AG-Blog | Auf dem Weg zu digitaler Ethik: Herausforderungen und Perspektiven der Bewertbarkeit

In einer zunehmend digitalisierten Welt wird ethisches Verhalten von Unternehmen im Umgang mit neuen Technologien immer bedeutender. Doch wer und vor allem wie das digital-ethische Handeln von Unternehmen bewertet und überprüft wird – das ist noch unklar. Die AG Digitale Ethik hat sich getroffen, um dieses Thema gemeinsam aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.

Berlin. Die ethisch verantwortungsvolle Entwicklung und Nutzung von neuen Technologien wird spätestens seit dem KI-Hype immer öfter gefordert. Doch wer überprüft eigentlich, ob die Technologie-Systeme oder scheinbar digital-ethische Prozesse in Unternehmen wirklich digital verantwortungsvollem Verhalten entsprechen? Mit anderen Worten: Wer kann eigentlich bewerten, wie digital-ethisch jemand handelt? Und wie kann digitale Ethik und Verantwortung überhaupt bewertet werden? Diese Fragen wurden in der virtuellen Sitzung der AG Digitale Ethik am 06. März gemeinsam mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutiert. Außerdem wurde die Rolle von Bürger*innen bei der digital-ethischen Bewertung von Unternehmen beleuchtet.

Von der Bio-Ethik zur Digital-Ethik

Effy Vayena gestikuliert in einer Videokonferenz
Prof. Dr. Effy Vayena von der ETH Zürich

Nach einer kurzen Begrüßung durch die AG-Leitungen Dr. Sarah J. Becker, Deloitte, und Jens-Rainer Jänig, mc-quadrat, und einer anschließenden Kennenlern- und Vernetzungssession in Breakout-Rooms gings es auch schon los. Den Start machte Prof. Dr. Effy Vayena von der ETH Zürich. In ihrem Impuls legte sie dar, wie die Diskussion über die digitale Ethik aufkam, und beschrieb den Status Quo der Debatte. Der Entwicklungsprozess der digitalen Ethik gleiche dabei stark dem Diskussionsverlauf der Bio-Ethik, so Vayena. Auslöser für die Auseinandersetzung mit digital-ethischen Fragestellungen sei der Fall von „Cambridge Analytica“ gewesen. Dieser habe vielen vor Augen geführt, dass es ethische Standards für die digitale Welt braucht. Deshalb sei in den darauffolgenden fünf bis sechs Jahren die Entwicklung von entsprechenden Frameworks explodiert:

Mittlerweile gibt es über 700 Frameworks und Checklisten zur digitalen Ethik. Das war der einfache Part. Nun stellt sich aber die Frage: Wo liegt der Konsens?
Prof. Dr. Effy Vayena, ETH Zürich

So fasste Vayena die aktuelle Herausforderung der digitalen Ethik zusammen. Nun gelte es herauszufinden, was die Frameworks und Prinzipien für die reale Welt bedeuteten und wie sie sich operationalisieren ließen. Dies sei ein wichtiger Schritt, um Gesetze verabschieden zu können, mit deren Hilfe Standards zur digitalen Ethik effektiv umgesetzt werden können. Dabei betonte Vayena jedoch, dass eine horizontale Regulierung über alle Branchen hinweg nicht funktionieren könne, da es verschiedene Regulierungsanforderungen gebe. In der anschließenden Diskussion standen die Parallelen und Unterschiede zwischen der Entwicklung der Bio-Ethik und der Digitalethik sowie das Spannungsfeld zwischen allgemeingültigen und anwendungsbezogenen Regulierungen im Mittelpunkt.

Jean Enno Charton und weitere Teilnehmer einer Videokonferenz
Dr. Jean Enno Charton von Merck im Gespräch mit anderen AG-Mitgliedern

„Wir sind von der Bio-Ethik zu der digitalen Ethik gekommen“, bekräftigte auch Dr. Jean Enno Charton, Director of Digital Ethics bei der Merck KGaA und zweiter Impulsgeber der AG-Sitzung. Er gab den AG-Mitgliedern einen praktischen Einblick darin, wie die Merck KGaA digital-ethische Bewertungsmöglichkeiten intern umgesetzt hat. Zu Beginn habe es bei Merck einen Bedarf der zunehmenden Professionalisierung hinsichtlich der digital-ethischen Bewertung von Digitalisierungsvorhaben gegeben. Deswegen habe sich das Unternehmen die Frage gestellt, wie von der bestehenden Expertise im bio-ethischen Bereich gelernt und Prinzipien auf die digitale Ethik übertragen werden könnten. Als Ergebnis entwickelte Merck mit Unterstützung eines neu eingerichteten Beratungsgremiums einen Code für die digitale Ethik, bestehend aus fünf Prinzipien, von denen vier aus der Bio-Ethik übernommen worden seien.

Der Code unterstützt uns bei der Herausforderung: Wie verhalten wir uns ethisch richtig und verantwortungsvoll in Abwesenheit von (globalen) Regulierungen?
Dr. Jean Enno Charton, Merck KGaA

Um dieses Prinzipienwerk auch wirklich umzusetzen, habe man ein Inhouse-Beratungsteam und Expert*innencluster für Ethikfragen etabliert. Die Beratung sei dabei Awareness-orientiert. „Das bedeutet, dass die Teams im Unternehmen über die Existenz des Beratungsteams informiert sind. Stoßen sie auf digital-ethische Fragestellungen, hilft das Expert*innenteam dabei, sie zu beantworten.“ So würden ethische Prinzipen bei der Entwicklung von Innovationen von Anfang an berücksichtigt.

Digitale Ethik als Gesellschaftspolitik in der digitalen Welt

Manuel Höferlin in einer Videokonferenz
Manuel Höferlin MdB, Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion

Eine politische Perspektive und Einschätzung hinsichtlich der Rolle der Bürger*innen bei der Bewertung von digital-ethischem Verhalten von Unternehmen lieferte Manuel Höferlin MdB, Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion. „Digitale Ethik gewinnt in einer immer digitaler werdenden Welt zunehmend an Bedeutung.“ Für viele sei digitale Ethik allerdings ein sehr weiter Begriff. Daher präzisierte Höferlin seinen Blick auf das Thema: Digitale Ethik betone, dass ethische Werte und moralische Grundsätze der analogen Welt auch in der digitalen Welt gelten müssen. Das Internet sei also kein unethischer Raum, und Diskurse über digitale Ethik keine politische Debatte. Denn letztlich würden ethische Bewertungen der Verbraucher*innen den Markt auch regulieren, wie das Beispiel der Plattform X (ehemals Twitter) gut zeige. Politik sei deshalb nicht allein für die Bewertung digitaler Ethik zuständig. Vielmehr müsse Politik Regulierungen verabschieden, die den digital-ethischen Werten der Bürger*innen entsprächen und gesellschaftlich gewollt seien:

Digitale Ethik ist Gesellschaftspolitik in der digitalen Welt.
Manuel Höferlin MdB, FDP-Fraktion

Um den Willen der Gesellschaft und die digital-ethischen Bewertungen der Bürger*innen herausfinden zu können, müssten den Bürger*innen digitale Kompetenzen mit an die Hand gegeben werden. Über dieses Thema der digitalen Kompetenzen und die digitale Mündigkeit sowie über weitere Bereiche wie etwa das Spannungsfeld zwischen Regulierung und Innovation bei neuen Technologien konnten die Teilnehmer*innen anschließend ausgiebig mit Höferlin diskutieren.

Doppelrolle der Verwaltung und Label für die Moral

An die Impulse anknüpfend hatten die Teilnehmenden die Wahl, in zwei Gruppen entweder die Verwaltungsperspektive oder Verbraucher*innenperspektive auf die Bewertung digitaler Ethik vertieft zu diskutieren. Anita Klingel von PD – Berater der öffentlichen Hand ging mit ihrer Gruppe der Frage nach, wie digitale Ethik angesichts der alltäglichen politischen Hausleitungsherausforderungen innerhalb der Verwaltung umgesetzt werden kann. Dazu stellte sie ein fünfschrittiges Vorgehensmodell vor:

Eine Videokonferenz mit 20 Fenstern. An manchen sind "gehobene Hände" als Zeichen zu erkennen.
Die Teilnehmenden der AG-Sitzung diskutierten in den Kleingruppen mit viel Elan.
  • Zieldefinition
  • Operationalisierung
  • Zuweisung von Verantwortlichkeiten
  • Prüfung
  • Monitoring

Sie stellte zudem heraus, dass die Verwaltung eine Doppelrolle bei der Bewertung digital-ethischer Fragestellungen innehabe:

Verwaltung muss sowohl eigene als auch fremde Vorhaben aus digital-ethischer Perspektive bewerten, da sie auch Technologien oder Anwendungen verwendet, die sie nicht selbst entwickelt hat.
Anita Klingel, PD

In der Gruppe von Patricia Scheiber von Civitalis standen Fragen wie „Inwieweit legitimieren Verbraucher*innen ethisches Verhalten von Unternehmen, in dem sie deren Produkte kaufen?“ oder „Welche Formen von Transparenz sind nötig, damit Verbraucher*innen ethisches Handeln bewerten können?“ im Vordergrund. Diskutiert wurden die Möglichkeiten, die Verbraucher*innen selbst haben, um das Verhalten von Unternehmen digital-ethisch zu bewerten. Konkret thematisierte sie Gütesiegel und Label, die (digital-)ethisches Verhalten von Unternehmen zertifizieren. Diese hätten aber auch Grenzen, wie man an Beispielen aus der Umweltbranche sehe, worüber kritisch diskutiert wurde. Welche Akteur*innen solche Label letztlich betreiben sollten, wurde ausgiebig debattiert.

Die AG-Leitung bedankte sich am Ende bei allen Teilnehmenden und Speaker*innen für das hohe Diskussionsniveau, welches zeige, dass die digital-ethische Debatte derzeit voll im Gange sei. Deswegen blicken wir mit Vorfreude auf die nächste Sitzung der AG Ethik, die im Juni 2024 stattfinden wird. Weitere Infos folgen!

Ansprechpartnerin in der Geschäftsstelle

Porträt von Dr. Marie Blachetta

Dr. Marie Blachetta, Referentin Digital Responsibility (sie/ihr)