Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Zwischen Hoffnung und Herausforderung

Interview mit Prof. Dr. Grischa Beier zum Thema „Digitaler und grüner Wandel“ im D21-Digital-Index 2024/2025

Schwarz-weiße Bearbeitung eines Porträts von Grischa Beier

Sie haben seit 2023 die Professur „Nachhaltigkeit in der Digitalisierung" inne. Was verstehen Sie unter „Nachhaltigkeit in der Digitalisierung“? Welche zentralen Herausforderungen sehen Sie in der Umsetzung?

In dieser Benennung meines Lehrstuhls stecken gleich zwei Begriffe, die umgangssprachlich zwar sehr häufig verwendet werden, aber weniger konkret definiert sind. Sowohl unter Digitalisierung als auch unter Nachhaltigkeit verstehen viele Menschen recht unterschiedliche Dinge. Um zu letzterem Begriff meine Gedanken auszuführen, würde ich gern zwei bekannte Erklärungsprinzipien für Nachhaltigkeit aufgreifen.

Zum einen gibt es die sogenannte Triple Bottom Line: also das Prinzip, dass für eine nachhaltige Form des Wirtschaftens neben der ökonomischen Rentabilität auch ökologische und soziale Verträglichkeit sichergestellt werden müssen. Ein zweiter wichtiger Ansatz ist meiner Meinung nach ein breites Gerechtigkeitsverständnis: Unser heutiges Wirken darf nicht zu Lasten anderer weniger privilegierter Bevölkerungsgruppen gehen, aber gleichzeitig darf es nicht die Entwicklungspotentiale zukünftiger Generationen beeinträchtigen. Wenn wir da an die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, die Beeinträchtigung vieler Ökosysteme sowie die zunehmende Erderwärmung denken, dann muss man klar konstatieren, dass wir in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern in der Vergangenheit leider sehr wenig nachhaltig agiert haben. In diese suboptimale Ausgangslage trat dann am Anfang der Zehnerjahre das Phänomen der Digitalisierung, also die – u. a. durch deren rasant wachsende Leistungsfähigkeit, bei gleichzeitiger Miniaturisierung und abnehmenden Kosten bedingte – zunehmende Nutzung von digitalen Technologien und Dienstleistungen in vielen Bereichen der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens.

In der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte war damit auch die Hoffnung verbunden, dass die enormen Effizienzpotentiale dieser digitalen Innovationen dazu führen würden, dass viele ressourcenintensive Prozesse deutlich umweltverträglicher gestaltet werden könnten. Auch wenn es extrem anspruchsvoll erscheint, eine eindeutig quantifizierte Einschätzung der Netto-Effekte der Digitalisierung zu treffen, so sind doch zumindest in Bezug auf die direkten Effekte einige Herausforderungen entlang des gesamten Lebenszyklus offensichtlich.

So werden die Rohstoffe für die Herstellung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), die ja den technischen Grundstein der Digitalisierung bilden, teils unter großen sozialen (Kinderarbeit, Abhängigkeit von teils schwierigen Handelspartner*innen) und ökologischen (Flächenverbrauch, Wasserverbrauch, Giftmüll, Verschmutzung von Luft, Boden und Grundwasser, Entwaldung etc.) Kosten geborgen. Auch in der Nutzungsphase schlägt ein enormer Strom- und Wasserverbrauch zu Buche, der zu großen Teilen auf die wachsende Zahl an Datenzentren zurückzuführen ist. Aber auch am Ende des Lebenszyklus von IKT stehen noch große Herausforderungen. So besteht weiterhin eine dramatische Lücke zwischen der Menge an hergestelltem und der Menga an rezykliertem bzw. wiederverwendetem E-Waste.

Die Europäische Kommission spricht von der „Twin Transition“, also der gleichzeitigen digitalen und grünen Transformation. Können Sie erläutern, wie diese beiden Prozesse miteinander verknüpft sind? Wo sehen Sie die größten Synergien und potenziellen Zielkonflikte?

Mit dem Begriff „Twin Transition“ wird die angestrebte und politisch gewünschte Kopplung dieser beiden Transformationen zum Ausdruck gebracht. Jedoch sind diese beiden Transformationen in meinen Augen nicht zwingend miteinander verknüpft. Für die digitale Transformation gibt es zumindest bei den mittleren und großen wirtschaftlichen Akteuren eine gewisse intrinsische Motivation, da damit erhebliche Effizienzpotentiale im Hinblick auf die Produktivität der Geschäftsprozesse erreicht werden können. Bei der grünen Transformation sind derzeit noch oft externe Faktoren (wie Vorgaben oder Incentivierungen) notwendig, um Geschäftsprozesse anzupassen – was auch daran liegt, dass der finanzielle Mehrwert für emissionsarme Prozesse oft nicht klar ersichtlich ist. Und das ist aus meiner Perspektive ein ganz neuralgischer Punkt, bei dem die existentielle Natur einer sehr real drohenden Klimakatastrophe auf politische Vorgaben trifft, die häufig auf Freiwilligkeit oder betont wenig schmerzhafte Veränderungen setzen. Dieses Vorgehen mag aus politischer Sicht pragmatisch sein, aber ob es damit gelingt, das Ruder vor Erreichen entscheidender planetarer Kipppunkte herumzureißen, erscheint zunehmend zweifelhaft.

Anerkannt ist, dass es konkrete Anwendungsfälle gibt, bei denen digitale Innovationen dabei halfen, Ressourcenverbräuche zu reduzieren. Bekannte Beispiel sind hier die energetische Optimierung von großen Roboterflotten in der Montage oder die Nutzung von additiven Fertigungsverfahren, um ultraleichte Geometrien drucken zu können. Auch auf systemischer Ebene gibt es solche Anwendungsfälle. Ein bekanntes Beispiel sind hier smarte MiniGrids, bei denen digitale Werkzeuge genutzt werden, um die Steuerung einzelner Stromverbraucher intelligent auf die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien abzustimmen. Als grobe Orientierung kann man sagen, dass häufig dort, wo eine große Menge Daten analysiert werden muss, um ein ressourcenbezogenes Optimierungsproblem zu lösen, digitale Lösungen Ressourceneinsparungen gegenüber den konventionellen Lösungen erbringen können.

Eines sollte aber auch klar benannt werden: Alle genannten Beispiele adressieren das Nachhaltigkeitsparadigma der Effizienz. Um echte Transformation hin zu nachhaltigeren Formen des Wirtschaftens zu ermöglichen, müssen aber auch die anderen beiden Nachhaltigkeitsparadigmen mit Leben erfüllt werden: Konsistenz (u. a. das Führen von Ressourcen in Kreisläufen) und Suffizienz (die Beschränkung auf das Notwendige, statt einem Streben nach dem maximal Möglichen). Und bei diesen beiden Paradigmen ist die Rolle der Digitalisierung noch deutlich weniger offensichtlich. Während Erkenntnisse einiger Forschungsprojekte erahnen lassen, dass digitale Technologien für die Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Beitrag sein können (was u. a. durch den digitalen Produktpass der EU unterstützt wird), so ist die Rolle digitaler Technologien für das dritte Paradigma der Suffizienz am wenigsten klar zu erkennen. Aktuelle Entwicklungen wie der ungebremste Boom generativer KI – mit dem dadurch bedingten gigantischen Mehrbedarf an Elektrizität, um all diese Berechnungen leisten zu können – lassen eine gegensätzliche Entwicklung vermuten. Ob Technologien überhaupt ein zentrales Mittel sein können, um dem Suffizienz-Gedanken zu größerer gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen, ist aus meiner Sicht fraglich.

Unsere Umfrage zeigt ein gemischtes Meinungsbild in der Bevölkerung zum Einfluss der Digitalisierung auf Umwelt und Klima: 30 Prozent vermuten einen eher positiven Effekt, 27 Prozent einen eher negativen Effekt, 27 Prozent glauben, dass Digitalisierung keinen bedeutsamen Effekt hat und 17 Prozent machten keine Angabe. Besonders bemerkenswert ist der Anstieg der Zustimmungen zu „kein bedeutsamer Einfluss“ (+7 PP) und „keine Angabe“ (+6 PP) seit 2021. Wie interpretieren Sie dieses Meinungsbild? Warum scheint die Bevölkerung uneinheitlich oder unsicher über den Einfluss der Digitalisierung auf Klima und Umwelt?

Abbildung: Einfluss der Digitalisierung auf Umwelt und Klima

30% der Bevölkerung geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 4 Prozentpunkte weniger als 2021.
27% der Bevölkerung geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 8 Prozentpunkte weniger als 2021.
27% geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 7 Prozentpunkte mehr als 2021.
17% haben keine Angabe gemacht. Das sind 6 Prozentpunkte mehr als 2021. 

Nach soziodemografischen Gruppen:
Nach Generationen

37% der Generation Z+ geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 5 Prozentpunkte mehr als 2021. 27% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 6 Prozentpunkte weniger als 2021. 21% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. 17% von ihnen haben keine Angabe gemacht.

35% der Generation Y geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 7 Prozentpunkte weniger als 2021. 26% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 8 Prozentpunkte weniger als 2021. 25% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 7 Prozentpunkte mehr als 2021. 13% haben keine Angabe gemacht, das sind 6 Prozentpunkte mehr als 2021.

29% der Generation X geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 8 Prozentpunkte weniger als 2021. 28% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 12 Prozentpunkte weniger als 2021. 28% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 12 Prozentpunkte mehr als 2021. 16% haben keine Angabe gemacht, das sind 9 Prozentpunkte mehr als 2021.

24% der Babyboomer*innen geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 6 Prozentpunkte weniger als 2021. 27% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 6 Prozentpunkte weniger als 2021. 30% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 5 Prozentpunkte mehr als 2021. 19% haben keine Angabe gemacht, das sind 7 Prozentpunkte mehr als 2021.

23% der Nachkriegsgeneration geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 8 Prozentpunkte weniger als 2021. 26% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 9 Prozentpunkte weniger als 2021. 31% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 11 Prozentpunkte mehr als 2021. 20% haben keine Angabe gemacht, das sind 5 Prozentpunkte mehr als 2021.

22% der Generation bis 1945 geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat. 26% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 6 Prozentpunkte weniger als 2021. 24% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. 28% haben keine Angabe gemacht, das sind 8 Prozentpunkte mehr als 2021.

Nach Bildung

21% der Menschen mit niedriger Bildung geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat. 26% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 8 Prozentpunkte weniger als 2021. 30% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 5 Prozentpunkte mehr als 2021. 24% von ihnen haben keine Angabe gemacht, das sind 5 Prozentpunkte mehr als 2021.

28% der Menschen mit mittlerer Bildung geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 13 Prozentpunkte weniger als 2021. 24% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 9 Prozentpunkte weniger als 2021. 31% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 11 Prozentpunkte mehr als 2021. 17% haben keine Angabe gemacht, das sind 10 Prozentpunkte mehr als 2021.

38% der Menschen mit hoher Bildung geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat. 30% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 10 Prozentpunkte weniger als 2021. 21% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 5 Prozentpunkte mehr als 2021. 12% haben keine Angabe gemacht, das sind 6 Prozentpunkte mehr als 2021.

Nach Region

31% der Menschen, die in der Stadt leben, geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 9 Prozentpunkte weniger als 2021. 30% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 4 Prozentpunkte weniger als 2021. 24% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 6 Prozentpunkte mehr als 2021. 15% von ihnen haben keine Angabe gemacht, das sind 7 Prozentpunkte mehr als 2021.

21% der Menschen, die auf dem Land leben, geben an, dass die Digitalisierung einen eher positiven Einfluss auf Umwelt und Klima hat, das sind 9 Prozentpunkte weniger als 2021. 25% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung einen eher negativen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind11 Prozentpunkte weniger als 2021. 36% von ihnen geben an, dass die Digitalisierung keinen bedeutsamen Einfluss auf Umwelt und Klima hat. Das sind 15 Prozentpunkte mehr als 2021. 18% haben keine Angabe gemacht, das sind 5 Prozentpunkte mehr als 2021.

Auf Basis der Bevölkerung ab 14 Jahren mit 7.237 Befragten.

Ich denke, dass das insgesamt eher ambivalente Ergebnis in der Bevölkerungsumfrage die Komplexität digitaler Anwendungen widerspiegelt. Selbst in der Wissenschaft ist das Bild nicht deutlich klarer. Dafür gibt es diverse Gründe: Zwar sind die direkten Umwelteffekte auf etablierte Variablen wie Energieverbrauch und Materialbedarf zum Teil gut verstanden, aber weniger prominente Umweltfaktoren sowie die schiere Breite der unterschiedlichen Anwendungsbereiche digitaler Technologien und Dienste macht eine ganzheitliche Erfassung ihrer Umweltwirkung enorm schwer. Zudem müssen auch die indirekten und die systemischen Effekte betrachtet werden, und spätestens dann wird es extrem unübersichtlich und wahnsinnig schwierig, das methodisch sauber zu erfassen. Eine belastbare Antwort auf diese Frage wird daher vermutlich niemand geben können.

Interessanterweise scheinen Vertreter*innen der Wirtschaft wesentlich optimistischer zu sein, was die positiven Umwelteffekte der Digitalisierung anbelangt. Unter der Leitung meiner Forschungsgruppe wurde im Jahr 2020 ein Umfrage unter Industrie-Expert*innen aus China, Brasilien und Deutschland durchgeführt. Darin gab die überwiegende Mehrheit der befragten Expert*innen an, durch die Digitalisierung ihrer Unternehmensprozesse eine Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit des Unternehmens zu erwarten: 67 Prozent in China, 82 Prozent in Brasilien und 53 Prozent in Deutschland.

Eine frühere Umfrage von 2023 hat die Befragten gebeten, den möglichen Beitrag verschiedener Akteure zur Minimierung der Umweltauswirkungen digitaler Technologien zu bewerten: 29 Prozent sehen den größten Beitrag bei wissenschaftlicher Forschung zu neuen Technologien und Innovationen, 22 Prozent bei Maßnahmen und Regulierungen aus der Politik, 19 Prozent bei wirtschaftlichen Maßnahmen und Investitionen und 16 Prozent in individuellen Handlungen und Entscheidungen der Bürger*innen. 15 Prozent machten keine Angabe. Wie bewerten Sie diese Verteilung? Wer hat Ihrer Meinung nach den „wirkungsvollsten Werkzeugkasten“, um eine nachhaltige digitale Transformation voranzutreiben?

Würde mir diese Frage gestellt, könnte ich sie guten Gewissens nur beantworten, wenn ich die ersten vier Antwortoptionen alle anwählen dürfte. Denn nur mit einem guten Mix all dieser Ansätze wird es überhaupt möglich sein, die digitale Transformation als unterstützenden Faktor der dringend notwendigen grünen Transformation zu etablieren.
Forschung und Entwicklung (F&E) bringen die innovativen Werkzeuge für mehr Effizienz sowie die Möglichkeit, Ressourcen im Kreislauf führen zu können hervor. Regulatorik ist da notwendig, wo die intrinsische Motivation der wirtschaftlichen Akteure nicht ausreicht, um digitale Innovationen für eine ökologische Neuausrichtung von Prozessen umzusetzen oder um umweltfreundliches Handeln sowohl für alle Marktteilnehmenden als auch die Bürger*innen finanziell reizvoller zu machen. Aber schlussendlich müssen in einer Marktwirtschaft die einzelnen Akteure die Entscheidungen für umweltfreundliche Investitionen selbst treffen: F&E und gute regulatorische Rahmenbedingungen sollten ihnen idealerweise Handlungsspielräume eröffnen, dass dies ohne Nachteile auf dem Markt möglich ist.

Um diese umweltfreundlichen Produkte schlussendlich wirtschaftlich erfolgreich zu machen, die Kreislaufwirtschaft zu stärken und auch dem Suffizienz-Paradigma zum Durchbruch zu verhelfen, sind am Ende aber auch die individuellen Entscheidungen der Bürger*innen maßgeblich. Den tendenziell wirkungsvollsten Werkzeugkasten hat sicherlich die Politik zur Verfügung. Allerdings erfordert dessen umfangreicher Einsatz auch ein großes Maß an politischem Mut, da nicht alle ökologisch notwendigen Maßnahmen auch populär sein werden. An Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit, in denen ökologisch-motivierte Politiken großen Widerstand in der medialen Öffentlichkeit erfahren haben, besteht ja bekanntlich kein Mangel.

Nur 16 Prozent der Bevölkerung glauben, dass individuelle Handlungen und Entscheidungen den größten Beitrag für eine nachhaltige Digitalisierung leisten können. Gleichzeitig gaben 55 Prozent der Befragten an, bisher keine digitalen Möglichkeiten zu nutzen, um Umwelt und Klima zu schonen. Können Bürger*innen durch ihr digitales Verhalten überhaupt einen entscheidenden Beitrag leisten? Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen oder Verhaltensweisen könnten das sein? Und wie können Bürger*innen aktiver in den digitalen und grünen Wandel eingebunden werden?

Abbildung: Nutzung digitaler Möglichkeiten für mehr Umweltschutz:

22% der Bevölkerung nutzen Online-Dienste, um gebrauchte statt neue Dinge zu kaufen, zum Beispiel Nachbarschafts-Apps.
13% der Bevölkerung geben überwachen oder steuern ihren Energieverbrauch zuhause digital, zum Beispiel durch Smart-Home-Anwendungen.
13% der Bevölkerung suchen im Internet Informationen zu den Auswirkungen ihres Verhaltens auf die Umwelt. 
8% der Bevölkerung nutzen Apps, um umweltfreundlicher mobil zu sein, zum Beispiel durch Car-Sharing Angebote.
5% der Bevölkerung nutzen Apps zur Überwachung ihres CO2-Verbrauchs im Alltag.

Abbildung: Nutzung digitaler Möglichkeiten für mehr Umweltschutz nach Generationen:

Insgesamt 55% der Bevölkerung haben bisher keine digitalen Möglichkeiten genutzt, um Umwelt und Klima zu schonen. Hier erfolgte eine modifizierte Abfrage gegenüber 2023.

In der Generation Z+ haben bisher 43% keine digitalen Möglichkeiten genutzt, um Umwelt und Klima zu schonen. In der Generation Y sind es 40%, in der Generation X 56%, bei den Babyboomer*innen 65%, in der Nachkriegsgeneration 73% und in der Generation bis 1945 88%. 

Bei den Menschen mit niedriger Bildung haben bisher 71% keine digitalen Möglichkeiten genutzt, um Umwelt und Klima zu schonen. Bei den Menschen mit mittlerer Bildung sind es 57%, bei denen mit hoher Bildung 42%.

Auf Basis der Bevölkerung ab 14 Jahren mit 7.237 Befragten.

Auch wenn das nicht Teil meiner wissenschaftlichen Expertise ist, habe ich große Zweifel, dass Bürger*innen durch ihr digitales Verhalten einen signifikanten Beitrag zur Reduzierung der Umwelteffekte der Digitalisierung leisten können. Natürlich ist es nicht hilfreich, wenn Konsument*innen ständig neue digitale Endgeräte kaufen, obwohl die alten noch tadellos funktionieren, oder für jede noch so einfache Frage oder Schreibaufgabe generative KI-Systeme wie ChatGPT zu Rate ziehen. Auch die permanent wachsende Menge von gestreamten Daten für Video-Inhalte hat eine messbare Umweltwirkung. Wenn sich hierfür ein kritisches Bewusstsein in der breiten Bevölkerung etabliert, wäre das sicherlich eine positive Entwicklung. Auch im Hinblick auf die Schließung von Ressourcenkreisläufen kommt Bürger*innen eine wichtige Rolle zu: Schließlich kann das ausrangierte Handy in der Schublade nicht wiederverwendet oder recycelt werden.

Dennoch sind die Einflussmöglichkeiten eines Individuums stark begrenzt. Man sollte bei dieser Argumentationsrichtung auch wirklich aufpassen, nicht unbeabsichtigt alle anderen beteiligten Akteure aus der Verantwortung zu nehmen, indem man das Narrativ aufgreift, dass ja alle digitalen Lösungen und Dienste nur so umfangreich bereitgestellt werden, weil die Leute das schlussendlich auch konsumieren. Politische und wirtschaftliche Akteure haben hier einen deutlich wirkmächtigeren Hebel zur Reduzierung der Umwelteffekte der Digitalisierung in der Hand.

Die aktive Einbeziehung der Bürger*innen in den digitalen und grünen Wandel finde ich da sinnvoll, wo es darum geht, zu klären, welche individuellen und gesellschaftliche Probleme durch die verbreitete Anwendung digitaler Plattformen potentiell entstehen können und welche Grenzen und Rahmenbedingungen daher auch für deren Nutzung gezogen werden sollten. Wenn hierfür über integrative Beteiligungsformate Vorschläge für zukünftige Regulierung durch die politischen Akteure entwickelt werden, kann das ein Beispiel für gelungene Politik sein, die nah an den Bürger*innen agiert und somit die Akzeptanz für die politischen Entscheidungen potentiell erhöhen kann.

Sowohl Bürger*innen als auch politische und wirtschaftliche Akteure setzen große Hoffnungen in neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) als Gamechanger im Kampf gegen den Klimawandel. Welche Potenziale sehen Sie in KI und anderen digitalen Innovationen? Und wo sehen Sie Risiken, dass diese Technologien ihre Versprechen nicht einlösen?

So wie alle anderen digitalen Innovationen auch sollte KI als ein Werkzeug betrachtet werden – wenn auch als ein sehr wirkmächtiges. Von selbst wird kein Werkzeug allein die Klimakrise lösen können. Entscheidend ist immer, wie und wofür diese Werkzeuge eingesetzt werden. Für KI wird zwar nur ein Teil dieser digitalen Technologien verwendet, allerdings gab Google noch vor dem großen KI-Boom der letzten Jahre an, dass es im Zeitraum von 2019 bis 2021 allein für Machine-Learning-Prozesse (also eine Art der KI) 15 Prozent seines gesamten Energieverbrauchs aufgewendet hat. Zudem ist bekannt, dass Googles Treibhausgas-Emissionen (Scope3) im Jahr 2023 um 48 Prozent verglichen mit 2019 anstiegen. Zusätzlich dazu müssen auch andere ökologische Herausforderungen wie der enorme Wasserverbrauch für Herstellung und Betrieb der Daten-Infrastruktur betrachtet werden.
Auf Seiten der positiven Potentiale von KI zur Bekämpfung des Klimawandels finde ich besonders zwei Anwendungsgebiete interessant. Zum einen kann KI dabei helfen, das Monitoring von Umweltveränderungen zu unterstützen. KI stellt ein bemerkenswertes Tool zur Erkundung der Änderungen auf der Erdoberfläche auf Basis von Satellitendaten dar, und kann die dafür notwendige Klassifikation und Objekterkennung größtenteils automatisieren. Somit kann KI auch genutzt werden, um die national berichteten Fortschritte zur jeweiligen Erfüllung der nationalen Nachhaltigkeitsziele (gemäß den globalen Nachhaltigkeitszielen der UN) unabhängig zu prüfen.

Aber auch für die angestrebte Dekarbonisierung spielt KI eine wichtige Rolle. Ein besonders vielversprechendes Beispiel hierfür ist aus meiner Sicht das Management der immanenten Volatilität erneuerbarer Energiequellen. Solange diese Volatilität nicht durch große Kapazitäten an Stromspeichern gepuffert werden kann, sind gute Prognosemodelle für die zu erwartende Menge an erneuerbar generiertem Strom von großer Bedeutung, um Engpässe zu vermeiden. Hier kann KI helfen, aus meteorologischen Prognosen und geographischen Modellen die erwartbare Energiebereitstellung präziser zu synthetisieren. Dies wiederum ist eine wichtige Voraussetzung dafür, flexible Lasten zeitlich so planen zu können, dass energieintensive Verbraucher verstärkt dann Energie nachfragen, wenn dieser aus erneuerbaren Quellen im Übermaß vorhanden ist. Das stärkt die Einbindung von erneuerbaren Energien und hilft, die CO2-Emissionen im Energiesektor insgesamt zu reduzieren.

Schauen wir auf die politischen Entwicklungen, etwa in den Vereinigten Staaten, in denen sich abzeichnet, dass Klima- und Umweltschutz in den nächsten Jahren möglicherweise weniger Priorität haben wird. Gleichzeitig spielen Unternehmer wie Elon Musk oder Peter Thiel, die große Technologieunternehmen besitzen oder in diese investieren, voraussichtlich eine prägende Rolle in der Politik der nächsten Regierung. Welche Bedeutung hat die digitale Souveränität Europas für den grünen Wandel?

Generell finde ich es kein allzu optimistisches Zeichen, dass Themen wie Resilienz und Souveränität durch die globalen politischen Entwicklungen der letzten Jahre so stark an Prominenz in der medialen Debatte gewonnen haben. Es handelt sich dabei zweifelsohne um wichtige Themen, aber ich hoffe, es ist kein Indikator dafür, dass sich das Zeitalter der größtenteils friedlichen internationalen Kooperation seinem Ende zuneigt. Das ausschließliche Denken und Agieren innerhalb der Grenzen des eigenen Staates limitiert schließlich auch die Handlungsfähigkeit in Bezug auf die großen globalen Herausforderungen wie Klimawandel – es wird dadurch enorm schwer diesen adäquat politisch entgegenzusteuern. Sehr bedenklich finde ich zudem, welche faktische Macht einzelnen demokratisch nicht legitimierten Persönlichkeiten zufällt. Gleichzeitig sehen sich wirtschaftliche Akteure damit konfrontiert, dass Themen wie Resilienz und Souveränität vor allem im Hinblick auf ihre Position in internationalen Lieferketten und Beziehungen immer stärker an Bedeutung gewinnen.

Europa sollte hier nicht nur in Bezug auf die Digitalisierung, sondern generell überlegen, wie es perspektivisch seinen eigenen Weg gehen kann. Eine komplette digitale Souveränität erscheint mir nicht unbedingt erstrebenswert. Ich denke, dass wir sowohl im Bereich des Minings der essenziellen Rohstoffe für die Herstellung von IKT als auch im Bereich der Technologieherstellung z. B. von Chips nicht wirklich alles selbst machen müssen. Wir sollten vielmehr darauf achten, dass wir nicht nur von einzelnen Akteuren abhängig sind, um uns größtmögliche europäische Gestaltungsräume offen zu halten. Im Bereich der Digitalisierung sehe ich aktuell eher eine Herausforderung darin, dass aus durchaus beachtlichen Erfolgen in der europäischen Forschung zu selten auch unternehmerischer Erfolg in Europa entsteht. In diesem Bereich können wir durchaus noch jede Menge von China und den USA lernen.

Welche technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen erwarten Sie an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit? Gibt es bestimmte Trends, die aus Ihrer Sicht besonders vielversprechend oder besorgniserregend sind?

Auf technologischer Seite erscheint es mir wahrscheinlich, dass die Entwicklung von KI insbesondere bei den großen Sprachmodellen weiterhin atemberaubende Fortschritte machen wird. Diese werden sicherlich in immer mehr Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens Anwendung finden. Das wird wiederum die von KI verursachten ökologischen Kosten insgesamt steigern. Gleichzeitig könnten digitale Technologien in Zukunft z. B. verstärkt dazu eingesetzt werden, die Lieferkette grüner und transparenter zu gestalten. Dies ist laut unserer Studien bisher nur in wenigen Unternehmen der Fall. Die digital unterstütze Kreislaufwirtschaft nimmt zudem an Fahrt auf und könnte in Zukunft über breit eingeführte Produktpässe und andere digitale Anwendung das Recycling der Zukunft stärken. Spannend bleibt zudem, was sich im Bereich des Quantencomputing tun wird – ein Bereich der technologischen Spitzenforschung, der in den letzten Jahren durch die KI-Schlagzeilen etwas überlagert wurde, aber auch enorme Potentiale für exponentielle Steigerung der Rechenleistung bietet. Hier gilt es, praktische Anwendungsszenarien zu entwickeln, welche die Transformation zu nachhaltigen Wirtschaftsweisen stützen.

Die Entwicklungen, die mich im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung nachdenklich stimmen, habe ich oben ja bereits angedeutet. Ich frage mich zudem, ob die Omnipräsenz und Macht von Social Media bei deren gleichzeitiger fehlender Regulierung nicht zum Sargnagel der liberalen Demokratie zu werden droht. Ich würde mir wünschen, dass es einen breiten gesellschaftlichen Diskurs darüber gibt, wie wir die hochgradig schädlichen Facetten von Social Media (Hate Speech, absichtliche Falschinformation etc.) in den Griff bekommen können, ohne die Meinungsfreiheit insgesamt zu beschädigen.

In einer Zeit, die von Krisen und Unsicherheiten geprägt ist, braucht es positive Visionen. Wie stellen Sie sich eine wünschenswerte Zukunft vor, in der die Gesellschaft erfolgreich den digitalen und grünen Wandel gemeistert hat?

Ich stelle mir eine aufgeklärte und resiliente Gesellschaft vor, die ein gutes Verständnis davon entwickelt hat, in welchen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens die Nutzung digitaler Werkzeuge einerseits Vorteile bringen kann, aber andererseits aber auch da kritische Vorsicht walten lässt, wo deren Einfluss zu große Risiken birgt.
Im Hinblick auf die eingangs vorgestellten drei Paradigmen nachhaltiger Entwicklung würde ich sagen, dass digitale Werkzeuge da genutzt werden, wo sie Prozesse effizienter (Ressourcenverbrauch der Industrie, öffentliche Verwaltung etc.) oder konsistenter (Führung von Ressourcen in Kreisläufen) machen können und somit soziale und ökologische Vorteile für die Gesellschaft bringen. Sie werden also ein wichtiges Hilfsmittel dabei sein, die Industrie zu dekarbonisieren und den Energiesektor zu stabilisieren. Beim dritten Paradigma der Suffizienz werden wir voraussichtlich auf vorwiegend nicht technologische Einflüsse für den Übergang zu nachhaltigen Verhaltens- und Konsummustern vertrauen müssen.
Eines sollte uns allen aber ganz klar sein: Technologie allein wird diesen herausfordernden Übergang zu nachhaltigeren Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens nicht erreichen können. Sie kann uns immer nur in einzelnen Bereichen dabei unterstützen. Wo und wie wir sie nutzen wollen, und wo auch explizit nicht, weil andere Ansätze zielführender sind, das müssen wir immer als Gesellschaft miteinander aushandeln – selbst dann, wenn es vielleicht nicht ganz einfach wird.

Das Interview führte

Porträt von Sandy Jahn

Sandy Jahn, Referentin Strategic Insights & Analytics (sie/ihr)