AG-Blog | Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Vor welchen digital-ethischen Zielkonflikten stehen wir?
Digitalisierung und die (ökologische) Nachhaltigkeit können in Spannungsfeldern zueinanderstehen: Was machen wir, wenn die Künstliche Intelligenz, die uns beim Erhalt bestimmter Arten hilft, durch den Abbau der für ihre Produktion benötigten Rohstoffe den Lebensraum ebendieser Arten zerstört? Die AG Ethik diskutierte verschiedene Perspektiven auf solche Zielkonflikte.
Berlin. Was ist „graue Energie“ und wieso ist sie ein großes Problem bei der Nachhaltigkeit von Digitalisierungsprozessen? Welche Allianzen stecken vielleicht noch in den Kinderschuhen, bergen aber großes Potenzial für eine ökologisch nachhaltige Digitalisierung? Und welche Rolle spielt bei all dem unser individuelles digitales Konsumverhalten? In der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe Digitale Ethik haben wir über Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit gesprochen – darüber, welche Ansatzpunkte es in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen für ein gemeinsames Denken von ökologischer Nachhaltigkeit und Digitalisierung gibt, aber auch darüber, wie wir mit den negativen Prognosen umgehen, die aktuell vor uns liegen. Dabei ging es vor allem darum, konkrete Spannungsfelder in der Praxis aufzudecken und zu schauen, wie man mit ihnen umgehen kann.
Die Natur als ethisches Objekt – warum die Umwelt schützen?
Dr. Nikolai Horn (iRights.Lab), Co-Leiter der AG Ethik, eröffnete die AG-Sitzung zur inhaltlichen Einstimmung zunächst mit einem philosophischen Impuls, in dem er sich der Natur als ethischem Objekt widmete und der Frage nachging, warum sie eigentlich schützenswert sei. Zwar bestehe die Diskussion um den Klimaschutz bereits seit den 1980er Jahren und mit den Klimaprotesten der letzten Jahre habe sich das gesellschaftliche Bewusstsein für den Klimaschutz nochmal geschärft. Jedoch werde im Diskurs aktuell größtenteils missachtet, wie umweltbelastend die Digitalisierung ist.
Im öffentlichen Diskurs werde meistens mit zukünftigen Generationen argumentiert, wenn es um die Notwendigkeit des Umweltschutzes geht. Doch welcher Wert kommt der Umwelt als solcher zu, auch unabhängig von den Menschen, die in ihr Leben?
Zur
Beantwortung dieser Frage betrachtete Horn das Spannungsfeld zwischen
dem ökozentrischen und dem anthropozentrisch Wertesystem: „Eine
ökozentrische Ethik sagt, dass die Umwelt nicht nur als Lebensraum des
Menschen zu schützen ist, sondern als Objekt an sich. Eine
anthropozentrische Ethik schützt sie, weil sie dem Menschen dient. Ist
das ein ethisches Dilemma? Nein!“, beantwortete Horn seine selbst aufgeworfene Frage, denn „auch
die anthropozentrische Ethik geht von einem vernunftbegabten Menschen
aus. Über das Leben und seinen Raum zu reflektieren, ist auch hier
moralisch geboten.“ Ebenso geboten sei es daher, dass wir uns der Verantwortung gegenüber der Umwelt widmen, schlussfolgerte Horn.
Rahmenbedingungen für digitale Nachhaltigkeit
AG-Co-Leiterin Simone Kaiser (Center for Responsible Research and Innovation CeRRI des Fraunhofer IAO) schilderte daran anknüpfend auf der Basis von Studienergebnissen des CeRRI, des Deutschen Naturschutzrings sowie des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland, welche Rahmenbedingungen aktuell für eine stärkere Kooperation verschiedener Akteur*innen aus den Bereichen der ökologischen Nachhaltigkeit und der Digitalisierung noch fehlen. Deutlich werde vor allem, dass es Zielkonflikte gebe, die sich in Vorbehalten äußern: Es bestehe immer auch noch gegenseitiges Misstrauen. Die Ursachen dafür seien vor allem das Fehlen von gegenseitigem Verständnis, gemeinsamer Sprache, interdisziplinärer Netzwerk und Anreizen, so Kaiser. Diese Hindernisse zu überwinden, sei ein wichtiger Schritt, um das Spannungsfeld zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu navigieren.
Effizienzsteigerung und neue Technologien als Lösung?
Techniksoziologe Felix Sühlmann-Faul griff eben dieses Spannungsfeld der begrenzten Vergleichbarkeit in seinem Impuls auf. Eines der größten Probleme der Digitalisierung in Hinblick auf Nachhaltigkeit sei der hohe Energieverbrauch: Informations- und Kommunikationstechnologien verbrauchen 6 bis 12 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs, so Sühlmann-Faul. Zwar ließe sich generell eine Effizienzsteigerung beobachten, zum Beispiel bei Rechenzentren, parallel gebe es aber auch einen Wachstumsmarkt. Dies wiederum bedeute einen Anstieg an „grauer Energie“: Das ist die gebundene Energie, welche allein aufgrund der Herstellung eines Geräts verbraucht worden ist. Daher ist in seinen Augen eine der großen Fragen:
Insgesamt werde deutlich, dass die Digitalisierung ein ökonomisches Projekt sei: Viele Innovation seien nicht im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit, sondern würden vor allem aufgrund von Verkaufschancen generiert.
Zudem sei es häufig schwierig, treffsicher abzuwägen, ob der Einsatz bestimmter Technologien förderlich sei. Ein Beispiel: Künstliche Intelligenz (KI) könne in vielen Bereichen der UN-Ziele zur nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden, um beispielsweise Handlungsempfehlungen für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu entwickeln. Es bestehe allerdings ein Zielkonflikt, denn diese KIs müssen zuvor entwickelt und vor allem produziert werden: Letzteres sei unter anderem aufgrund der Förderung der benötigten Rohstoffe umweltschädlich. Sühlmann-Faul fasste seine Position folgendermaßen zusammen: „Die Technologie ist nicht das Ziel, sondern viel eher ein unterstützendes Werkzeug. Das Ziel muss aber die Nachhaltigkeit sein.“
Digitale Nachhaltigkeit und nachhaltige Lebensweisen
Dr. Vivian Frick
vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) setzte in ihrem
Impuls die Digitalisierung und den individuellen Wunsch nach einer
nachhaltigen Lebensweise in Bezug miteinander. Sie selbst begreife die
Digitalisierung gleichzeitig als Chance wie auch als Risiko für die
ökologische Nachhaltigkeit. Dies zeige sich auf der Ebene des
Individuums zum Beispiel bei der Frage, ob beim Konsum der Kauf eines
Produktes online oder im Laden nachhaltiger sei. Die Antwort darauf sei
wie so oft: „Es kommt darauf an“,
was es für den einzelnen Menschen so schwer vergleichbar macht. Beim
Onlinehandel ist neben der Vernichtung von Retouren vor allem der
Transport zum*r Käufer*in ausschlaggebend für die Ökobilanz. Der Einkauf
im Laden sei deshalb in den meisten Fällen durchaus vorteilhafter. Doch
Vivian Frick denkt weiter:
Es komme also vor allem auf eine nachhaltige Lebensweise an.
Doch wie gelingt der Sprung von der nachhaltigen Lebensweise zur sozialökologischen Transformation? Die umweltpsychologische Forschung zeige, dass Informationen nicht ausreichen, um das Verhalten einzelner Individuen zu ändern. „Und selbst, wenn es mal intentionsbasierten nachhaltigen Konsum gibt, ist er als alleinige Maßnahme nicht transformativ, solange es keine strukturellen Veränderungen gibt“, so Frick. Die richtige Absicht des*r Einzelnen unterliege immer gegenüber strukturellen Gegebenheiten, weswegen Veränderungen in der Digitalpolitik nötig seien. Das Problem sei momentan die Gewinnorientierung des Internets, welches sich vor allem durch Werbung und das Sammeln personalisierter Daten finanziere. Es fehle an einer Gemeinwohlorientierung und dementsprechend an einem Raum für Gesellschaft, Kultur und Nachhaltigkeit. Dazu müsste es eine Machtverschiebung weg von den großen Tech-Konzernen geben und stattdessen diverse, kontrollierbare Landschaften von mehr verschiedenen Tech-Akteur*innen. Für eine sozial-ökologische Digitalisierung müsse man zusätzlich zivilgesellschaftliche Bewegungen für Nachhaltigkeit und für Netzpolitik zusammenbringen, so schloss Frick ihren Impuls.
Nachhaltigkeitskriterien für Investitionen als Hebel für mehr ökologische Nachhaltigkeit in der Digitalwirtschaft
Mey Cezairli vom Venture Capitalist Project A brachte den Mitgliedern der AG schließlich die Herangehens- und Bewertungsweise von Venture Capitalists näher und lieferte damit ein ganz praktisches Beispiel für die operative Perspektive von Unternehmen in Bezug auf das Thema ökologische Nachhaltigkeit. Bei Project A werde die ökologische Nachhaltigkeit zu einem Investment Case, so Cezairli. Dazu werde frühphasig in Start-ups investiert, welche in erster Linie eine Wirtschaftlichkeit versprechen und eine gute Risiko-Bewertung erhalten. Außerdem werde die ESG-Checkliste (Environmental Social Governance) genutzt: Auf dieser Liste befinden sich sogenannte Abbruchkriterien für ein Investment, beispielsweise die Verwicklung in Rüstungsgeschäfte oder in Tabakindustrie sowie laufende Gerichtsverfahren bezüglich Sexismus und Rassismus. Project A widme sich aber auch über die Checkliste hinaus der ökologischen Nachhaltigkeit, und zwar im Rahmen des Investments in Start-ups, deren Anwendungsbereiche in folgende Themenbereiche liegen:
- Tracking & Reporting von Emissionsdaten: Software, die Transparenz in die Wertschöpfungskette schafft;
- Voluntary Carbon Markets: Software, die es Unternehmen ermöglicht, Carbon Credits zu beziehen, oder Software, die Projekten dabei hilft, Zugang zu Käufer*innen solcher Credits zu erhalten;
- Nachhaltigkeit in Mobilität: Unternehmen, die es ermöglichen, Nachhaltigkeit in der Mobilität zu fördern;
- BioTech und Chemie: innovative Lösungen zur Nachhaltigkeitsförderung mithilfe von BioTech und chemischen Prozessen.
Cezairli beobachtet auch über ihren eigenen Kontext hinaus, dass der Druck von Konsument*innen die Innovation in vielen Branchen in Richtung ökologische Nachhaltigkeit vorantreibe, weshalb mittlerweile auch viele große Hedgefonds vermehrt die genannten Anforderungen beachten würden.
Die Diskussion im Anschluss an die Vorträge zeigte: Eine bessere Aufklärung mit realen Beispielen, die auch die persönliche Betroffenheit verdeutlichen, ist sehr wichtig. Eine entscheidende Hebelwirkung liegt aber insbesondere darin, die Zielkonflikte messbar zu machen, um auf organisationaler und politischer Ebene die benötigten Veränderungen herbeiführen zu können. Die alleinige Betrachtung von Chancen und Risiken ist vor dem Hintergrund der Handlungsdringlichkeit auf Dauer nicht ausreichend.