GovTalk 2022: Wo sind die Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung?
Macht die digitale Verwaltung in ihrem aktuellen Zustand das Leben der Menschen leichter? Darüber und über Ansätze dafür, was wir in Zukunft besser machen können, diskutierten sie Gäst*innen beim Netzwerkevent zur Veröffentlichung des eGovernment MONITOR 2022 in Berlin.
Berlin. Das Leben der Menschen soll einfacher werden – dabei kann eine unkomplizierte, schnelle und digitale Verwaltung helfen. So hat es sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Doch bereits Winston Churchill wusste: Auch wenn die Strategie noch so schön ist, sollte man sich gelegentlich die Ergebnisse ansehen. Dazu lud die Initiative D21 im Oktober ein. Zur Veröffentlichung der Studie eGovernment MONITOR 2022 kamen über 130 Gäst*innen in der Hamburger Landesvertretung in Berlin zusammen, um sich mit dem Lagebild der digitalen Verwaltung und insbesondere deren Nutzung und Akzeptanz in der Bevölkerung auseinanderzusetzen.
Houston, wir haben ein Umsetzungsproblem
Die schlechten Neuigkeiten gleich vorneweg: Von einer unkomplizierten, schnellen und digitalen Verwaltung, die das Leben der Bürger*innen tatsächlich einfacher macht, sind wir noch ein gutes Stück entfernt: Nur 14 Prozent der Bürger*innen haben derzeit das Gefühl, der Staat mache ihr Leben leichter, erklärte Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21 den anwesenden Gäst*innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Auch Dr. Martin Hagen, Staatsrat im Bremischen Finanzressort, gaben die diesjährigen Befragungsergebnisse zu denken. Zwar könne er sich über die Bremer Ergebnisse durchaus freuen; schließlich belegt Bremen neben Hamburg in der aktuellen Nutzung von E-Government einen Spitzenplatz. Wenn aber laut eGovernment MONITOR mehr als die Hälfte der Bürger*innen den Kontakt mit den Ämtern und Behörden als sehr anstrengend empfinden, dann könne er als Staatsrat damit nicht zufrieden sein. Wenn er sich anschaue, was bisher online auf den Weg gebracht wurde, dann sei dies häufig noch zu kompliziert:
Mission Possible – Wie ein lernender und digitaler Staat in Deutschland gelingt
Damit wurde gleich zu Beginn der Veranstaltungen eine der zentralen Hürden bei der Digitalisierung des Staates deutlich: Staatliche Aktivitäten wie die Umsetzung des Onlinezugangsgesetz (OZG) sind bisher noch nicht an der Vision eines einfacheren Lebens für die Bürger*innen ausgerichtet. Aus diesem Grund plädierte Prof. Rainer Kattel vom Institute for Innovation and Public Purpose am University College London für einen neuen Ansatz, wie wir zu einem digitalen Staat kommen können:
Nicht die Bürokratie sei es, die der Innovation und damit auch der Digitalisierung des öffentlichen Sektors im Wege stehe, sondern vielmehr das Silodenken. Dieses müssten wir dringend überwinden. Es gelte, Lösungsansätze ganzheitlich zu denken und Vorhaben missionsbasiert anzugehen.
Dem pflichtete Dr. Markus Richter,
Staatssekretär im Bundesministerium für Inneres und Heimat,
entschlossen bei und appellierte an die Expert*innen im Raum, ihn auf
der Mission hin zu einem lernenden und digitalen Staat zu unterstützen:
Ernst Bürger, Abteilungsleiter im Bundesministerium des Innern und für Heimat, betonte aber auch, dass es an einzelnen Stellen schon Beispiele gebe, bei denen genau dieses ganzheitliche Denken bereits gelungen sei – allen voran die Bremer Vorzeigelösung „Einfache Leistungen für Eltern“ (ELFE). Hier werde von der Lebenslage junger Eltern ausgegangen und überlegt, welche Verwaltungsleistungen mit dieser Lebenslage verknüpft sind, wie sich diese bündeln lassen und wie sie mit minimalem Zutun der Eltern umzusetzen sind. Allerdings steht ELFE derzeit nur in Bremen zur Verfügung. Im Rest des Landes macht Verwaltung das Leben frischer Eltern weiterhin nicht einfacher.
Für Dr. Jens Zimmermann, Bundestagsabgeordneter der SPD, zeige sich an diesem Beispiel klar: Die gesetzliche Vorgabe des OZG hat Dinge ins Rollen gebracht, wie es der eGovernment MONITOR 2022 auch bestätige. Die Aufgabe sei jetzt, hieraus die richtigen Schlüsse für das weitere Ausrollen in der Fläche zu ziehen:
You get what you measure – Wie messen wir den Erfolg der Verwaltungsdigitalisierung?
Die Mission ist klar: das Leben der Menschen durch unkomplizierte
digitale Verwaltung einfacher machen. Aber woran können die
Entscheider*innen in Politik und Verwaltung festmachen, ob sie auf dem
richtigen Weg sind und wie weit es noch bis zum Ziel ist? Für Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete für Die Linke, ist klar:
Eine kleine Anfrage von Domscheit-Berg im Bundestag dazu, welche Nutzer*innenzufriedenheitsdaten bei den OZG-Leistungen vorliegen, konnte genauso wenig von der Bundesregierung beantwortet werden wie die Frage nach den Zufriedenheitsraten für den digitalen Personalausweis. Das sieht auch Fulko Lenz, Analyst für Wirtschafts- und Digitalpolitik, als zentrales Problem: „Der Staat braucht mehr und bessere Daten über sein eigenes Handeln.“ Diese müssten dann auch transparent gemacht werden. Ein Grund für ausbleibende Fortschritte bei der digitalen Verwaltung seien die wiederkehrend vagen Formulierungen in Strategien, die kein realistisches Engagement erzeugen, sondern reine Euphemismen darstellen würden.
Allerdings, so gab Prof. Dr. Moreen Heine von der Universität zu Lübeck und Mitglied im Gesamtvorstand des NEGZ zu bedenken, sollten diejenigen, die Indikatoren für die Messung solcher Daten formulieren, immer auch die gewünschte Wirkung einer Maßnahme im Blick haben; sonst würden ggf. die falschen Daten gemessen. Katharina Schüller, Vorständin der Deutschen Statistischen Gesellschaft, sah dies ähnlich: „Wenn irgendwo eine Zahl steht, dann nehmen die Menschen meist an, dass diese Zahl vom Wert her korrekt ist und passgenaue Antworten auf eine komplexe Frage liefert.“ Umso wichtiger sei es, der Verantwortung beim Messen solcher Daten gerecht zu werden.
Approaching the Unknown
Die Ergebnisse des eGovernment MONITOR 2022 sind solche Daten, aber nur einer von vielen Schritten auf dem Weg hin zu einer besseren digitalen Verwaltung, mit der der Staat seinen Bürger*innen das Leben erleichtert. Erinnern wir uns: Nur 14 Prozent der Bürger*innen glauben, der Staat mache ihr Leben derzeit leichter. Das ist eine wichtige Bestandsaufnahme der Problemlage – eine Lösung für eine bessere digitale Verwaltung in der Zukunft liefert diese Zahl allein jedoch nicht. Dafür haben die Beiträge und Diskussionen an diesem Tag zahlreiche Impulse und Lösungsansätze dafür aufgezeigt, wie wir dieser Vision näherkommen können. Und so bleiben die Ergebnisse des diesjährigen eGovernment MONITORs zwar ernüchternd, der übergreifende Tenor der Veranstaltung jedoch ein motivierender: Bürger*innenzentrierte Verwaltungsdigitalisierung ist eine „Mission Possible“, die nur gemeinsam gelingen kann. Staatssekretär Richter läutete den Missionsstart dann auch vor Ort ein – und lud alle Beteiligten ein, ihn auf dieser Mission zu begleiten. Inwieweit Deutschland der Vision einer schnellen, unkomplizierten und digitalen Verwaltung im nächsten Jahr nähergekommen sein wird, wird der eGovernment MONITOR 2023 zeigen.