Digital Only statt Recht auf Analog: Warum Deutschland den Mut zur konsequenten Digitalisierung braucht

Ein Kommentar von Marc Reinhardt, Präsident der Initiative D21. Dieser Beitrag erschien zuerst als Gastbeitrag bei c't D.digital, einem Newsletter-Format von heise über die Digitalisierung in Deutschland.

Marc Reinhard spricht mit jemandem hinter der Kamera, der nicht/nur verschwommen zu sehen ist.

In Deutschland meiden 10 Millionen Menschen die digitale Welt weitestgehend. Ein beachtlich hoher Anteil, der oft reflexhaft den Ruf nach einem "Recht auf Analog" nach sich zieht. Doch genau hier liegt das Problem: Ein solches Recht würde den Status quo zementieren, Fortschritt verhindern und wertvolle Ressourcen binden, die wir dringend für eine zukunftsfähige Verwaltung benötigen.

Wir brauchen keine analogen Parallelstrukturen mehr, sondern endlich ein inklusives und verantwortungsbewusstes "Digital Only"-Leitbild.

Digitale Teilhabe darf kein Feigenblatt sein, hinter dem sich der Staat vor notwendigem Wandel verstecken kann. Denn jede analoge Ausweichmöglichkeit senkt den Druck, digitale Prozesse wirklich nutzer*innenfreundlich für alle Bevölkerungsgruppen – auch für die "Digitalen Vermeider*innen" – zu gestalten.

Es gibt zwar mittlerweile viele nutzer*innenfreundliche Lösungen, aber diese sind weiterhin eher auf Kongressen beklatschte Leuchttürme als Mindeststandards für alle. Weil digitale Angebote heute ein Flickenteppich aus Insellösungen sind, bleiben komplizierte Formulare und unübersichtliche Behördenseiten in schwer verständlicher Sprache die Realität vieler Bürger*innen.

Die Defizite in der Digitalisierung unserer Behörden zeigen deutlich die Konsequenz unserer zu niedrigen Ambition. Wir können uns diese Zaghaftigkeit nicht länger leisten, wenn wir nicht gänzlich das Vertrauen der Bürger*innen in die Handlungsfähigkeit des Staates verspielen wollen. „Digital Only“ ist kein technokratisches Dogma, sondern der Schlüssel zu einer leistungsfähigen Verwaltung, die allen dient.

Ohne klare Prioritäten wird das nicht funktionieren: Wenn die Digitalisierung für alle gelten soll, muss sie auch von allen komfortabel nutzbar sein. 

Digitale Angebote müssen daher barrierefrei, intuitiv und in einfacher Sprache gestaltet werden. Das nützt auch denen, die schon heute täglich digital unterwegs sind. Unterstützungsangebote, die auch digitalfernen Bürger*innen einfach und schnell helfen, digitale Angebote zu nutzen, sorgen dafür, dass niemand ausgeschlossen wird.

Das kostet Aufwand, aber er wird durch verwaltungsseitige Einsparungen durch den effizienteren Onlineweg kompensiert – und selbst wenn noch ein Zusatzaufwand bleibt: Er ist eine Investition in die digitale Weiterqualifizierung der Bevölkerung, der zugleich die digitale Spaltung der Gesellschaft verhindert oder reduziert.

Der Weg ist anspruchsvoll, aber alternativlos. Ein „Recht auf Analog“ mag kurzfristig bequem erscheinen, doch es ist letztlich eine Einladung zur Stagnation. Was wir brauchen, ist der Mut zur Veränderung – und einen Staat, der seine eigene digitale Transformation endlich ernst nimmt, sie für alle zugänglich macht und damit letztlich der gesamten Gesellschaft ein Vorbild und eine Hilfe auf dem Weg ist.

Autor

Porträt von Marc Reinhardt

Marc Reinhardt, Capgemini

Präsident