lernt für die Arbeit. Dabei hält die Digitalisierung auch für ältere Menschen so viele Vorteile bereit, die sie sich erschließen könnten!

Das treffe nicht nur Ältere, sondern auch junge Menschen, die man an eine kompetente Mediennutzung heranführen müsse, fügte Frederik Palmer vom AWO Bundesverband hinzu. Für alle Gruppen seien Angebote der Medienbildung unabdingbar – ganz besonders aber für solche, die in der Digitalisierung bisher keine Potentiale für sich sehen, wie zum Beispiel armutsbetroffene Menschen.
Marc Reinhardt führte weiterhin aus, dass es insgesamt darum gehe, die verantwortungsbewusste Nutzung digitaler Technologien zu fördern. Wenn uns dies nicht gelinge, würden benachteiligte Gruppen sonst ihr Recht auf digitale Teilhabe verpassen. Dafür müssten sie auch in die Entwicklungsprozesse integriert werden, so Palmer:
Digitale Zugänge zum Sozialstaat müssen für die Zielgruppe funktionieren – nur dann entfalten sich die Vorteile. Dafür müssen Nutzer*innengruppen, und vermittelnd auch die Wohlfahrtsverbände, noch mehr einbezogen werden.


Wie auch digitale Tools selbst die digitale Teilhabe fördern können, stellte Said Haider vor, Gründer und Geschäftsführer von YOUNA, einem KI-Chatbot für Menschen mit Rassismuserfahrungen:
Es ist mir wichtig, niemanden allein zu lassen. Es muss immer Angebote geben, um die digitale Teilhabe zu stärken. Dafür sind niedrigschwellig zu nutzende und vertrauenswürdige digitale Anwendungen ein Ansatzpunkt.

Darauf aufbauend diskutierte das Publikum im Rahmen der Fishbowl-Diskussion mit den Panelist*innen unter anderem, wie der Nutzen der Digitalisierung durch Kulturbildungsprozesse besser aufgezeigt, Digitalkompetenzen zielgruppenspezifisch gefördert und dadurch insgesamt die digitale Teilhabe neu gedacht und gestaltet werden könnte. Dabei wurde auch deutlich, dass lebenslanges Lernen enorm wichtig ist, da man sich Digitalkompetenzen und digitale Resilienz kontinuierlich aneignen müsse. Nur so könne es gelingen, dass alle Menschen gleichberechtigt von der Digitalisierung profitieren. Auch Netzwerke und Plattformen wie die Initiative D21 seien hier entscheidend:
Wir müssen noch viel mehr die Menschen, die sich für benachteiligte Gruppen engagieren, zusammenbringen mit uns, die sich mit Digitalisierung und Technologie auskennen. Gemeinsam können wir viel schaffen.



Vom Wandel zur Verantwortung: Wege zur menschenzentrierten Digitalisierung
Nach einem Networking-Lunch und der ausgiebigen Möglichkeit, sich über die Impulse auszutauschen, stand im Fokus, wie ein gerechtes und menschliches digitales Zeitalter gestaltet werden kann und welche Wege es zu einer menschenzentrierten Digitalisierung gibt. Unter Menschenzentrierung versteht Dr. Katja Muñoz, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, wenn der Mensch im Zentrum des Gestaltungsprozess stehe und wenn sich dabei nach den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen der Menschen gerichtet werde. Fabian Grischkat, Content Creator und Speaker, ergänzte:
Menschenzentrierung kann auch als Chance gesehen werden, Brücken zu Menschen zu bauen, die man sonst eher nicht erreicht.

Um dieses Potenzial zu heben, müssten allerdings zuerst die Bedürfnisse der Menschen ermittelt werden, um anschließend die Digitalisierung danach auszurichten, ergänzte Elisa Lindinger vom Superrr Lab. Bei der Digitalisierung sollte somit die Menschenzentrierung am Anfang stehen.
Und wie kann das erreicht werden, wenn viele digitale Technologien bereits etabliert sind? Für Grischkat und Muñoz sind Regulierungen wie der AI-Act ein Ansatzpunkt – und der Mut, diese weiter voranzutreiben:
Wir müssen in den digitalen Infrastrukturen für weniger Abhängigkeiten sorgen. Das ist kein Selbstläufer – ABER: Wir haben in Europa einige richtige Stellschrauben gedreht und haben einen Rahmen und Regulierungen, mit denen sich neue Möglichkeiten auftun.


Regulierung verhindere Innovation nicht, sondern schaffe vielmehr die Leitplanken – auch für den Neubau von digitalen Technologien, bei denen die Menschenzentrierung dann von Beginn an berücksichtigt werden könne, stimmte Dr. Ulf Buermeyer vom Podcast „Lage der Nation“ zu.
Eine Sache können wir von den großen Plattformen lernen: nämlich wie man Digitalisierung so gestaltet, dass die Menschen sie nutzen. Dieses Wissen sollten wir nun in demokratisch kontrollierte, europäische Clouddienste, Plattformen etc. überführen.

Als weiteren Weg, um zukünftig die Menschenzentrierung von sozialen Medien zu stärken, diskutierten die Panelist*innen Rundfunk- und Fernsehräte für soziale Medien sowie eine mögliche Verpflichtung für Plattformen, ihre Algorithmen transparent offenzulegen. Dafür brauche es aber mehr politischen Druck, wobei schnell klar wurde, dass Druck oft negativ verstanden würde. Allerdings könne man politischen Druck auch positiv auslegen als den starken Arm des Volkes, das über seine demokratisch gewählten Repräsentant*innen spreche, führte Buermeyer aus. Und Lindinger ergänzte:
Politik und Verwaltung gehören zu den größten Investor*innen. Bei öffentlichen Vergabeprozessen muss mehr auf menschenzentrierte digitale Anwendungen geachtet werden, was zugleich Druck in Richtung einer entsprechenden Digitalisierung ausüben würde.


Insgesamt müssten laut Muñoz aber auch bestehende Regeln mehr kontrolliert und besser durchgesetzt werden.
Es wurde klar, dass es unterschiedliche Wege gibt, die menschenzentrierte Digitalisierung zu fördern. Unterschiede wurden auch bei den Visionen der Panelist*innen deutlich: von einer ehrlichen Evaluation, wie menschenzentriert die öffentliche IT ist, über KI-Regeln für den Wahlkampf bis hin zu dem Wunsch, angesichts der transatlantischen Entwicklungen und dem Druck der Tech-Konzerne nicht das zu verlieren, was wir uns in dem Themenfeld bereits erarbeitet haben.
Hier können Sie den kompletten #D21talk nachschauen:
Der #D21talk 2025 wurde gesponsort durch den Deutschen Sparkassen- und Giroverband.
