Interview mit Roland Eichenauer zum Kapitel „Lagebild E-Government“ im eGovernment MONITOR 2024
Interview mit Roland Eichenauer zum Kapitel „Lagebild E-Government“ im eGovernment MONITOR 2024
Dänemark gilt als Vorreiter bei der Nutzung staatlicher digitaler Identitäten. Die NemID wurde 2010 eingeführt und 2022 durch die MitID ersetzt, wobei nahezu alle Dän*innen eine staatliche digitale Identität verwenden, um sich bei Banken, Behörden und anderen Institutionen auszuweisen. Worin sehen Sie die Gründe für diese hohe Akzeptanz in der Bevölkerung?
Wir haben ein nutzer*innenzentriertes Modell entwickelt, das die Bereitstellung öffentlicher und privater Dienstleistungen durch eine einzige sichere digitale Identität harmonisiert. Dieses Modell bietet hohe Geschwindigkeit (mobile first), sichere Authentifizierung und Datenschutz. Unsere Lösung unterstützt die digitale Customer Journey im öffentlichen und privaten Sektor, indem sie eine einzige eID und einen einzigen Zugangspunkt für alle Dienstleistungen bietet. In Dänemark ermöglicht unsere Lösung den Bürger*innen den Zugang zu mehr als 2.000 öffentlichen und mehr als 1.000 privaten Dienstleistungen.
Die hohe Akzeptanz digitaler Identitäten in der Bevölkerung beruht auf mehreren entscheidenden Faktoren. Zunächst bietet unser Modell eine nutzer*innenfreundliche Lösung: Die intuitiven Systeme machen die Nutzung für alle Altersgruppen verständlich. Zudem sind digitale Identitäten in viele Lebensbereiche integriert, was den Bürger*innen hilft, alltägliche Abläufe zu erleichtern. Außerdem spielen Sicherheit und Vertrauen eine zentrale Rolle: Durch effektive Authentifizierung und umfassende Datenschutzmaßnahmen wird das Vertrauen der Bürger*innen gestärkt. Darüber hinaus sind Bildung und Aufklärung wichtig: Verschiedene Informationskampagnen haben die Bevölkerung sensibilisiert und fördern die Akzeptanz der digitalen Identitäten, und die positiven Erfahrungen vieler Nutzer*innen tragen dazu bei, dass sie das System weiterempfehlen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die staatliche Unterstützung: Die dänische Regierung hat bereits frühzeitig gesetzliche Vorgaben und Verpflichtungen zur Nutzung digitaler Identitäten erlassen. Darüber hinaus erhalten die Nutzenden technische Unterstützung wie die Bereitstellung von Support-Hotlines.
Ein weiterer Schlüsselfaktor sind die Anwendungsfälle: Bei zahlreichen öffentlichen und privaten Dienstleistungen kann man sich mit seiner digitalen Identität ausweisen. Regelmäßige Updates und Verbesserungen der Systeme sorgen dafür, dass sie den Bedürfnissen der Bürger*innen gerecht werden. In Pilotprojekten werden neue Anwendungen getestet und wertvolles Feedback gesammelt. Durch Kooperationen mit der Privatwirtschaft fördern wir die Nutzung digitaler Identitäten in verschiedenen Branchen. Zusätzliche Anreize werden durch Rabatte oder spezielle Dienstleistungen geschaffen. Und zu guter Letzt: Eine transparente Kommunikation über die Vorteile und Sicherheitsmaßnahmen sorgt in der Öffentlichkeit für ein besseres Verständnis.
In Deutschland gibt es die Online-Funktion des Personalausweises seit über 10 Jahren. Obwohl sie seit 2017 automatisch aktiviert ist, nutzen bisher nur 22 Prozent der Bürger*innen diese Funktion. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Maßnahmen, die Deutschland ergreifen kann, um die Nutzung der Online-Ausweisfunktion zu steigern?
Hierfür ist eine Reihe von Maßnahmen wichtig. Zunächst muss die Nutzer*innenfreundlichkeit erheblich verbessert werden. Dazu gehören Vereinfachungen beim Anmelde- und Nutzungsprozess sowie die Etablierung von mobilen Lösungen. Außerdem sollte das Serviceangebot erweitert werden. Darüber hinaus sind Schulung und Unterstützung wichtig. Bildungsprogramme und Support-Hotlines könnten den Bürger*innen helfen, die Online-Ausweisfunktion effektiver zu nutzen. Auch Anreize zur Nutzung könnten zusätzliche Motivation bieten. Irgendwann könnte man auch über eine gesetzliche Verpflichtung zur Nutzung der eID in manchen Bereichen nachdenken.
Ebenfalls wichtig: Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung. Informationskampagnen, die die Vorteile und die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten anschaulich darstellen, würden das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Möglichkeiten der staatlichen digitalen Identitäten erhöhen. Sicherheit und Vertrauen sollten durch eine transparente Kommunikation über die Sicherheitsmaßnahmen gestärkt werden. Und natürlich müssen die Sicherheitstechnologien auch kontinuierlich verbessert und an neue Entwicklungen angepasst werden. Der Ausbau der technischen Infrastruktur ist entscheidend, um eine vertrauenswürdige und zuverlässige Nutzung zu gewährleisten. Bei der Zusammenarbeit mit Technologieanbietern können innovative Lösungen entwickelt und die Funktionalität des Online-Ausweises erweitert werden.
Regelmäßige Nutzer*innenbefragungen runden das Maßnahmenpaket ab und liefern wertvolles Feedback für die Weiterentwicklung der eID. Zudem können Pilotprojekte helfen, die Akzeptanz zu testen und herauszufinden, welche Faktoren die Nutzung der eID fördern.
Die größte Hürde für die Nutzung des Online-Ausweises scheint der Mangel an Anwendungsmöglichkeiten zu sein. Gleichzeitig ist die Notwendigkeit, sich online auszuweisen, in Deutschland die zweitgrößte Hürde bei der Nutzung von E-Government: 24 Prozent haben schon einmal einen digitalen Verwaltungsvorgang abgebrochen, weil sie sich digital identifizieren mussten. Ist das Ihrer Meinung nach ein Henne-Ei-Problem oder vielmehr eine Frage der Kommunikation über die Möglichkeiten des Online-Ausweises?
Tatsächlich stellt sich diese Situation als Henne-Ei-Problem dar: Auf der einen Seite gibt es nur wenige Anwendungsmöglichkeiten, was für die Bürger*innen kaum Anreize zur Nutzung schafft und auch den Unternehmen wenig Motivation bietet, neue Angebote zu entwickeln. Auf der anderen Seite hemmt die geringe Nachfrage die Integration neuer Dienste.
Trotzdem kann eine Kommunikationsstrategie hier helfen. Viele Bürger*innen kennen die Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten der digitalen Identität nicht. Zudem führen fehlende oder falsche Informationen über Sicherheit und Datenschutz zu Unsicherheit und Misstrauen. Räumt man diese Hürden durch eine gelungene Kommunikation aus dem Weg, kann dies die Nutzung erhöhen und zusätzliche Anreize für mehr Integration bei den Anbieter*innen schaffen.
Wir sehen für Deutschland in diesem Jahr zum ersten Mal einen deutlichen Anstieg der Nutzung des Online-Ausweises um 8 Prozentpunkte, was auf eine Zunahme der bekannten Anwendungsmöglichkeiten und damit auf einen höheren Nutzen für die Bürger*innen zurückzuführen ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wünscht sich, sich mit dem Ausweis auf dem Smartphone überall digital ausweisen zu können. Welche Rolle spielen Anwendungsmöglichkeiten, auch außerhalb der klassischen Verwaltung, für die Akzeptanz staatlicher digitaler Identitäten?
Eine ganz entscheidende! Die Gleichung ist hier ganz einfach: Häufige Nutzung und positive Erfahrungen mit der digitalen Identität erhöhen das Vertrauen und die Nutzungsbereitschaft. Wenn digitale Identitäten in verschiedenen Lebensbereichen genutzt werden können, zum Beispiel beim Online-Einkauf oder im Gesundheitswesen, steigert das ihre Bedeutung und den Nutzen im Alltag. Und eine solche digitale Transformation fördert wiederum neue Innovationen und Geschäftsmodelle rund um die eID. Erfolgsmodelle wie bei uns in Dänemark zeigen, wie stark eine staatliche digitale Identität durch breite Anwendungsfälle auch außerhalb der klassischen Verwaltung an Attraktivität gewinnt.
Mit der eIDAS-Verordnung und der Einführung der EUID-Wallet stehen den Mitgliedstaaten wichtige Neuerungen im Bereich der staatlichen digitalen Identifikation bevor. Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in diesen Entwicklungen sowohl für Europa insgesamt als auch für einzelne Länder wie Dänemark und Deutschland?
Die eIDAS-Verordnung und die EUID-Wallet bieten sowohl Herausforderungen als auch Chancen für Europa. Eine der größten Herausforderungen ist die notwendige Interoperabilität und Standardisierung der Systeme. Die technische Integration und die regulatorische Harmonisierung bestehender Systeme sind notwendig, um einen einheitlichen Rahmen zu schaffen, in dem das Ganze europaweit funktionieren kann. Darüber hinaus müssen hohe Sicherheits- und Datenschutzstandards gewahrt werden, um das Vertrauen der Nutzenden zu erhalten.
Auf der anderen Seite gibt es große Chancen wie die Schaffung eines einheitlichen digitalen Marktes, der grenzüberschreitende Dienstleistungen erleichtert und den digitalen Handel fördert. Ebenfalls vielversprechend erscheinen mir Effizienzgewinne durch Bürokratieabbau und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Insgesamt kann das Vertrauen in digitale Dienste gestärkt und die digitale Souveränität Europas geschützt werden.
Dänemark wird von seiner bisherigen Vorreiterrolle profitieren können und bestehende Infrastrukturen schnell anpassen. Für Deutschland birgt die EUID-Wallet das Potenzial, die Akzeptanz und Nutzung digitaler Identitäten zu erhöhen. Wenn Deutschland sich jetzt anstrengt, kann es die Chance zum Aufholen ergreifen und die Vorteile der Digitalisierung voll ausschöpfen.
Wenn Sie sich die Ergebnisse unserer Studie ansehen, gibt es für Sie besonders relevante oder überraschende Ergebnisse?
Ja, die Ergebnisse des eGovernment MONITOR 2024 sind sehr aufschlussreich. Besonders relevant ist der Anstieg der Nutzung des Online-Ausweises um 8 Prozentpunkte als Reaktion auf mehr Anwendungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite ist die Tatsache, dass 24 Prozent der Befragten digitale Verwaltungsvorgänge aufgrund der Notwendigkeit einer digitalen Identifikation abgebrochen haben, überraschend. Hier zeigt sich eine klare Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
Besonders auffällig sind auch die Unterschiede in der Nutzung zwischen den Generationen. Jüngere Generationen, insbesondere Gen Z und Gen Y, nutzen den Online-Ausweis intensiver als ältere. Die starke Präferenz für mobile Lösungen macht deutlich, wie wichtig moderne Technologien für die Akzeptanz digitaler Identitäten sind.
Zum Abschluss: Gibt es noch etwas, das Sie uns mit auf den weiteren Weg geben möchten?
Absolut. Ich habe es zwar schon einmal gesagt, aber ich muss es noch einmal wiederholen: Die Verbesserung der Nutzer*innenfreundlichkeit, insbesondere für weniger technikaffine Bürger*innen, wird das A und O für die Zukunft sein. Mobile Lösungen müssen dabei Priorität haben, da viele Bürger*innen Smartphones bevorzugen. Und auch Kommunikationskampagnen und Schulungen sind wichtig, besonders für ältere Generationen, um deren Hemmschwelle zu senken. Die Integration der eID in eine breite Palette von Dienstleistungen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zu integrieren, wird sein Übriges tun.
Sicherheit und Datenschutz dürfen dabei nie aus dem Fokus rutschen. Klare Kommunikation über die Sicherheitsmaßnahmen trägt dazu bei, das Vertrauen zu stärken, während Sicherheitsstandards kontinuierlich aktualisiert werden sollten. Interoperabilität und internationale Zusammenarbeit sowie gemeinsame Standards in Europa werden hoffentlich dafür sorgen, dass wir uns noch viel stärker zwischen den Ländern austauschen und von erfolgreichen Modellen wie bei uns in Dänemark lernen können.