AG-Blog | Digitalstrategien in der Politik
Ziel von Digitalstrategien ist, Veränderungen in positive Entwicklungen zu lenken und Digitalisierung auf den unterschiedlichsten Ebenen als strategisches Werkzeug zu nutzen. Die AG Innovativer Staat hat sich in ihrer letzten Sitzung mit den notwendigen Prozessen für politische Digitalstrategien befasst.
Berlin, 15. September 2022. Am 31. August hat die Bundesregierung auf der Kabinettsklausur in Meseberg ihre neue Digitalstrategie beschlossen. Koordiniert wird der Strategieprozesses vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV); in den Strategieprozess involviert waren aber auch alle anderen Ministerien sowie das Bundeskanzleramt. Die Digitalstrategie soll ein „Wegweiser für den digitalen Aufbruch“ sein – und den hat Deutschland auch nötig. Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft, bewegt sich im europaweiten Vergleich nur im Mittelfeld, wenn es um den digitalen Fortschritt geht. Im „Digital Economy and Society Index“ (DESI) belegen wir aktuell Platz 13 von 27.
Die neue Digitalstragie der Bundesregierung
Um diese Position zu verbessern und Deutschland digital voranzubringen, hat sich die Regierung konkrete Ziele gesetzt, die sie bis 2025 erreichen will. Die Arbeitsgruppe Innovativer Staat der Initiative D21 nahm dies in ihrer letzten Sitzung zum Anlass, sich gemeinsam mit Benjamin Brake, Abteilungsleiter Digital- und Datenpolitik im BMDV, über den Entstehungsprozess und die nächsten Schritte der Umsetzung auszutauschen.
Brake skizzierte gleich zu Beginn die zentrale Herausforderung des Strategieprozesses: Als Dachstrategie der Bundesregierung mussten die Inhalte und Vorstellungen von insgesamt 15 Ressorts Berücksichtigung finden. Zur Orientierung seien deshalb drei handlungsleitende Prinzipien für die Auswahl konkreter Projekte an die Häuser kommuniziert worden:
- Klare Verantwortlichkeiten: Nur Projekte, die die Häuser auch in Eigenverantwortung realisieren können, sollten aufgenommen werden – dies ist allerdings nicht immer gelungen, da bei einigen Projekten auch die Bundesländer in der Verantwortung stehen.
- Konkreter Zeitrahmen: Alle Projekte sollen innerhalb der aktuellen Legislaturperiode – also bis 2025 – umsetzbar sein.
- Messbare Ziele: Der Erfolg der eingebrachten Projekte soll durch Kennzahlen quantifizierbar sein.
Die Quantifizierbarkeit und damit auch die Verbindlichkeit der Zielerreichung sei ein deutlicher Fortschritt gegenüber der vorherigen Digitalstrategie der Bundesregierung, so Brake – auch wenn es nicht gelungen sei, alle Ziele mit konkreten Kennzahlen zu hinterlegen. Neben dem Monitoring der Zielerreichung würden aber auch kontinuierliche institutionelle Prozesse zum Austausch zwischen dem BMDV und den anderen Häusern etabliert, um die Strategie und deren Umsetzung in Zukunft regelmäßig überprüfen und aktualisieren zu können.
Der Erfolg der Digitalstrategie werde am Ende auch davon abhängen, wie gut die als „Projekte mit Hebelwirkung“ bezeichneten Vorhaben von den Häusern umgesetzt werden: mehr und bessere Daten, Interoperabilität über offene Standards, sichere und einfache digitale Identitäten.
So werde auch das nächste Vorhaben im BMDV angegangen: die Überarbeitung der Datenstrategie in Co-Verantwortlichkeit von BMDV und BMI.
Die Digitalstrategie des Auswärtigen Amtes
Auch bei der Erstellung der Digitalstrategie wurde bereits partnerschaftlich gearbeitet. So hat das Auswärtige Amt (AA) nicht nur inhaltlich daran mitgewirkt, sondern auch seine Erfahrungen aus der Erstellung der eigenen Digitalstrategie eingebracht. Diese Erfahrungen teilte Dr. Sven Egyedy, Beauftragter für Digitalisierung, Digital- und Datenpolitik im AA, ebenfalls mit der Arbeitsgruppe. In seinen Augen gibt es fünf wichtige Lernpunkte, die er und sein Team aus der Erstellung der Digitalstrategie des Auswärtigen Amtes mitgenommen haben:
- Vom Strategieprozess hin zu einem Umsetzungsprozess kommen: Wenn alle paar Jahre eine neue Strategie aufgesetzt werde, ohne dass die vorherige auch nur annähernd umgesetzt worden ist, würden die Fortschritte in der Digitalisierung ausbleiben. Ein zentrales Ziel im Strategieprozess für eine Digitalstrategie liege also darin, von vornherein die Umsetzung mitzudenken und zu fördern:
- Ein gemeinsames Fundament aufsetzen: Es haben zunächst eine leistungsfähige IT-Architektur und eine gemeinsame Definition dessen gebraucht, was für das AA Digitalisierung bedeuten sollte. Es sei zentral, eine Vision zu formulieren, hinter der sich auch alle versammeln können und am gleichen Strang ziehen.
- Die Organisationskultur mitdenken: Die Anschlussfähigkeit der Maßnahmen an die Zielgruppe müsse gegeben sein, z. B. indem keine englischen, sondern deutsche Worte verwendet werden („Etappenziele“ statt „OKR“). Wenn die Mitarbeitenden die Strategie nicht mittragen, könne die Umsetzung nicht gelingen. So stärke es beispielsweise die Selbstwirksamkeit und Motivation, wenn Zielvereinbarungen auch Beiträge der Mitarbeiter*innen beinhalten.
- Monitoring und Weiterentwicklung der Strategie mitplanen: Eine Digitalstrategie dürfe nicht statisch sein, denn die Welt und Organisationen verändern sich stetig. Deshalb werde die Aktualisierung im Prozess verankert: Jedes Jahr werde die Strategie neu geprüft und fortgeschrieben.
- Klare und erreichbare Ziele definieren: Die Ziele der Digitalstrategie würden jährlich gesetzt, damit man sie mit jährlichen Haushaltsmitteln hinterlegen kann und sie jährlich fortgeschrieben werden können.
Egyedy betonte, wie wichtig es dem AA sei, dass ihre Strategie keinen Selbstzweck darstelle, sondern zu konkreten Produkten und Maßnahmen führe, die einen spürbaren Mehrwert liefern für die Ziele der Bundesregierung, etwa im Bereich Cyber-Resilienz.
Strategische Vorausschau als Prozess und Methode
Eine Herausforderung für Digitalstrategien liegt darin, dass sich ihre Ziele nicht (nur) am Heute orientieren dürfen, sondern schon das Morgen mitdenken müssen. Das erfordert eine Stärkung vorausschauender und vorsorgender Regierungsführung, um den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Wie Strategische Vorausschau (SV) als Prozess und Methode dabei helfen kann, haben Prof. Dr. Sylvia Veit von der Universität Kassel und Max Priebe, Projektleiter im Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), im Auftrag des Bundeskanzleramts erarbeitet.
Bei der SV gehe es nicht um die Vorhersage der Zukunft, sondern darum, in verschiedenen alternativen Zukünften zu denken und so Orientierungswissen im Umgang mit Unsicherheiten liefern zu können. In ihrem Projekt haben Veit und Priebe den Blick auf andere Länder wie Kanada und Finnland oder die Europäische Kommission gerichtet und herausgearbeitet, welche von deren Herangehensweisen auch für Deutschland möglich und sinnvoll sein könnten. Der Fokus ihrer Arbeit liege auf der Institutionalisierung eines solchen strategischen Foresight-Prozesses, mit dem dieses Denken nachhaltig im politischen Handeln verankert werden soll.
Mitgegeben haben die beiden Referent*innen der Arbeitsgruppe vor allem eines: Die größte Hürde für vorausschauendes Regierungshandeln liegt im Ressortprinzip und dem damit verbunden Silodenken. Dieses verhindere zu oft, dass auf das große Ganze geschaut wird. „Für eine strategische Vorausschau muss man den Blick erweitern und über den Tellerrand der eigenen Verantwortlichkeiten schauen“, so Veit. Derzeit würden politische Entwürfe zunächst im jeweiligen Ressort sehr weit entwickelt, bevor man überhaupt in den Dialog gehe. Im Fokus stehe dann meist nur der eigene Handlungsbereich, anstatt dass nach Synergien gesucht werde. „Selektive Rezeption“ nennen die Referent*innen dieses Silodenken.
Aber gerade Querschnittsthemen mit so hoher Interdependenz und Dringlichkeit wie die Digitalisierung lassen sich nicht in Silos lösen, sondern müssen von allen Beteiligten gemeinsam angegangen werden. Und so bleibt am Ende nur der Appell an alle Gäste, weiterhin partnerschaftlich an der Vision eines digitalen Staates zu arbeiten, der das Leben der Menschen einfacher macht.