Auf die Plätze, MINT und los!
Warum es für eine chancengerechte Zukunft mehr Frauen in technischen Berufen braucht und was wir alle dafür tun können.
Weltweit sind laut UNESCO nur zwölf Prozent der Forscher*innen im Bereich Künstliche Intelligenz und sechs Prozent der professionellen Softwareentwickler*innen Frauen. Das ist nicht zuletzt mit Blick auf die Zukunft besorgniserregend. Denn ohne Teilhabe von Frauen in der Forschung, Entwicklung und Nutzung von Technologien werden bestehende Geschlechterungleichheiten reproduziert und sogar verstärkt. Um das und die dahinterliegenden Strukturen zu ändern, müssen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Hand in Hand arbeiten. Jedes Unternehmen kann aber auch seinen Beitrag für eine chancengerechtere Arbeitswelt leisten.
Fehlende Diversität: Der Gender-Data-Gap
Ein Beispiel, an dem deutlich wird, warum die Teilhabe von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen lebenswichtig sein kann, ist die Medizin. Mit der digitalen Transformation durchdringt Künstliche Intelligenz die Branche: Unzählige Daten werden erhoben und zu Daten-Sets aufbereitet, Algorithmen entwickelt und trainiert. Das Problem: Wenn ein Gender Bias, also ein geschlechtsbezogener Verzerrungseffekt, in den Daten enthalten ist, wird dieser immer wieder reproduziert. Bei Frauen werden zum Beispiel Herzinfarkte häufig übersehen. Warum? Veränderungen der Aortenklappen sind geschlechtsspezifisch und sogar die Zellen unterscheiden sich. Diese werden aber in Studien nicht als weiblich oder männlich markiert.
Das Problem bezieht sich aber nicht nur auf die Medizin, sondern durchzieht alle Lebensbereiche. In ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ macht die Autorin Caroline Criados-Perez auf die vielen Aspekte des „Gender-Data-Gap“ aufmerksam: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau bei einem Autounfall ernsthaft verletzt wird, ist 47 Prozent höher als bei einem Mann. Das liegt am Design der Autos und dass Crashtest-Dummies an einen Durchschnittsmann angelehnt sind.
Für eine chancengerechte Zukunft müssen also alle Perspektiven bereits in der Entwicklung von Technologien berücksichtigt werden. Aber dafür benötigen wir ausgebildete Expert*innen. 2021 lag der Frauenanteil unter den Studienanfänger*innen in Informatik laut dem Statistischen Bundesamt gerade mal bei 21,8 Prozent. Frauen und andere marginalisierten Gruppen in MINT-Berufen müssen noch viel stärker gefördert werden. Dafür ist es von Vorteil, wenn junge Frauen schon früh in Kontakt mit technischen Themen kommen.
Früh übt sich: MINT-Förderung in Kita und Schule
Das erzählte eine der teilnehmenden Schülerinnen beim diesjährigen Girls’Day-Auftakt, den die Initiative D21 seit vielen Jahren gestaltet. Der bundesweite Orientierungstag zur Berufs- und Studienorientierung versucht, schon bei jungen Frauen anzusetzen und Interesse und Begeisterung für MINT-Themen zu wecken.
Am Girls’Day lernen Mädchen Berufe oder Studienfächer kennen, in denen der Frauenanteil unter 40 Prozent liegt, z. B. in den Bereichen IT, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik. Laut Girls’Day-Wirkungsstudie haben 42 Prozent der teilnehmenden Schülerinnen Lust, später in dem Unternehmen zu arbeiten, das sie am Girls'Day kennengelernt haben.
Auch die neue Richtlinie zur Förderung regionaler Cluster für die MINT-Bildung von Kindern und Jugendlichen, die Anfang März 2023 veröffentlicht wurde, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. In den regionalen MINT-Clustern vernetzten sich relevante Akteur*innen der außerschulischen MINT-Bildung, um die MINT-Bildungslandschaft ihrer Region zu stärken. Und das Förderprogramm „Regionale Cluster für MINT-Bildung für Jugendliche“ fördert den Ausbau von Bildungsangeboten für Kindern und Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren im außerschulischen Bereich. Beide Förderungen bieten jungen Menschen einen wichtigen Mehrwert: Vorbilder. Eine Schülerin beim diesjährigen Girls’Day-Auftakt berichtete, dass sie beeindruckt „von den ganzen tollen Frauen“ war. Junge Frauen brauchen Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können und die ihnen zeigen „Das kann und will ich auch!“.
Fünf Tipps für eine chancengerechtere Arbeitswelt
Jedes Unternehmen und jede Organisation kann einen Beitrag für eine chancengerechtere Arbeitswelt leisten und Frauen Lust auf Digitalisierungsthemen machen. Zwar kann niemand allein den Gender-Data-Bias beheben, aber Frauen können gezielt und auf ihre Lebensrealität angepasst an technische Themen herangeführt werden. Mit der digitalen Transformation wird es außerdem unabdingbar, dass sich alle Mitarbeitenden auf neue Technologien einlassen können und diese auch beherrschen. Wir geben fünf Tipps:
- Augen auf im Einstellungsprozess
Sie sind händeringend auf der Suche nach einer neuen Leitung für die IT-Abteilung, aber die Recruiter*innen schlagen nur männliche Talente vor? Ein vorurteilsfreier Recruiting- und Einstellungsprozess ist das A & O. Was beim Recruiting für Vorstandsposten mittlerweile laut dem neuesten Allbright-Bericht gut funktioniert, ist bei technischen Berufen noch ein Problem: Die meisten Recruiter*innen suchen hier automatisch nach männlichen Kollegen – Stichwort „Unconscious Bias“. Es ist sinnvoll, zu sensibilisieren und zum Beispiel Jobangebote gezielt auch in Netzwerken für Frauen in der IT-Branche zu platzieren. - Gleichberechtigung ist Führungsthema
Das Thema Gleichberechtigung ist kein Frauenthema, sondern Führungsaufgabe und muss in sämtlichen Prozessen mitgedacht werden. Gleichberechtigung ist dabei als offener Umgang mit allen Geschlechtern zu verstehen, bei dem genug Raum und Empathie für verschiedene Bedürfnisse und Perspektiven gegeben wird. - Mehr digitale Geräte für Frauen
Frauen erhalten seltener mobile Geräte von ihren Arbeitgeber*innen und haben seltener Zugang zu digitalen Anwendungen. Das hat unsere Studie Digital Gender Gap. Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt gezeigt. Eine Ursache dafür ist die schlechtere Ausstattung von Menschen in Teilzeit – was weit überdurchschnittlich häufig Frauen sind. Damit fehlen Frauen oft notwendige Voraussetzungen und sie fühlen sich nicht genügend auf die Digitale Transformation vorbereitet. Viele digitale Anwendungen würden Frauen außerdem bei einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben unterstützen. Achten Sie also darauf, dass Frauen in Ihren Unternehmen der gleiche Zugang zu digitalen Geräten und Anwendungen garantiert wird. - Kinderbetreuung ermöglichen
Kinderbetreuung und damit die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ist immer noch eine der großen Herausforderungen für berufstätige Eltern. Unabhängig vom Geschlecht sollten Eltern die Möglichkeit haben, flexibel Beruf- und Kinderbetreuung zu kombinieren. Dazu gehören auch kleine Umstellungen wie gezielt keine wichtigen Besprechungen auf den Nachmittag zu legen. Wer in seiner Organisation solche Voraussetzungen schafft, macht sie attraktiv als Arbeitsplatz für betreuende Eltern. - Das Lernen in Mixed Teams
Mit der digitalen Transformation werden in Unternehmen und Organisationen immer mehr Prozesse ins Digitale überführt und neue Tools ausprobiert. Damit sich Frauen mit digitalen Themen und Inhalten identifizieren, hat sich das Lernen in Mixed Teams und unter Frauen mit Digital-Expertinnen als Rollenvorbilder und Multiplikatorinnen als erfolgreich erwiesen. In solche Kontexten trauen Frauen sich eher, Fragen zu stellen und aktiv zu werden. Nicht zuletzt profitieren von Mixed Teams alle: Sie gelten als der Innovationstreiber schlechthin!
Fazit
Netzwerke gründen, frauenspezifischen Veranstaltungen ausrichten, den eigenen Betrieb auf Herz, Nieren und Gendergerechtigkeit prüfen oder die eigene Tochter gezielt an technische Themen heranführen – jede*r kann einen Beitrag für eine chancengerechte digitale Welt leisten und so dabei unterstützen, dass Genderungleichheiten in der Zukunft abgebaut werden. Wir als Initiative D21 werden uns weiterhin im Rahmen des Girls’Day-Auftakts, mit unseren Studien und darüber hinaus für die Förderung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzen, um die Chancengleichheit in der Informationsgesellschaft zu unterstützen.