AG-Blog | Vom Konzept zur Umsetzung – Warum Datenstrategie nicht gleich Data Governance ist, wieso es beides braucht und wie man beides bekommt
In ihrer letzten Sitzung im Jahr 2023 hat die AG Datendemokratie sich mit der erfolgreichen Umsetzung von Datenstrategien, Instrumenten für den Aufbau einer nachhaltigen Datenkultur und Data Governance sowie der Frage, wie ein partizipativer Umgang mit Daten gestaltet werden kann, beschäftigt.
Berlin/virtuell. Im August 2023 hat die Bundesregierung ihre neue Datenstrategie verabschiedet. Darin gibt es eine gesteigerte Anerkennung der strategischen und ökonomischen Bedeutung von hochwertigen Daten und ihrer effizienten Nutzung durch Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Strategie allein recht jedoch nicht aus – die wirkliche Herausforderung besteht in der konsequenten Umsetzung und darin, eine gelebte Datenkultur sowie datenbasierte Organisationsprozesse zu etablieren.
Wie kann die erfolgreiche Umsetzung von Datenstrategien erreicht werden? Warum fällt es Unternehmen leichter als Behörden, diesen Transformationsprozess zu bewältigen? Und welche Instrumente können verwendet werden, um eine nachhaltige Datenkultur und Data Governance aufzubauen? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die AG Datendemokratie bei ihrer letzten Sitzung im Jahr 2023.
Stellschrauben einer ressortübergreifenden Daten-Governance
In seiner Funktion als Data Scientist und Referent für Wirtschaft und Finanzen beim Datenlabor des Bundeskanzleramts gab Julius Ibel der AG Einblicke in die Perspektive der Verwaltung. Die Bundesregierung habe sich das Ziel eines stärker evidenzbasierten staatlichen Handelns gesetzt. Dafür würden die Datenlabore gemeinsam die Vorrausetzung schaffen. Sie übernehmen die Ad-hoc-Unterstützung der Ressorts. So würden die Datenlabore die Referate und Abteilungen bei Entscheidungsprozessen und Strukturen (qualitativ und quantitativ) unterstützen. Gleichzeitig solle durch die Arbeit der Datenlabore eine Steigerung der Datenkompetenz in der Verwaltung sowie eine Erhöhung der Maschinenlesbarkeit und Nutzung von Daten erreicht werden.
Die Unterstützung der Ressorts erfolge beispielsweise in Form von Datenprodukten:
Viele Verwaltungs- und Arbeitsprozesse innerhalb der Abteilungen und Referate seien in der bisherigen manuellen Durchführung zeit- und personalaufwendig. Hier ließen sich durch die Automatisierung der Prozesse mithilfe der Datenprodukte der Labore aktiv Ressourcen einsparen. Die Nutzbarkeit der Daten „für alle“ stelle ebenfalls einen wichtigen Punkt der Arbeit der Labore dar. Ein Großteil der Daten, auf die die Labore zugreifen können, seien im Grunde öffentlich verfügbare Daten, die auch der Allgemeinheit zugänglich seien.
Hierzu würden die Datenlabore unter anderem an einem Proof-of-Concept für einen Datenpool der Bundesverwaltung für maschinenlesbare Daten arbeiten. Gemeinsam mit dem Datenatlas, der Daten aller Ministerien und ihrer Geschäftsbereiche auf Metadatenebene enthalten soll, solle der Datenpool den Bundesbehörden eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung ermöglichen.
Data Governance: Drei Fragen
Svetlana Patimova, Leitung des Data Analytics Teams und Senior Lead Specialist bei PD – Berater der öffentlichen Hand, präsentierte den AG-Mitgliedern im Anschluss Antworten zu den Fragen der Umsetzung einer Datenstrategie aus der Perspektive der Beratung der öffentlichen Verwaltung. Patimova betonte, dass Data Governance keine neue Erfindung sei und an vielen Stellen lediglich ein Blick durch die „Datenbrille“ hinsichtlich der Aktualität notwendig sei. Dabei berief sie sich auf ein Zitat von Robert S. Seiner aus dessen Buch „Non-invasive Data Governance“: „Alle Organisationen verwalten bereits ihre Daten. Sie tun dies möglicherweise informell, manchmal ineffizient und oft wenig effektiv, aber sie verwalten bereits Daten. Und sie können es besser machen.“ In ihren Augen stünden im Kern der Data Governance drei Fragen, die beantwortet werden sollen:
1. Warum? Eine klare Zielsetzung sei bei der Entwicklung von Data Governance entscheidend. Daten seien die eine transformative Kraft, die zur Entwicklung einer effizienteren, transparenteren und serviceorientierteren Verwaltung beitragen könne. Auch wenn alle Themen wichtig und relevant seien, könne das gleichzeitige Auseinandersetzen mit allen Themen die betroffenen Mitarbeitenden überfordern. Daher sei es besonders wichtig, zu priorisieren und Reihenfolgen zu schaffen. Nur so könne ein nachhaltiges Vorgehen erreicht werden. Gleichzeitig sei es entscheidend von den Bedarfen auszugehen. Es müsse sich zunächst ein Überblick geschaffen werden, welche Tätigkeiten aufgrund von Silos sowie Intransparenz über den Datenstand oder der Datenqualität nicht möglich seien. Zunächst müssen oftmals die „Basisarbeiten“ durchgeführt werden, die die Grundlage für ein „Data Governance Framework“ bilden (bspw. Dateninventur, Klassifizierung, Datenkatalog, Digitalisierung der Dokumente, etc.). Eine sogenannte „Data Lineage“ („Stammbaum“) helfe außerdem, spätere Korrekturen zu vermeiden. Dazu seien Informationen über den Datenfluss innerhalb der Häuser äußerst wichtig.
2. Wer? „Das Menschliche ist der schwierigste und gleichzeitig wertvollste Aspekt von Data Governance.“ Während Tools meistens (relativ) unkompliziert seien, liege die große Herausforderung darin, die Menschen abzuholen. In einer guten Data-Governance-Strategie müssten die Rollen bei der Datenverarbeitung klar sein; sie benötige außerdem praktische Definitionen und Verantwortlichkeiten. Auch hier lohne es sich, den Blick auf das, was bereits vorhanden ist, zu richten. Oftmals seien die Arbeitsabläufe und der Umgang mit Daten bereits klar, aber der Kontext fehle. Daher seien die möglichst praxisnahe Beschreibungen der Tätigkeiten und die Bereitstellung von Kontext besonders wichtig. Gleichzeitig sollten die Formalisierung von bereits informell erfolgenden Tätigkeiten sowie der Ausbau der Strukturen um bestehende Tätigkeiten wichtige Ziele sein:
3. Wie? Durch das Teilen und die gemeinsame Nutzung gewinnen Daten einen Mehrwert. Somit seien Zusammenarbeit und Austausch zwischen den unterschiedlichen Bereichen und Zielgruppen essenziell. Man müsse sich bewusst machen, dass Daten heute für deutlich mehr Zwecke verwendet würden, als für die sie ursprünglich erfasst wurden. Das Teilen von Daten solle möglichst einfach gestaltet werden, um Silos genauso wie Workarounds zu vermeiden. Tools und Technologien könnten diese Prozesse unterstützen, sollten aber nicht im Vordergrund stehen. Wichtiger sei die Frage, was an Daten vorliege und wie diese übergreifend genutzt werden können. Und für deren Beantwortung müsse man in den abteilungs- und referatsübergreifenden Dialog kommen, im besten Fall sogar über einzelne Ministerien hinaus. Innerhalb der einzelnen Referate und Abteilungen müssten aber Rollen und Verantwortlichkeiten klar seien. Das Regelwerk zum Datenaustausch solle für alle zugänglich und verständlich sein. Die elektronische Umsetzung (egal ob Datenatlas, Datenkatalog, Datenregister, etc.) werde nur funktionieren, wenn klar sei, für wen (und für wie viele) die Daten nutzbar sein sollen.
Abschließend formulierte Patimova drei Bedingungen für eine erfolgreiche Data Governance:
- Technische Komplexität reduzieren: Der Fokus müsse stärker auf Anwendungsfälle und weniger auf die Tools gerichtet werden; Nutzer*innenzentrierung müsse im Vordergrund stehen.
- Entscheidungsfindung vereinfachen: Weniger Entscheidungsstufen und eine gewisse Dezentralität würden mehr Flexibilität ermöglichen und die Effizienz erhöhen. An vielen Stellen seien Prozessoptimierung möglich.
- Von anderen Organisationen lernen: Nicht zu kompliziert denken! Viele Bausteine, Tools und Prozesse würden bereits existieren und könnten aus den Frameworks anderer Ressorts übernommen und angepasst werden.
Partizipativ und gemeinwohlorientiert – warum Data Governance und Datenkultur allen dienen muss
Als Referentin für Politik und den öffentlichen Sektor bei Wikimedia Deutschland brachte Aline Blankertz schließlich die wichtige Perspektive der Zivilgesellschaft ein. Sie begann ihren Impuls mit dem Credo: „(Mindestens) die Digitalpolitik sollte dem Gemeinwohl dienen.“
Der Begriff des Gemeinwohles sei nicht überzeitlich definiert, sondern ein laufender Prozess, der immer wieder angepasst werden müsse. Darunter sei unter anderem „das Überleben und Wohlergehen eines sozialen Kollektivs durch Aushandlung“ zu verstehen. Gleichzeitig sei (Digital-)Politik immer auch Gesellschaftspolitik. Die Gemeinwohlorientierung müsse den Markt mitdenken. Somit sollten wirtschaftspolitische Ziele eigentlich immer auch gesellschaftlichen Zielen dienen. Dennoch entstünden aktuell an vielen Stellen Spannungsfelder. Im Gespräch mit Akteur*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft habe Wikimedia acht Anforderungen dafür ausgearbeitet, das Gemeinwohl bei der Umsetzung von Data-Governance-Prozessen zu gewähren.
Anhand von zwei Datenprojekten verdeutlichte Blankertz, wie eine mögliche Evaluation solcher Projekte hinsichtlich des Gemeinwohls und der Teilhabe entlang dreier Dimensionen (Beteiligung, Gemeinschäden, Befähigung) möglich sei. Gerade der Punkt der Beteiligung stelle in der praktischen Umsetzung besonders viel Arbeit dar. Oftmals gestalte sich in der Praxis bereits eine niederschwellige Beteiligung aufgrund der anderen Arbeitsweise der Verwaltung im Vergleich zu Wirtschaft oder Wissenschaft als schwierig. Schon IFG-Anträge (Anträge im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetz auf Zugang zu Daten) seien eine Verwaltungsleistung, die mit einem großen bürokratischen Aufwand verbunden sei und außerdem viele Verwaltungskräfte binde, die entsprechend viel Zeit aufwenden müssten. Zudem gebe es aktuell wenig Good Practice in diesem Bereich, das als Vorbild genommen werden könne.
Transparenz als Grundlage für eine partizipative Data Governance
Transparenz sieht Blankertz als Voraussetzung für die Beteiligung bei der Datenpolitik bzw. Data Governance. Eine solche Transparenz werde durch offene Daten ermöglicht und sei ebenso wichtig für das Teilen der Daten. Dabei sei auch die Datenarchitektur relevant, da sie die Offenheit beeinflusse. Transparenzgesetze müssten als demokratiefördernd verstanden werden, da Transparenz die Grundlage für politische Beteiligung darstelle. Sowohl die rechtliche Grundlage als auch die technische und organisatorische Begleitung sei hier wichtig. Open Data und Informationsfreiheit sollten von Beginn an mitgedacht werden. Gleichzeitig könnten Transparenz und offene Daten die Effizienz der Verwaltung steigern und somit als guter Proxywert für eine erfolgreiche Datenverarbeitung und -kommunikation verstanden werden.
Blankertz sprach sich für eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft und eine stärkere Transparenz aus:
Die Teilnehmenden der AG-Sitzung waren sich einig, dass schon viel passiert ist, aber noch viel mehr passieren muss, um die Datenstrategie erfolgreich umzusetzen und eine partizipative Datenpolitik und -kultur zu erreichen. Gerade im Verwaltungsbereich gibt es noch Raum für Prozessoptimierung, bei denen sowohl Beispiele aus den eigenen Reihen, aber auch aus der Privatwirtschaft als Good-Practice-Beispiel dienen können. Die Wichtigkeit von Transparenz und Open Data für eine gemeinwohlorientierte Datenpolitik wurden ebenfalls einhellig herausgestellt.