Digital Fair Trade – Die Gerechtigkeitsfrage der digitalen Gesellschaft

D21-Vizepräsident Marc Reinhardt im Interview mit dem Behörden Spiegel zur Wertschöpfung durch Daten.

Zuerst veröffentlicht im Behörden Spiegel, Oktober 2018

Die Wertschöpfung durch Daten und informationelle Selbstbestimmung sind kein Widerspruch. Allerdings ist eine Diskussion nötig, wie Nutzungsrechte personenbezogener Daten zum Vorteil der Bürger*innen individualisiert verfügbar gemacht werden können. Beim „Digital Fair Trade“ sollte die Verwaltung mit gutem Beispiel vorangehen, auch damit sie Regeln für die Privatwirtschaft durchsetzen kann. Der Diskurs über die Datensouveränität steht noch am Anfang und muss von Experten wie Politik und Gesellschaft geführt werden. Einen Denkanstoß liefert der Vizepräsident der Initiative D21 Marc Reinhardt, Leiter Public Sector & Healthcare bei Capgemini.

Behörden Spiegel: Sind Daten das „neue Öl“ unserer Gesellschaft?

Marc Reinhardt: „Daten sind die Quelle für Informationen, aus denen Erkenntnisse abgeleitet werden. Unternehmen kreieren so neue Produkte und Dienstleistungen. Staatliche Institutionen können sie einsetzen, um Verfahren effizienter und bürger*innennäher zu gestalten. Daten sind für die Wertschöpfung so wichtig, dass oft „vom neuen Öl“ gesprochen wird. Die Bezeichnung führt aber in die Irre, da Öl ein Verbrauchsgut ist, das verkauft werden kann. Daten, insbesondere personenbezogenen, können weder „verbraucht“ werden, noch sind sie Eigentum im klassischen Sinne. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sieht vor, dass jeder prinzipiell darüber entscheiden kann, welche Daten er zu welchem Zweck freigibt. Man kann daher nur die Erlaubnis zur Nutzung übertragen. Deshalb soll im Sinne der Datenhoheit bestimmt werden können, wer meine Daten zur Erkenntnisgewinnung nutzen darf, wobei die aktuelle Vorgehensweise Konstruktionsfehler aufweist.“

BS: Wo sehen Sie diese Konstruktionsfehler beim Thema Datenhoheit?

MR: „Beim vorherrschenden Prinzip existiert ein Ungleichgewicht zugunsten der Datennutzer – meist die Privatwirtschaft aber auch staatliche Institutionen. Der historisch gewachsene Prozess sieht vor, dass man der Datenschutzerklärung eines Unternehmens zustimmt, die für alle einheitlich definiert ist. Wer nicht zustimmte, konnte die betreffenden Dienste nicht nutzen. Dieses Prinzip des „entweder oder“ ist aufgrund des öffentlichen Drucks zum Teil von den „amerikanischen GAFAM Konzernen“ angepasst worden, selektivere Privatsphäre-Einstellungen und somit eine selektivere Datennutzungserlaubnis wurden möglich. Doch gewisse Daten sind auch Voraussetzung, um Dienste vollumfänglich zu nutzen: Soll ein digitaler Assistent Vorschläge machen, muss er wissen, wann ich zum Flughafen muss und wie ich da hinkommen will.“

BS: Sollte es also Konzepte geben, dass Bürger*innen ihre Daten „verkaufen“ können?

MR: „Daten können zum Tausch für eine Dienstleistung eingesetzt werden, die diese gleichzeitig zum vollen Leistungsumfang benötigt. Wir stehen am Anfang, aber die ambitionierte Vision ist, die Nutzungsberechtigung eines Tages zu monetarisieren. Die Politik kann die Ausgestaltung nicht antizipieren, aber dazu beitragen, dass jeder den Wert seiner Daten kennt und künftig einfordern kann, angemessen am Mehrwert aus ihnen beteiligt zu werden. Dies ist unsere Vorstellung von ‚Digital Fair Trade‘.“

BS: Was bedeutet „Fairness“ bei der Wertschöpfung durch Daten?

MR: „Die Bedeutung von Fairness und verbindlichen Regelungen verdeutlicht ein kürzlicher Streit um Flugzeugdaten. Die Fluggesellschaft und der Flugzeughersteller haben beide zur Erzeugung beigetragen, doch ein Akteur reklamierte die Daten für sich. Doch nur eine gerechte Verteilung des Nutzens liefert allen Anreize, sich an ihrer Generierung zu beteiligen. Für mangelndes Vertrauen sind technische Lösungen in der Entwicklung – etwa vom deutschen Startup Madana – um Daten mittels Blockchain vor anderen zu schützen aber sie gemeinsam auszuwerten. Bei Vertrauen und längerfristigem Austausch gibt es Datengenossenschaften, die den Wertschöpfungsprozess gemeinsam definieren und vergemeinschaften. Datengenossenschaften wie ‚Midata‘ aus der Schweiz fungieren wiederum als Treuhänder für Gesundheitsdaten von Bürger*innenn, die an der Wertschöpfung beteiligt werden.

Bei personenbezogenen Daten ist das Fairness-Prinzip noch bedeutsamer. Services müssen in Relation zu ihrer Preisgabe stehen, etwa wenn ich Fahrdaten anonymisiert in einen Pool gebe, der die Verkehrssituation berechnet und meine Route optimiert. Eine Spiele-App für zwischendurch, die weitgehenden Zugriff auf persönliche Daten verlangt, erfüllt diese Relation nicht. Zum Spielen ist der Zugriff auf mein Adressbuch unnötig. Die mehrseitige Datenschutzerklärung, die ich vorab annehmen muss, wird die Unverhältnismäßigkeit nicht klar offenlegen und die meisten werden sie nicht im Detail analysieren. Deshalb braucht es eine Sensibilisierung und eventuell auch Regulation, um so etwas zu verhindern. Datenschutz muss die informationelle Selbstbestimmung eines jeden sicherstellen und daher die tragende Rolle einnehmen, wann und wie ein Austausch von Daten gegen Leistungen stattfinden darf.

Ein politischer Bemessungsgrundsatz könnte zudem das Allgemeinwohl sein. So könnte politisch gesetzt werden, dass eine anonymisierte, systematische Auswertung von Gesundheitsdaten zur Bekämpfung von lebensbedrohlichen Krankheiten so wichtig ist, dass ihr nicht widersprochen werden kann – das kann man politisch durchaus als ‚fair‘ einschätzen.“

BS: Wie kann der Staat beim „Digital Fair Trade“ vorweggehen?

MR: „Der Staat ist selbst Datennutzer und die aktuell konzipierten Nutzerkonten wären ein guter Anlass, die Datensouveränität der Bürger*innen zu stärken und eine Signalwirkung zu entfachen. Die Grundbedingung ist Transparenz: Bürger*innen müssen jederzeit nachvollziehen können, welche Daten die jeweilige Behörde wofür nutzt. Kritiker*innen monieren genau dies beim ‚Once Only Prinzip‘, nämlich dass der Bürger*innen eben nicht nachverfolgen könne, mit wem seine Daten nach ‚einmaligem Bereitstellen‘ weiter geteilt werden. Ein möglicher Reflex wäre ein Verbot ‚aus falsch verstandener Fürsorglichkeit‘. Digital mündige Bürger*innen sollten aber selbstbestimmt handeln können und benötigt dafür Wahlmöglichkeiten. Die Einwilligung zu ‚Once Only‘ hat einen wesentlichen Mehrwert, nämlich Komfort und Zeitersparnis, doch sollte man niemanden zwingen: Wer seine Daten einzelfallbezogen neu eingeben oder der Nutzung zustimmen will, sollte dies tun können. Eine so verantwortungsvoll und transparent agierende Verwaltung hat dann auch die Autorität, diese Einstellung von der Privatwirtschaft einzufordern.“

BS: Wie sieht es mit der technischen Umsetzung aus?

MR: „Die weitergehende Vision ist, allgemeine Einwilligungen durch personalisierte zu ersetzen. Nicht der Datennutzer sollte Art und Umfang für alle verbindlich definieren, sondern der Bürger*innen individuell entscheiden, welche Nutzungsrechte er erteilt. Technologien wie das ‚Privacy Information Management Systems‘ machen einen ‚Digital Fair Trade‘ möglich. Projekte arbeiten daran, Datenschutzerklärungen maschinell zu analysieren und Zugriffsrechte zu visualisieren. Nutzer sollen die Datenkontrolle an einer Stelle zentralisieren und ihr Privatsphären-Profil vordefinieren können – quasi ein gespiegeltes Once Only Prinzip für jegliche Verfügbarmachung von Daten. Ein solcher ‚Dateneinwilligungsassistent‘ könnte künftig automatisiert anhand definierter Parameter agieren, oder der Anwender individuell entscheiden. Blockchain und Smart Contracts sind vielversprechende Instrumente, die Verbreitung von Informationen nahtlos zurückzuverfolgen. Entsprechende ‚Self-Sovereign-Authorities‘ sind bereits Teil der politischen Diskussion.

Gesellschaftliche Gerechtigkeitsfragen waren immer auch an die Produktionsmittel geknüpft. Was früher das Kapital war, sind heute Daten. Es ist unstrittig, dass ihre vermehrte Nutzung dem Einzelnen Vorteile bringt und die Wohlfahrt der Gesellschaft maßgeblich erhöht. Wir sind daher verpflichtet Lösungswege zu finden, die Nutzung zu ermöglichen und gleichzeitig die Datensouveränität des einzelnen Akteurs sicherzustellen und zu fördern. Auch wenn die Durchdringung dieses Themas noch ganz am Anfang steht, lohnt es sich, diese Debatte in Politik und Gesellschaft mit Nachdruck zu führen.“