„Wir müssen die Vorteile des digitalen Zugangs zu Verwaltungsleistungen konkret erlebbar machen.“

Interview mit Mario Pahl und Dr. Brigitte Klamroth zum Kapitel „Nutzungsperspektiven“ im eGovernment MONITOR 2023

Porträt von Dr. Brigitte Klamroth und Mario Pahl

Herr Pahl, Sie leiten das Programm „DigitalFirst“ der Hamburger Senatskanzlei. In dem Programm geht es nicht darum, für die Verwaltung zu digitalisieren, sondern dafür zu sorgen, dass Bürger*innen und Unternehmen Verwaltungsleistungen einfach, verständlich, verlässlich sowie zeit- und ortsunabhängig in Anspruch nehmen können. Können Sie uns etwas mehr über die Ziele von „DigitalFirst“ erzählen und warum Hamburg Digital First und nicht Digital Only verfolgt?

„DigitalFirst“ betrachtet den umfassenden Katalog der durch die Hamburger Verwaltung erbrachten Verwaltungsleistungen als ein Portfolio von Produkten für Bürger*innen, Bürger und Unternehmen. Ein weiteres Portfolio von Projekten stellt digitale Zugänge zu diesen Verwaltungsleistungen initial bereit oder entwickelt sie weiter. Maßstab für die Gestaltung beider Portfolios ist die kosteneffiziente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Nutzenden. Wir streben an, digitale Zugänge so anzubieten, dass sie für die jeweilige Zielgruppe attraktiver sind als analoge.

Dies ist auch unser Anspruch an Verwaltungsleistungen, die sich an Unternehmen richten. Wenn das OZG-Änderungsgesetz für Unternehmen mit zeitlichem Vorlauf „digital only“ vorsieht, halten wir das angesichts der hohen Digitalaffinität der Unternehmen für vertretbar. Gegenwärtig gilt in Hamburg der Grundsatz, dass sich die Bürger*innen mit ihren Anliegen auch weiterhin an die Kundenzentren vor Ort wenden können, wenn ihnen kein digitaler Zugang zur Verfügung steht oder sie diesen nicht nutzen wollen. Durch persönliche Information und Hilfestellung wollen wir dieser Nutzer*innengruppe künftig mehr Aufmerksamkeit schenken und aktiv für die Nutzung digitaler Verwaltungsleistungen werben.

Initiativen wie diese sind wichtig, um den Bürger*innen zukünftig die Interaktion mit der Verwaltung zu erleichtern. Betrachten wir jedoch die Nutzung digitaler Verwaltungsleistungen in der Bevölkerung, so sind die jährlichen Fortschritte überschaubar – derzeit haben gerade einmal 56 Prozent der Bürger*innen in den letzten 12 Monaten eine digitale Verwaltungsleistung genutzt, das sind 2 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Was sind in Ihren Augen die Gründe dafür, dass sich trotz OZG und der Fortschritte der letzten Jahre die digitale Verwaltung nur so langsam bei den Bürger*innen durchsetzt?

Gemeinsam mit unseren Partner*innen in Bund, Ländern und Kommunen können und werden wir an allen Phasen der Nutzer*innenreise ansetzen, um die digitale Inanspruchnahme von Verwaltungsleistungen zu steigern: Wir wollen mehr Leistungen, die aus der Sicht der Nutzenden relevant sind, digital anbieten und verstärkt darüber informieren, welche Verwaltungsleistungen bereits digital verfügbar sind. Wir werden sicherstellen, dass bekannte Leistungen schnell gefunden und zuverlässig identifiziert werden. Wir wollen ein durchgehend positives digitales Nutzungserlebnis von der Identifikation bis zum Bescheid gestalten und das Verhalten und Feedback der Nutzenden analysieren, um unser Angebot kontinuierlich zu verbessern. Mit dem eGovernment MONITOR 2023 sehen wir uns bei der Auswahl dieser Ansatzpunkte auf dem richtigen Weg.

Um herauszufinden, warum die aktuelle Nutzung von E-Government-Angeboten nicht höher ist, braucht die Verwaltung mehr Informationen darüber, inwiefern Bürger*innen überhaupt einen Bedarf an Verwaltungsleistungen hatten, ob sie diesen analog oder digital gedeckt haben und warum sie sich für den jeweiligen Weg entschieden haben. Diese Einblicke gewährt ein neuer Indikator im eGovernment MONITOR, die sogenannte „digitale Nutzungslücke“. Sie beschreibt, wie hoch der Anteil der Bürger*innen ist, die in den letzten 3 Jahren einen Bedarf an einer Verwaltungsleistung hatten und diese dann analog abgewickelt haben. In diesem Jahr liegt die digitale Nutzungslücke bei 35 Prozent. Das bedeutet, dass mehr als jede*r Dritte den analogen und nicht den digitalen Weg gewählt hat. Im Durchschnitt wussten 17 Prozent der Befragten, dass es eine digitale Möglichkeit der Abwicklung gibt, und haben sich bewusst für die analoge Abwicklung entschieden. Der häufigste Grund dafür ist die Gewohnheit (46 Prozent). Was kann die Verwaltung überhaupt tun, damit diese Menschen in Zukunft eine digitale Abwicklung ihres Vorhabens in Betracht ziehen?

Für diejenigen, die wissen, dass es einen digitalen Zugang zu einer Verwaltungsdienstleistung gibt, aber den analogen Zugang bevorzugen, ist das digitale Angebot offensichtlich nicht attraktiv genug. Genau hier können und müssen unsere Maßnahmen ansetzen. So bereiten wir in Hamburg eine breit angelegte Informations- und Imagekampagne vor, die über verschiedene Marketing-Kanäle die Vorteile des digitalen Zugangs aus der Perspektive der Nutzenden darstellen und konkret erlebbar machen wird.

Ein weiterer, mit 19 Prozent etwas häufiger genannter Grund für die digitale Nutzungslücke ist die mangelnde Bekanntheit der Online-Verfügbarkeit der Angebote. Diese 19 Prozent setzen sich zusammen aus Personen, die die benötigte Leistung online gesucht, aber nicht gefunden haben (9 Prozent), und solchen, die gar nicht erst nach einer Online-Variante gesucht haben (10 Prozent). Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass viele nicht einmal vermuten, dass sie eine Verwaltungsleistung auch online erledigen könnten. Schließlich geben nur 26 Prozent an, dass sie dem Staat zutrauen, in drei Jahren alle Behördengänge online anbieten zu können. Wie kann das Bild der analogen Verwaltung in den Köpfen der Menschen verändert werden? Welche Hebel sehen Sie hier – ist es ein schlichtes Kommunikationsproblem?

Wir müssen weiterhin „Gutes tun“ und „darüber reden“. Unter „Gutes tun“ werden Hamburg und viele andere Bundesländer in den nächsten Wochen und Monaten immer mehr Dienste bundesweit ausrollen, die nach dem Modell „Einer für Alle“ (EfA) entstanden sind, und damit das verfügbare Angebot an digitalen Zugängen deutlich ausbauen. EfA-Dienste werden von jeweils einem Bundesland nutzer*innenzentriert so entwickelt und betrieben, dass alle anderen Bundesländer sie kosteneffizient mitnutzen können. Darüber hinaus haben Bund und Länder im Rahmen der Initiative „Portalverbund“ mit dem von Hamburg maßgeblich mitgestalteten „Portalverbund Online-Gateway“ eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass digitale Zugänge zu Verwaltungsleistungen über alle Verwaltungsportale hinweg auch gefunden werden. Der eGovernment MONITOR 2023 bestärkt uns darin, unsere „Nutzer*innenforschung“ zu intensivieren. Wenn wir noch besser verstehen, wie die Bürger*innen nach digitalen Zugängen zu Verwaltungsleistungen suchen und wo die Hürden liegen, können wir gezielter dafür sorgen, dass künftig viele Menschen die verfügbaren Zugänge auch direkt finden.

„Darüber reden“ werden wir in Hamburg zunächst im Rahmen der geplanten Informations- und Imagekampagne, die auch das stetig wachsende Angebot an digitalen Verwaltungsleistungen präsentiert. Insgesamt muss durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit ein modernes Bild der deutschen Verwaltung vermittelt werden.

Die größte Hürde für die Bürger*innen ist die fehlende Durchgängigkeit vieler digitaler Verwaltungsleistungen: 64 Prozent geben an, dass dies für sie gegen eine (intensivere) Nutzung von Online-Behördendiensten spricht. Auch die Sorge, online unbemerkt etwas falsch zu machen und dadurch negative Konsequenzen zu erleiden, wird von jeder*m Zweiten als Hürde genannt. Für 46 Prozent sind unübersichtliche Webseiten und zu komplizierte Formulare weitere Nutzungshürden. Frau Dr. Klamroth, Sie arbeiten intensiv an der Umsetzung des Zielbildes der Registermodernisierung. Würden solche Hürden mit der Registermodernisierung der Vergangenheit angehören? Welchen Nutzen würde sie den Bürger*innen bringen?

Modernisierte Register werden staatliche Stellen in die Lage versetzen, Daten und Nachweise, die Bürger*innen bereits übermittelt oder vorgelegt haben, einfach und sicher auszutauschen. Dieser Austausch erfolgt immer mit vorherigem Einverständnis. Mithilfe des neuen Datenschutzcockpits werden die Bürger*innen einfach, verständlich, verlässlich sowie zeit- und ortsunabhängig nachvollziehen können, welche ihrer Daten zwischen Behörden ausgetauscht wurden. Die Verwaltung kann damit digitale Zugänge zu ihren Leistungen durchgängiger gestalten, weil wir die Nutzenden davon entlasten, für die Bearbeitung erforderliche Nachweise erneut vorlegen zu müssen, wenn die Informationen bereits an anderer Stelle vorliegen. Das heißt: Die Registermodernisierung beschleunigt die Bearbeitung von Verwaltungsleistungen deutlich und steigert gleichzeitig die Servicequalität für Bürger*innen und Unternehmen.

Bei der Gestaltung unserer digitalen Zugänge zu Verwaltungsleistungen legen wir großen Wert darauf, dass für die Nutzenden verständlich wird, wo sie sich im Prozess befinden und welche Informationen die Verwaltung benötigt, um ihr Anliegen bearbeiten zu können. Hier setzen wir an, um die Nutzungshürde einer zu komplizierten Online-Abwicklung aus dem Weg zu räumen.

Die Nutzungslücke variiert erheblich zwischen den einzelnen Verwaltungsleistungen: Bei der Kfz-Zulassung, -Ummeldung und -Abmeldung liegt sie bei 58 Prozent, bei der Einkommensteuererklärung nur bei 17 Prozent. Aber auch zwischen den Bundesländern gibt es deutliche Unterschiede. Für die Bürger*innen ist es schwer nachzuvollziehen, warum sie etwas in Hamburg online beantragen können, in anderen Ländern aber nicht. Oder warum sie ihren Führerschein online beantragen können, ihren Personalausweis aber nicht. Wie kommen wir zu gleichberechtigten Lebensbedingungen, wenn es darum geht, das Leben der Bürger*innen durch eine effiziente und moderne digitale Verwaltung zu erleichtern?

Wir in Hamburg setzen nicht nur aus Gründen der Kosteneffizienz auf das Kooperationsmodell EfA. Dieses Modell bietet auch die Chance, eine Verwaltungsleistung, die auf bundesrechtlicher Grundlage erbracht wird, allen Nutzer*innen in Deutschland in derselben hohen Qualität digital zugänglich zu machen.

Wenn Sie sich die Antworten der Bürger*innen zur Nutzung und Akzeptanz von Online-Behördenleistungen ansehen: Welche Ergebnisse sind aus Ihrer Sicht besonders praxisrelevant und warum?

Generell sehen wir uns mit dem Ansatz, die gesamte Reise der Nutzenden in den Blick zu nehmen, auf dem richtigen Weg. Die Ergebnisse zeigen in jeder ihrer Phasen Verbesserungspotenziale auf. Eine große Herausforderung liegt unverändert darin, die Umsetzung der Maßnahmen zu beschleunigen. Dann können wir schneller erkennen, ob sie greifen und wo wir ergänzen oder nachbessern müssen. Kleine Pilotprojekte bleiben dabei unser Mittel der Wahl. Nehmen wir zum Beispiel die Erkenntnis, dass viele Befragte Sorge haben, online etwas falsch zu machen, oder die Gestaltung von Webformularen als zu kompliziert empfinden. Ein Pilotprojekt, bei dem eine Behörde Unterstützung beim Ausfüllen der Onlineformulare durch Digitallots*innen anbietet, kann zum einen durch den persönlichen Kontakt Berührungsängste abbauen. Zum anderen erhalten wir konkrete Hinweise, wie wir unser Onlineangebot einfacher gestalten können. Mit solchen Formaten setzen Verwaltung und Bürger*innen ihre Digitalisierungsreise gemeinsam fort.

Das Interview führte

Porträt von Sandy Jahn

Sandy Jahn, Referentin Strategic Insights & Analytics