AG-Blog | (IT-)Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung

Was tun gegen den Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst? Im August traf sich die AG Innovativer Staat in Kooperation mit dem NExT Netzwerk, um zusammen mit Verwaltungsangestellten, Entscheider*innen aus der Politik und innovativen Köpfen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft die drängenden Herausforderungen genauer in den Blick zu nehmen und vor allem Lösungsansätze zu diskutieren.

Berlin. Der Fachkräftemangel ist derzeit in aller Munde – Arbeitgeber aller Branchen suchen händeringend nach qualifiziertem Personal. Auch die öffentliche Verwaltung steht hier vor großen Herausforderungen: Begrenzte Spielräume bei der Vergütung und unflexible Arbeitsbedingungen treffen auf einen hohen Altersdurchschnitt der Beschäftigten, eine bereits rollende Pensionierungswelle und stetig wachsende Aufgabenportfolios. Wie können mehr (IT-)Fachkräfte für den öffentlichen Dienst gewonnen werden? Wie kann die digitale Kompetenz der Verwaltungsmitarbeiter*innen erhöht werden? Fragen, die drängen – und zu deren Beantwortung sich die AG Innovativer Staat im August in Berlin zusammengefunden hat.

3 Personen stehen vor einem großen LED-Bildschirm mit einer Powerpoint-Präsentation
Dr. Pablo Mentzinis und Cornelia Gottbehüt von der AG-Leitung Innovativer Staat und Mathea Essinger von NExT begrüßen die Teilnehmenden zur Kooperationsveranstaltung.

DIE wesentliche Herausforderung für die öffentliche Verwaltung

Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender des dbb beamtenbund und tarifunion, eröffnete die Sitzung mit einem eindringlichen Appell: Die aktuelle Situation im öffentlichen Dienst stelle eine stark drängende Herausforderung dar, die nicht länger ignoriert werden dürfe. Mit über 100.000 unbesetzten Stellen, insbesondere im IT-Bereich, bestehe ein eklatanter Fachkräftemangel, der angegangen werden müsse.

Eine Person steht vor einer großen LED Leinwand und spricht in ein Hand-Mikrofon zum Publikum
Ulrich Silberbach, dbb-Vorsitzender

Silberbach betonte nachdrücklich die Notwendigkeit einer umfassenden Qualifizierung bereits vorhandenen Personals, um drängende Digitalisierungsfragen erfolgreich zu bewältigen und gleichzeitig das Vertrauen der Bürger*innen in den öffentlichen Dienst zu stärken. Ein leistungsfähiger und krisenfester Staat sei zentraler Stabilitätsanker für Gesellschaft und Wirtschaft und damit auch ein Wettbewerbsfaktor. Das gesunkene Vertrauen der Bürger*innen in die Handlungsfähigkeit des Staates ist alarmierend – weshalb er jetzt vor allem die Politik in der Verantwortung sehe:

Es fehlt eine Idee, wie wir Geld umverteilen, um die Probleme zu lösen. Es braucht ein Infrastrukturpaket für den öffentlichen Dienst. Das können die Beschäftigten nicht lösen, das muss die Politik machen.
Ulrich Silberbach, dbb

Zusammen mit den AG-Mitgliedern diskutierte Silberbach über die Förderung einer Vertrauenskultur, die Umsetzung von Qualifizierungsmaßnahmen sowie über Outsourcing und Privatisierung nicht-hoheitlicher Aufgaben zur Entlastung der Verwaltung.

Herausforderungen und Lösungsansätze für den Fachkräftemangel in einer Bundesbehörde

Eine Person steht vor einer großen LED Leinwand und spricht in ein Hand-Mikrofon zum Publikum
Dr. Inge Paulini, Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz

Funktionierende Beispiele aus der Praxis können Vorbild und Inspiration für andere sein. Dr. Inge Paulini, Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz, berichtet der AG, wie in ihrer Behörde die (IT-)Fachkräftegewinnung angegangen wird. In ihrem Impuls stimmte sie in die Stoßrichtung ihres Vorredners ein und machte zunächst deutlich, dass der Fachkräftemangel alle Bereiche der Bundesverwaltung vor existenzielle Herausforderungen stelle, nicht nur die IT. Gerade die mit der Digitalisierung verbundenen Aufgaben seien aber zentral, um „das Funktionieren Deutschlands“ insgesamt zu gewährleisten. Als einzelne Behörde könne das BSI insbesondere durch einen internen Kulturwandel einen wichtigen Beitrag leisten – es bedürfe aber auch gemeinsamer Anstrengungen in der Bundesverwaltung und einer strukturellen Lösung des Problems. In diesem Zusammenhang wies sie auf den bestehenden Wettbewerb um Personal zwischen den Akteur*innen des öffentlichen Dienstes hin, der zu Lücken und Ineffizienzen führen könne.

Um den Herausforderungen zu begegnen, seien bereits verschiedene Maßnahmen ergriffen worden:

Wir haben sehr viel verändert im letzten Jahr – darunter die Schaffung einer Abteilung für Digitalisierung und Organisation, die Einführung flexibler Arbeitsformen und die Überprüfung der Anwesenheitspolitik.
Dr. Inge Paulini, Bundesamt für Strahlenschutz

Insgesamt sehe sie positive Effekte – und betonte gleichzeitig, dass eine Evaluierung aller Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung unbedingt notwendig sei. Außerdem unbedingt notwendig: ein Kulturwandel: „Wir geben jetzt mehr Verantwortung in die Teams und versuchen, Arbeitsbedingungen zu flexibilisieren, wo es geht. Und als weiteres Kulturthema darf man nicht vergessen, dass wir unsere Fehlerkultur revolutionieren müssen.“ Als möglicher Lösungsansatz wurde außerdem die Betonung von Qualifikationskriterien gegenüber formalen Kriterien sowie ein umfassendes Change Management in der Verwaltung diskutiert. Darüber hinaus hob Paulini die Bedeutung eines klaren Zwecks (Purpose) als Attraktivitätsargument für den öffentlichen Dienst hervor.

Nicht nur Paulini selbst, sondern auch die mit Engagement diskutierenden AG-Mitglieder, äußerten den Wunsch nach einem breiteren Austausch über Best Practices im öffentlichen Sektor – so wie er während dieser AG-Sitzung geschehe.

Aus der Praxis: IT-Fachkräftegewinnung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund

Eine Person steht vor einer großen LED Leinwand und spricht in ein Hand-Mikrofon zum Publikum, dessen Köpfe man in der unteren linken Bildhälfte von hinten sieht.
Diana Jäger, Deutsche Rentenversicherung Bund

Wie passend, dass es mit dem nächsten Good-Practice-Beispiel weiterging: Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV), vertreten durch Diana Jäger, Leiterin der Personalgewinnung, hat in der Vergangenheit gezielte Maßnahmen ergriffen, um speziell IT-Nachwuchs zu gewinnen und zu fördern. Dazu gehören Kampagnen und Marketingmaßnahmen, die die Ausbildung und die Zukunftsperspektiven im IT-Bereich sowie die Vorteile einer großen Bundesbehörde gegenüber einem Start-up ins Zentrum stellen. Besonderes Augenmerk werde auf eine starke Online-Präsenz und die Nutzung von Social Media gelegt, u. a. durch die Einstellung von Mitarbeiter*innen, die eigene Instagram-Accounts zur Rekrutierung betreuen. Auch die verstärkte Teilnahme an Messen und Veranstaltungen sowie ein Empfehlungsprogramm mit finanziellen Anreizen spielen eine Rolle. Insgesamt sei der Bewerbungsprozess verkürzt worden.

Damit die neu gewonnenen Mitarbeitenden auch bleiben, habe man den Onboarding-Prozess stark verändert:

Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, den Austausch zwischen alten und neuen Mitarbeitenden zu fördern. Für die Menschen in so einer Organisation hat es eine Bedeutung, zu wissen, wer die anderen sind und was sie so machen.
Diana Jäger, DRV

Neben der sozialen Integration spielen aber auch umfassende Informationen und kontinuierliches Feedback hierbei eine Rolle. Darüber hinaus kooperiere die DRV mit einschlägigen Studiengängen und reflektiere regelmäßig die benötigten Jobprofile.

Weiterbilden, Erfahrungen austauschen, Best Practices teilen – wie Communities of Practice funktionieren

Eine Person steht vor einer großen LED Leinwand und spricht in ein Mikrofon auf dem Redner*innenpult  zum Publikum
Ann Cathrin Riedel, Geschäftsführerin von NExT e. V.

Bei NExT e.V. finden Macher*innen der Verwaltungsdigitalisierung einen geschützten Raum, um über ihre Erfahrungen zu einem bestimmten Thema zu sprechen, Fragen zu stellen und Hilfestellungen für die Umsetzung eigener Projekte zu bekommen – und das über hierarchische und föderale Ebenen hinweg. Ein solches Thema ist Robotic Process Automation (RPA), eine Technologie, die den Druck auf unterbesetzte Verwaltungen lindern könnte. Ann Cathrin Riedel, Geschäftsführerin von NExT e.V., und Frederike Sturm, Referentin für neue Technologien und RPA bei der Senatskanzlei Hamburg, stellten den AG-Mitgliedern gemeinsam anhand der RPA-Community vor, wie so eine Community aussieht und ganz praktisch bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels helfen kann.

Ich glaube daran, dass es selten an den Menschen liegt, die Digitalisierungsberufe in der Verwaltung ausüben, sondern an Prozessen und Strukturen. Da müssen wir ran: Raus aus dem Silo – rein ins Vergnügen!
Ann Cathrin Riedel, NExT e. V.

Mit diesen Worten beschrieb Riedel anschaulich die große Bedeutung von Austausch zwischen Verwaltungsmitarbeitenden. Diesem gebe man bei NExT einen Raum: In den aktuell 15 Communitys und 3 Werkstätten des Vereins engagieren sich über 3.000 Aktive, denen das gemeinsame voneinander Lernen und Lösungen identifizieren wichtig sei.

Gerade kleine Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohner*innen seien aufgrund des Fachkräftemangels in einer besonderen Situation. Sie stünden vor großen Herausforderungen, die durch die Technologie RPA gemildert werden könnten:

Robot Process Automation kann dazu beitragen, dass die Fachkräfte Zeit für komplexe oder kreative Aufgaben gewinnen und auch mal ein Projekt außer der Reihe umsetzen können.
Frederike Sturm, Senatskanzlei Hamburg
Screenshot von einer Videokonferenzsoftware. Eine Person spricht in die Kamera.
Frederike Sturm, Senatskanzlei Hamburg

Beispiele für den Einsatz von einer solchen Automatisierung seien automatisierte Mahnungen, die Massenverarbeitung von elektronischen Akten und die Vorbereitung von Entscheidungen. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, Bots wiederzuverwenden und anderen Kommunen Lösungen zur Verfügung zu stellen, um Ressourcen effizienter zu nutzen und den öffentlichen Dienst auf lokaler Ebene zu stärken. Gerade hierfür sei der Austausch in der RPA-Community von NExT Gold wert. Auf eine ähnliche Art und Weise könnten so in allen Communities verschiedene Bereiche der öffentlichen Verwaltung von den Fortschritten der jeweils anderen profitieren: Zusammenarbeit an den Strukturen und Optimierung von Prozessen statt Konkurrenz und Gegeneinander – so könne man die großen Herausforderungen der Verwaltung angehen.

Bewältigung des Fachkräftemangels – gemeinsam statt gegeneinander

Die Kooperation von NExT e. V. und der AG Innovativer Staat bot wertvolle Einblicke in die Herausforderungen und Lösungsansätze des Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Aufgaben des öffentlichen Dienstes immer umfangreicher und wichtiger werden, bei gleichzeitiger Ausdünnung der Personaldecke. Die Digitalisierung kann hier ihren Beitrag leisten, darüber hinaus geht es aber auch um die verstärkte Rekrutierung von Fachkräften und um einen Wandel der Arbeitsweisen und der Organisationskultur. Der Einsatz von Technologien wie Robotic Process Automation bietet vielversprechende Ansätze, um unterbesetzte Verwaltungen zu entlasten und Zeit für wichtige Aufgaben freizumachen.

Im Vordergrund der Blick über das Publikum bei der AG Innostaat. Im Hintergrund sieht man durch eine große Fensterfront den Ausblick über Berlin.

Unter den AG-Mitgliedern bestand ein breiter Konsens darüber, dass die Bewältigung des Fachkräftemangels und die erfolgreiche Digitalisierung im öffentlichen Dienst eine gemeinsame Anstrengung erfordern. Die vorgestellten Lösungsansätze und Erfahrungen können als Positivbeispiele dienen auf dem Weg, den öffentlichen Dienst für die Herausforderungen der Zukunft zu stärken und die Bedürfnisse der Bürger*innen zu erfüllen.

Ansprechpartner in der Geschäftsstelle

Porträt von Alexander Köhler

Alexander Köhler, Referent Digitaler Staat (er/ihm)