AG-Blog | Digitalministerium und mehr Kooperation mit Start-Ups – Was macht den Staat innovativ?
Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl und damit verbundenen Veränderungen in der Digitalen Verwaltung hat sich die AG Innovativer Staat in ihrer vergangenen Sitzung dank ExpertInnen mit möglichen Digitalministerien und dem neuen GovTech Campus befasst.
Berlin/virtuell. Eine Analyse der Wahlprogramme zeigt: Das Thema „Digitale Verwaltung“ hat in der Bedeutung stark zugenommen. Eine Untersuchung der TU München und der TU Kaiserslautern hat herausgefunden, dass E-Government erstmals unter den Top fünf der Digitalthemen in den politischen Programmen zu finden ist. Es verwundert wenig, denn auch das zweite Pandemiejahr hat die Defizite für die BürgerInnen sichtbar gemacht. Es bleibt jedoch die Frage, wie der Staat innovativer – ja, digitaler werden kann. Mit Blick auf die diesjährige Bundestagswahl am 26. September ging es daher bei der Sitzung der AG Innovativer Staat genau darum. Einerseits wurde die Diskussion um ein mögliches Digitalministerium aufgegriffen, andererseits wurde diskutiert, welche Chancen in GovTech und einer neuen Zusammenarbeit von Start-ups und Staat liegen.
Digitalministerium nach der Bundestagswahl – wenn ja, wie?
Ein Digitalministerium wird aktuell unter verschiedenen Begriffen diskutiert: Die Union schlägt ein „Bundesministerium für digitale Innovation und Transformation“ vor, die FDP ein „Ministerium für die digitale Transformation“ und auch ein „Ministerium für Digitalisierung“ wird angedacht. Genauso unterschiedlich wie die Begriffe sind auch die Wünsche, Forderungen und Zielvorstellungen, die Kompetenzen in einem Ressort zu bündeln. Die AG Innovativer Staat fragte daher konkret nach: Was wäre aus Sicht der Start-up-Szene wichtig und wünschenswert? Welche Erfahrungen müssen aus der Verwaltungsperspektive beachtet werden? Ist der Ansatz eines Ministeriums überhaupt zielführend?
Tobias Oertel, Mitgründer des Sozialunternehmens youvo, ist klarer Befürworter eines Digitalministeriums. Er startete dafür eine Petition, die aktuell bereits über 16.000 Menschen unterzeichnet haben. In der AG-Sitzung kritisierte er, dass viele Themen zwar bereits in den aktuellen Strukturen angegangen werden könnten, das Problem aber in der Verantwortungsdiffusion läge:
Oertel fordert daher eine Maximallösung – ein großes Ministerium mit Vetorecht und breitem Portfolio. In der Diskussion wurden die Operationalisierung und die lange Zeit des Aufbaus eines solchen Ansatzes in Frage gestellt. Oertel argumentierte, dass circa zwei Jahre des Aufbaus sinnvoll investierte Zeit wären, räumt aber ein, dass die Forderung nach einem „Digitalministerium“ auch eine Metapher sei, um dem Thema Digitalisierung endlich die notwendige Aufmerksamkeit und Relevanz in der Politik zu geben.
Staatssekretärin Valentina Kerst sammelte eigene Gründungserfahrung als Unternehmerin, bevor sie 2018 Staatsekretärin im SPD-geführten Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft wurde. Sie ordnete ein, dass Digitalpolitik mittlerweile auch aus der Verwaltungsperspektive kein Nischenthema mehr sei und nannte als Beispiele u. a. die Digitalministerien in allen Bundesländern, die Digitalstaatsministerin auf Bundesebene im Bundeskanzleramt und das weniger bekannte D16-Format, bei dem sich die Digitalminister*innen der Länder regelmäßig austauschten. Dennoch läge das Problem darin, dass gemeinsame Ziele fehlen: „So ist es ein 100-Meter-Lauf der Orientierungslosen“.
Die Einrichtung eines neuen Ministeriums würde diese Frage nicht klären. Sie sehe andere Probleme, die dadurch entstünden, wie den in der Diskussion bereits adressierten Faktor Zeit; zudem einen Brain-Drain in anderen Ressorts, wenn Digitalexpertise in ein zentrales Ministerium verlagert würde. Kerst gab zu bedenken, dass auch ein neues Ministerium an die Spielregeln des Systems gebunden sei und beispielsweise Ressortabstimmungen weiterhin Hürden darstellen würden. Digitalisierung müsse Chef*innen-Sache sein, ist für Kerst klar, wobei zu beachten sei, dass Digitalpolitik eben sowohl Digital-Know-How wie auch Politik-Know-How erfordere, da ministerielle Abläufe, beispielsweise beim Personal und Entscheidungsprozessen, andere seien als die in der Privatwirtschaft. Die Staatssekretärin brachte konkrete Impulse in die Diskussion ein, die eine koordinierende Stelle in der Bundesregierung angehen müsse, darunter ein 5-Jahres-Plan und eine klare, ggf. auch neue Governance zwischen Bund und Ländern. Zudem müsse Deutschland in Punkto Digitalpolitik dort aktiver werden, wo die internationalen Standards gesetzt werden, und das sei die globale Bühne.
Die Diskussion der Teilnehmer*innen verdeutlicht die Spannbreite der Themen, die potenziell unter die Zuständigkeit eines Digitalministerium fallen müssten – von digitaler Bildung über digitale Infrastruktur und digitale Gesundheitsleistungen bis hin zur Förderung der digitalen Wirtschaft und schließlich Cybersicherheit. Eine nicht abschließende Liste, die die Komplexität und die verschiedenen Wünsche und Bedarfe und Erwartungen skizziert. Die AG wies in der Diskussion auf die Erfahrungen und konstatierten Hürden der Agentur für Sprunginnovation hin, die verdeutlichten, dass eine Institution immer nur im Rahmen des Möglichen des Ökosystems agieren kann, in das sie eingebettet ist. Das gelte auch für ein mögliches Digitalministerium. AG-Leiterin Isabel Netzband fasst zusammen: „Es zeigt sich, dass ‚Form follows function‘ die Koalitionsverhandlungen in diesem Punkt als Prinzip leiten sollte.“
Kann der Staat von Start-Ups profitieren? Ja, ist man beim neuen GovTech Campus überzeugt
„In der Zusammenarbeit mit Start-ups liegt ein Riesenpotential für die Digitalisierung der Verwaltung“, sagte Dr. Markus Richter, CIO des Bundes, im Rahmen der Gründung des GovTech Campus Ende Juni 2021. Den Campus sieht er dafür als idealen Ort, um neue Formen der Zusammenarbeit in den Blick zu nehmen. Um aus erster Hand zu erfahren, warum man unter GovTech etwas anderes verstehen muss als klassische Fachverfahren und um einen Blick hinter die Kulissen des neuen Campus zu erhalten, hatte die AG Innovativer Staat Lars Zimmermann zu Gast.
Zimmermann ist Vorstandsmitglied des GovTech Campus. Zuvor war er Geschäftsführer von PUBLIC Deutschland, einer Venture Firma für Government Technology (GovTech) und CEO der Axel Springer hy GmbH, der Technologie- und Transformationsberatung der Axel Springer SE. Im Bereich GovTech passiere ähnliches wie in früheren Jahren in der Finanzbranche, erklärte Zimmermann die aktuellen Entwicklungen. So kämen Innovationen für das Finanzwesen aus branchenfremden Bereichen und erlangten bei den Kund*innen innerhalb kürzester Zeit eine hohe Akzeptanz. Ein Beispiel sei Apple Pay. Diese Innovationen kämen allerdings häufig nicht aus Deutschland oder der EU, was sodann auch die Diskussionen rund um die digitale Souveränität erkläre.
Eine GovTech-Innovation sei der Bereich der sicheren Kommunikation innerhalb und zwischen Verwaltungen. Mangels Lösungen wird im öffentlichen Sektor teils auf WhatsApp oder andere Messenger zurückgegriffen. Das britische Start-up Elements entwickelte für digitales Messaging die Open-Source-Lösung Matrix, die in Kooperation mit dem BWI und Dataport mittlerweile Grundlage für Messaging-Lösungen für die deutsche Bundeswehr sowie Teile des öffentlichen Sektors in Schleswig-Holstein und Hamburg geworden ist.
Der GovTech Campus, gegründet als gemeinnütziger Verein, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Akteur*innen aus Staat, Verwaltung, Start-ups, Unternehmen, angewandter Forschung sowie Zivilgesellschaft zusammenzuführen und den Transfer eben solcher GovTech-Lösungen in die Verwaltung zu erleichtern. Die Ausgangslage sei dafür in Deutschland besonders gut, erklärte Zimmermann, da Deutschland in Europa die höchste Dichte von GovTech-Startups habe. Bisher fehle es aber an einer Bund-Länder-Infrastruktur, die ermögliche, das EFA-Prinzip auf externen Innovationen zu übertragen. Hier setze der GovTech-Campus an, indem er einen Ort schaffe, an dem die unterschiedlichen Communities sich treffen: Bund, Länder und Kommunen ebenso wie Externe aus Wirtschaft, Start-up-Szene, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Der physische Ort wird in Berlin in der Nähe des Nordbahnhofs entstehen. Drei Ziele sind dem Campus inhärent:
- Co-Ideation – die gemeinsame Entwicklung von Lösungsideen.
- Co-Creation – die gemeinsame Entwicklung der relevanten Rahmenbedingungen für die Umsetzung. Zimmermann stell klar, dass der Campus selbst keine Technologien entwickeln wird und nicht im Wettbewerb zu bisherigen Innovationsansätzen wie DigitalServices4Germany stünde.
- Co-Learning – der Wissens- und Erfahrungstransfer der verschiedenen Akteure soll aktiv befördert werden.
Akteur*innen aus Start-ups, Unternehmen und Industrie, angewandter Forschung sowie Zivilgesellschaft können Fördermitglieder im Verein werden und sich so aktiv einbringen. Bundesländer können ordentliche Vereinsmitglieder werden. Somit bestehe für alle die Möglichkeit, sich aktiv in das GovTech-Ökosystems einzubringen, verspricht und motiviert Zimmermann.