AG-Blog | Transformation gestalten: Nachhaltigkeit durch strategische Datennutzung im Öffentlichen Sektor

Die AG Datendemokratie hat in ihrer Sitzung die Bedeutung von Daten im Kontext der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 beleuchtet und Lösungsansätze für eine nachhaltige Datennutzung im öffentlichen Sektor diskutiert.

Berlin/virtuell. In unserer Welt, die von immer komplexeren ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen geprägt ist, rückt das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit zunehmend in den Fokus. Als Grundlage für das langfristige Wohlergehen von Mensch und Umwelt müssen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität auch zentraler Bestandteil jeder modernen Datenstrategie sein. Die AG Datendemokratie hat daher bei ihrer Sitzung im September den Blick auf die Potenziale erhöhter Datenverfügbarkeit und besserer Datennutzung im öffentlichen Sektor gerichtet: Welche Projekte und strategischen Ziele gibt es schon, um Datenschätze der öffentlichen Hand für das Gemeinwohl einzusetzen? Was ist international bereits möglich? Und vor allem: Geht zunehmende Digitalisierung zwingend mit Nachhaltigkeit einher?

Dem Thema wolle man sich heute von sehr weit und umfassend zu sehr spezifisch nähern, so Lilian Dammann und Björn Stecher, Co-Leitung der AG Datendemokratie, bei der Begrüßung: „Wir starten mit der großen Vogelperspektive und Datennutzung rund um den Globus und zoomen dann näher an die Datenstrategien in Deutschland heran. Wie sich Fortschritte messen und vor allem darstellen lassen, zeigt uns dann der Blick auf die Erfahrungen mit einem Klimadashboard. Und zum Schluss schauen wir auf herausfordernde bis kritische Punkte in der Nutzung von offenen Daten.“

Strategische Datennutzung für Nachhaltigkeit: Einblick in das GIZ Data Lab

Catherine Vogel, Koordinatorin des GIZ Data Lab, eröffnete die Sitzung mit einem Einblick in die weltweite Bedeutung von Daten für nachhaltige Entwicklung. Vogel betonte die zentrale Rolle der Sustainable Development Goals (SDGs) für ihre Arbeit. Wenn man darauf schaue, wie weit man weltweit auf dem Weg zum SDG-Halbzeitziel für 2025 sei, so müsse man akzeptieren, dass es schwierig wird, die Ziele zu erreichen. Das sei aber eher Ansporn als Hindernis für das GIZ Data Lab, sich weiterhin leidenschaftlich für nachhaltige Entwicklung durch Datenprojekte zu engagieren.

Catherine Vogel mit einem Headset, Screenshot aus einer Videokonferenz-App.
Catherine Vogel, Koordinatorin des GIZ Data Lab

Das GIZ Data Lab ist ein auftragsunabhängiges Data Innovation Hub, dessen Aufgabe es ist, die effektive, faire und verantwortungsvolle Nutzung digitaler Daten für nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Es gehe vor allem darum, wie Daten in Entwicklungsprojekten weltweit eingesetzt werden, um Umweltauswirkungen zu minimieren und nachhaltiges Wachstum zu fördern. Die Arbeitsweise des Labs zeichne sich durch Agilität und Experimentierfreude aus.

Ein beeindruckendes Beispiel aus Vogels Arbeit ist das Projekt „Pilot for Interoperability, Detection of Marine Litter“, das vor allem die Minimierung von Umweltauswirkungen zum Ziel gehabt habe. Bei dem Projekt sei durch Daten ermittelt worden, wo zukünftig Müll im Meer auftreten könnte. Die Datenerfassung sei mithilfe von Drohnen, Crowd Sourcing und Social Media erfolgt; Ergebnisse wurden in einem Repository gesammelt. Einen weiteren bemerkenswerten Ansatz habe es bei „Data Powered Positive Defiance“-Pilotprojekten in Somalia gegeben. Hier seien Daten rückwirkend analysiert worden, um Erkenntnisse über Weideflächen und Naturreservate zu gewinnen und so etwas gegen Hunger zu tun. Vogel ermutigte dazu, die Grenzen der Datennutzung auszuloten:

Wenn wir es schaffen, in einem so datenarmen Land wie Somaliland hilfreiche Daten zu kombinieren und zu analysieren, dann können wir es überall schaffen. Push your limits!
Catherine Vogel, GIZ Data Lab

Neben den technischen Aspekten der Datennutzung teilte Vogel die Erkenntnis mit der AG, dass Mixed-Methods-Ansätze für den Einsatz von Daten gegen Umweltauswirkungen von großer Bedeutung seien. In solch einem Ansatz werden digitale und nicht-digitale Daten miteinander verknüpft, weil Big Data allein oft nicht aussagekräftig genug sei und qualitative Daten wie Interviews eine wichtige Ergänzung darstellen würden, um gute, handfeste Interpretation der Daten zu ermöglichen.

Die Bedeutung von Datenstrategien im Kontext der Nachhaltigkeitsziele


Dr. Marcel Dickow, Screenshot aus einer Videokonferenz-App.
Dr. Marcel Dickow, Referatsleiter für Digitalisierung und Umweltschutz sowie E-Government beim Umweltbundesamt

Mit Dr. Marcel Dickow, Referatsleiter für Digitalisierung und Umweltschutz sowie E-Government im Umweltbundesamt (UBA), tauchten die AG-Mitglieder in die deutsche Datenlandschaft ein. Er berichtete der AG aus erster Hand vom Umgang mit der Datenstrategie der Bundesregierung in einer großen Bundesbehörde, und betonte, dass man sich im Umweltbundesamt schon lange vor der neuen Datenstrategie mit ähnlichen Fragen beschäftigt habe.

Dickow führte die AG durch vier Schlüsselaspekte bei der nachhaltigen Arbeit mit Daten im UBA:

1. Green Data/Green AI

Es gehe nicht nur darum, nachhaltige Dinge mit Daten zu tun. In seinen Augen stünde bei allen Überlegungen im Fokus, dass man Datennutzung weitsichtig gestalte, um sicherzustellen, dass gleichzeitig die Umweltbelastung durch die Datensammlung und -nutzung minimiert werde: „Der Prozess der Datennutzung selbst muss auch nachhaltig sein.“

2. Prozess auf dem Weg zu einer Datenstrategie des UBA

Das UBA arbeite schon lange an einer umfassenden Datenstrategie, die auf den FAIR-Kriterien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) basiere und sicherstellen soll, dass Daten effektiv genutzt werden können. Dabei habe sich gezeigt, dass es nicht nur um die Strategie selbst gehe, sondern auch um den Prozess. Viele Mitarbeitende seien mit dem Thema Digitalisierung als kulturelles Thema nicht aufgewachsen, weshalb es auch so schwer sei, es in die Arbeitskultur einer Behörde zu integrieren. Man sei aber mittlerweile an einem Punkt, an dem die Menschen mitdenken und die neue Strategie implementieren wollen.

3. Datenlabor des BMUV

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUV) hat ein Datenlabor eingerichtet, das sich auf fachbedarfsgetriebene Fragestellungen aus unterschiedlichen Bereichen des Hauses konzentriere. Ein Anwendungsbeispiel sei die Auswertung von Windkraft- und Solarstandortdaten. Ohne eine Konsolidierung der Datenlage sei es bisher sehr schwierig gewesen, einen Überblick über das Gesamtbild der Energieversorgung in Deutschland zu erlangen.

4. Größere Datenprojekte im öffentlichen Sektor

Datenprojekte im öffentlichen Sektor bräuchten aus Dickows Sicht drei wichtige Vorüberlegungen, damit man sie nachhaltig gestalten könne. Erstens müssten passgenaue Lösungen gefunden werden:

Nicht jede Herausforderung kann oder muss mit KI oder maschinellem Lernen gelöst werden – es gibt noch andere datengetriebene Methoden.
Dr. Marcel Dickow, Umweltbundesamt

Zweitens müsse man die Qualität, Verfügbarkeit, Aktualität und Repräsentanz der benötigten Daten berücksichtigen. Drittens dürfe man Rebound-Effekte nicht ignorieren und müsse sehr gut darauf schauen, ob gegebenenfalls ungewünschte Effekte nur in andere Sektoren verlagert würden und so in den eigenen Statistiken nicht mehr auftauchen würden.

Transparenz auf dem Weg zur Klimaneutralität: Klimadashboards

Dr. Thomas Terstiege, Projektleiter in der Stabstellte „Smart City“ in Münster, präsentierte der AG nun ein ganz praktisches Datenprojekt mit Nachhaltigkeitsfokus: das Klimadashboard der Stadt Münster.

Dr. Thomas Terstiege mit einem Headset, Screenshot aus einer Videokonferenz-App.
Dr. Thomas Terstiege, Projektleiter in der Stabstellte „Smart City“ in Münster

Es stehe im Kontext der Ausrufung des Klimanotstands im Jahr 2019, sei 2022 im Förderprogramm „Modellprojekte Smart Cities“ ins Leben gerufen worden und soll Fortschritte und Herausforderungen auf dem Weg zum Ziel „Klimaneutrale Stadt bis 2030“ abbilden. Tatsächlich zeige sich auf dem Dashboard, dass die Kurven in vielen Bereichen stärker fallen müssten, als sie es tun, um diese Ziele zu erreichen. Das Klimadashboard biete also vor allem Transparenz. Das sei auch eines der Hauptziele bei der Konzeption gewesen, so Terstiege:

Uns war wichtig, das angestrebte Ziel Klimaneutralität 2030 möglichst auf jeder Datenkachel zu präsentieren. Das ist nicht immer leicht, weil in einigen Themen konkrete Ziele fehlen und politischer Diskussionsbedarf besteht.
Dr. Thomas Terstiege, Stadt Münster

Eine weitere Herausforderung, vor der Münster und vermutlich auch andere Städte bei einem solchen Dashboard stünden, sei die Datenerhebung und -verfügbarkeit. Insbesondere die Maschinenlesbarkeit der Daten sei ein Schlüsselaspekt, um das Klimadashboard effektiv zu betreiben. Auch Schnittstellen würden häufig noch fehlen. Und doch erreiche man mit einem solchen Dashboard schon viel. Nichtsdestotrotz: Auch hier sei ein Mixed-Methods-Ansatz wichtig. Nicht alle Menschen im System Stadtgesellschaft könnten mit Dashboards etwas anfangen. Für diese sei es weiterhin wichtig, dass auf anderen Wegen erklärt werde und Politiker*innen sich hier in die Verantwortung begeben.

„Freie Daten statt offene Daten“: Erfahrungen eines Datenjournalisten

Datenjournalist Michael Kreil brachte zum Abschluss eine kritische Perspektive in die Diskussion ein und beleuchtete praktische und juristische Probleme im Zusammenhang mit der Nutzung von Daten aus dem öffentlichen Sektor. In seiner Arbeit als Journalist hat er vermeintlich urheberrechtlich geschützte Daten der Verwaltung veröffentlicht. Dabei habe es sich zum Beispiel um Karten mit Bundesland- oder Landkreisgrenzen gehandelt, für die er sogar eine „Arbeitsplatzlizenz“ auf einer behördeneigenen E-Commerce-Plattform gekauft habe. Obwohl diese Daten als öffentliche Informationen betrachtet werden könnten, gebe es in Deutschland erhebliche Hürden für den Zugang.

Michael Kreil, Screenshot aus einer Videokonferenz-App.
Datenjournalist Michael Kreil

Vor allem sei ihm im Zuge dieses Prozesses klargeworden, dass das Urheberrecht bei solchen Daten eigentlich nicht greifen dürfe: Beim Urheberrecht gehe es um den Schutz des Rechts von Individuen, um Originalität und um schöpferische Leistung. Es sei eine Existenzsicherung für Urheber und eine Stütze für die Meinungsfreiheit. All das funktioniere aber für die Verwaltung und ihre Daten nicht. Kreil machte an seinem Beispiel die Schwierigkeiten deutlich, die sich daraus ergeben. Insbesondere die Tatsache, dass Behörden E-Commerce-Plattformen betreiben und Geld für den Zugang zu Daten verlangen, die in anderen Ländern frei zugänglich seien, führte zu Diskussionen über Investitionsschutz und Pressefreiheit. Dies führte zu Kreils abschließendem Plädoyer:

Wir brauchen freie Daten statt offener Daten. Ein Amt darf nicht darüber entscheiden, ob ich datenbasiert z. B. über sein Scheitern bei der Versorgung mit Windkraftanlagen berichten darf. Das ist eine Einschränkung der Pressefreiheit.
Michael Kreil, Datenjournalist

Das Bayerische Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung hat mittlerweile Strafanzeige gegen den Journalisten erstattet. Dieser nutzte die Gelegenheit, jetzt als Betroffener eine Gegenklage anzustreben. Damit stelle er nun das Urheberrecht an Behördendaten grundsätzlich infrage und sei gespannt auf den weiteren Verlauf der Prozesse.

Die AG-Teilnehmenden waren sich einig: Die Festlegung von Zielvorstellungen, Maßnahmen und Richtlinien ist wichtig, aber ohne praktische Umsetzung geht es nicht. Datennutzung und Datenverfügbarkeit sind Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Die Datenstrategie der Bundesregierung wird die AG Datendemokratie daher in den nächsten Monaten bei ihren Sitzungen weiter begleiten.

Von lokal bis global: Die Bedeutung von nachhaltiger Datennutzung

Mehrere Personen in Rechtecken, Screenshot aus einer Videokonferenz-App.

Die Diskussionen des Tages gaben den Mitgliedern der Arbeitsgruppe einen tiefen Einblick in vielfältige Aspekte der Datennutzung für nachhaltige Entwicklung im öffentlichen Sektor. Von internationalen Projekten zur Minimierung von Umweltauswirkungen bis hin zu lokalen Initiativen wie dem Klimadashboard in Münster haben die vorgestellten Beispiele gezeigt, dass Daten eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft spielen können. Gleichzeitig verdeutlicht die Debatte um freie Daten gegenüber offenen Daten die Herausforderungen, die mit dem Zugang und der Nutzung von Behördendaten verbunden sind. Es liegt an uns allen, diese Fragen weiterhin kritisch zu hinterfragen und Lösungen zu finden, die die Nutzung von Daten im Einklang mit den Prinzipien von Nachhaltigkeit und Transparenz fördern.

Ansprechpartner in der Geschäftsstelle

Porträt von Alexander Köhler

Alexander Köhler, Referent Digitaler Staat (er/ihm)