„Bürger*innen müssen merken, dass der Staat aktiv auf ihre Bedürfnisse eingeht.“

Interview mit Dr. Robert Gold für das Kapitel „Leistungsfähigkeit des Staates“ im eGovernment MONITOR 2024

Unsere Untersuchung zeigte, dass Bürger*innen, die mit dem digitalen Angebot der Verwaltung vor Ort zufrieden sind, häufiger den Eindruck haben, dass der Staat ihnen das Leben erleichtert, was sich in einem höheren Vertrauen in den Staat niederschlägt. Wie ordnen Sie diesen Befund im Kontext Ihrer eigenen Untersuchungsergebnisse ein?

Die Ergebnisse ergänzen sich, und sie passen ins Gesamtbild: Die Zufriedenheit mit der Demokratie nimmt vielerorts ab, während die Unzufriedenheit mit der Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen zunimmt. Diese Unzufriedenheit mag teilweise übertrieben sein, dennoch unterhöhlt sie das Vertrauen in die Demokratie. Wenn staatliche Institutionen aber ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen wirkt das Frustration entgegen und erhöht das Vertrauen in demokratische Prozesse. Die Digitalisierung der Verwaltung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Autoritär-populistische Kräfte propagieren oft das Narrativ vom versagenden Staat. Welchen Einfluss hat die wahrgenommene Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen auf das Vertrauen der Bürger*innen in die Demokratie und ihre Institutionen, laut Ihren Forschungsergebnissen?

Unsere Forschung zeigt, dass Politikmaßnahmen zur Regionalentwicklung das Vertrauen in demokratische Institutionen erhöhen und die Unterstützung autoritär-populistischer Parteien verringern. Dabei geht es weniger darum, dass die betroffenen Bürger*innen unmittelbar von Fördermaßnahmen profitieren. Viel bedeutsamer scheint die Wahrnehmung, dass der Staat auf die Anforderungen der Bürger*innen reagiert und sich um ihre konkreten Belange kümmert. Autoritär-populistische Parteien propagieren auch das Narrativ einer abgehobenen politischen Elite, die sich nicht um sie Sorgen und Nöte normaler Bürger*innen schert. Eine bürger*innennahe Verwaltung kann diesem Narrativ entgegenwirken.

Wie beurteilen Sie die Rolle der digitalen Transformation in diesem Zusammenhang? Spielt der Stand der Digitalisierung von Staat und Verwaltung eine bedeutende Rolle bei der Vertrauensbildung?

Die Digitalisierung bietet viel Potential, die Bürger*innennähe der Verwaltung zu erhöhen und die Wahrnehmung der Leistungsfähigkeit des Staates zu verbessern. Allerdings dürfte sich die Digitalisierung auf verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich auswirken. Die Bereitschaft und die Fähigkeit, digitale staatliche Dienstleitungen zu nutzen, variiert nach wie vor mit Alter, Bildungsstand, und anderen sozio-ökonomischen Faktoren. Viele Menschen bevorzugen in administrativen Angelegenheiten weiterhin den persönlichen Kontakt zu Verwaltungsmitarbeitenden. Was die vertrauensbildende Wirkung einer Digitalisierung von Staat und Verwaltung angeht halte ich daher deren indirekte Wirkung für bedeutsamer als ihre direkte Wirkung. Wer es ohnehin gewohnt ist, seine persönlichen Angelegenheiten online zu erledigen, wird digitale Verwaltungsangebote sicherlich gutheißen. Wichtiger scheint mir aber, dass Digitalisierung die Effizienz von Verwaltungsprozessen erhöht. Damit werden personelle Ressourcen freigesetzt, die genutzt werden können, um den Kontakt zu Bürger*innen zu stärken und deren Anliegen schneller und zielgerichteter zu bearbeiten – auch analog.

Deutschland liegt im EU-Vergleich bei der Verwaltungsdigitalisierung hinten. Gleichzeitig wachsen die Erwartungen der Bürger*innen, staatliche Dienstleistungen ähnlich einfach und schnell digital nutzen zu können wie private Dienstleistungen. In Ihrer Studie haben Sie auch andere EU-Länder untersucht. Können Sie Unterschiede in den Erwartungen der Bürger*innen an staatliche Institutionen zwischen Deutschland und anderen Ländern feststellen?

So konkret haben wir das in unserer Studie nicht untersucht – es ist aber plausibel, dass die Erwartungen an die Leitungsfähigkeit staatlicher Institutionen regional variieren, je nach historischer Erfahrung. Schon in Deutschland sehen wir, dass Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, andere Anforderungen an den Staat stellen als Menschen, die in der BRD aufgewachsen sind. Je höher die Erwartungen, desto größer auch das Frustrationspotential. Vielleicht liegt hier mit ein Grund für die große Unzufriedenheit mit dem Stand der Digitalisierung in Deutschland. In international vergleichenden Studien schneidet Deutschland bei der Digitalisierung gar nicht mal so schlecht ab. Gleichzeitig haben die Bürger*innen aber einen vergleichsweisen hohen Anspruch an die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, und das beinhaltet heute einfach auch das Angebot digitaler Dienstleistungen. Man sieht das auch am Fremdbild Deutschlands. Viele meiner ausländischen Kolleg*innen sind doch recht verwundert über den Stand der Digitalisierung in Deutschland, nicht nur in der öffentlichen Verwaltung. Von einer der reichsten Industrienationen der Welt erwartet man einfach etwas mehr technologische Fortschrittlichkeit.

Sie erforschen Methoden zur Eindämmung von Populismus, einschließlich wirtschaftspolitischer Maßnahmen und Regionalförderung. Unsere Studie zeigt ein gesunkenes Vertrauen in den Staat und die Regierungen auf allen Ebenen. Welche Maßnahmen empfehlen Sie, insbesondere im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl, um das Vertrauen der Bürger*innen in die Demokratie und ihre Institutionen zu stärken?

Zunächst scheint mir wichtig, dass eine Mehrheit der Bevölkerung weiterhin fest hinter der freiheitlich demokratischen Grundordnung steht. Bei allem Bemühen um die Frustrierten sollte man diese Mehrheit nicht aus dem Blick verlieren. Um Vertrauen zu erhalten und zurückzugewinnen müssen die Institutionen einer repräsentativen Demokratie responsiv sein, das heißt sie müssen für die Bürger*innen leicht erreichbar sein, offen für deren Anliegen, verständlich in ihrer Kommunikation und transparent in ihren Entscheidungsprozessen. Aus der Forschung wissen wir, dass es nicht reicht, eine solche Bürger*innennähe objektiv herzustellen, etwa indem die technischen Voraussetzungen für Online-Eingaben geschaffen werden. Bedeutsamer ist die Wahrnehmung von Bürger*innennähe, also das Gefühl, dass der Staat auch für mich persönlich da ist. Hier gilt es, die über die letzten Jahre erzielten Fortschritte besser zu kommunizieren, und Hürden für eine Interaktion zwischen Staat und Bürger*innen weiter abzubauen. Beispielsweise hat der deutsche Personalausweis schon seit längerem eine Online-Funktion, die aber kaum genutzt wird. Die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen kann einen Beitrag leisten, dass staatliche Stellen flexibler, schneller und direkter auf die Anliegen von Bürger*innen reagieren können. Dabei kommt es aber nicht zuletzt auf die Qualität des Angebotes an, das heißt auf die Nutzer*innenfreundlichkeit, Verständlichkeit und Funktionalität der angebotenen Dienstleistungen.

Wenn Sie sich die Ergebnisse unserer Studie ansehen, gibt es bestimmte Ergebnisse, die Sie besonders relevant oder überraschend finden?

Überrascht haben mich die sehr ausgeprägten Unterschiede in den Antworten weiblicher und männlicher Befragter. Diese Unterschiede hätte ich geringer eingeschätzt und ich fände es wichtig, ihren Ursachen weiter auf den Grund zu gehen.
Relevant erscheint mir auch eine gewisse Diskrepanz zwischen den Ansprüchen an eine digitale Verwaltung und der Bereitschaft, digitale staatliche Dienstleistungen zu nutzen und dafür Daten zur Verfügung zu stellen. Eine erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung erfordert ja nicht nur eine Ausweitung des digitalen Angebots, sondern auch eine breitere Nutzung. Die Ergebnisse könnten auf eine gesellschaftliche Spaltung zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen einer Digitalisierung der Verwaltung hindeuten, sie könnten aber auch auf Hürden in der Nutzung bestehender Angebote verweisen – oder auf eine gewisse Bequemlichkeit der Bürger*innen. Ich fände es interessant, mehr über eventuelle Probleme bei der Nutzung behördlicher Online-Angebote zu erfahren, differenziert nach Bevölkerungsgruppen.

Zum Abschluss, gibt es noch etwas, das Sie uns auf den weiteren Weg mitgeben möchten?

Den Ansatz, auf breiter Datenbasis den Fortschritt und die Probleme bei der Digitalisierung der Verwaltung zu evaluieren halte ich für äußerst sinnvoll und zielführend. Für die Zukunft fände ich es spannend, verschiedene Nutzer*innenprofile auszudifferenzieren, um zu eruieren, ob das Angebot digitaler öffentlicher Dienstleitungen auf verschiedene Bevölkerungsgruppen abgestimmt werden sollte. Vor diesem Hintergrund fände ich es auch interessant, mehr Informationen über das konkrete Nutzungsverhalten der Befragten zu erheben.

Das Interview führte

Porträt von Sandy Jahn

Sandy Jahn, Referentin Strategic Insights & Analytics (sie/ihr)