KI in Bewegung: Wie Physical AI unsere Landwirtschaft revolutioniert
Was wäre, wenn Künstliche Intelligenz ein aktiver Akteur in der Landwirtschaft und Ernährung wäre? Ein selbstfahrender Roboter, der Unkraut jätet, oder eine KI, die den idealen Erntezeitpunkt bestimmt: eine Zukunft, die bereits begonnen hat – und die wir mit dem Netzwerk der Initiative D21 bei der Veranstaltungsreihe „KI in Bewegung“ diskutiert haben.

Berlin. Bei der ersten Runde der neuen Veranstaltungsreihe zum Thema Auswirkungen und Chancen von „Physical AI“ für eine gerechte und nachhaltige Zukunft standen Landwirtschaft und Ernährung im Fokus. Die Initiative D21 hatte verschiedene Expert*innen eingeladen, um Einblicke in solche Innovationen zu gewinnen und gemeinsam zu diskutieren, wie Physical AI an der Schnittstelle von Landwirtschaft, Ernährung und Gesellschaft am besten gestaltet werden kann: Welche Chancen und Risiken bieten die Technologien? Wie können wir sicherstellen, dass diese Technologien gerecht genutzt werden und die Gesellschaft als Ganzes davon profitiert? Und wie verändert „Physical AI“ Unternehmen, unsere Arbeitsplätze und sogar die Gesellschaft?
KI hautnah erleben: Innovation zum Anfassen
Der Abend begann mit einem interaktiven Rundgang durch das neue Innovations- und Qualitätszentrum (IQZ) von MISSION KI in Berlin. An mehreren Stationen konnten die Gäste hier erleben und selbst ausprobieren, wie KI in verschiedenen Bereichen bereits im Einsatz ist. Von medizinischen Anwendungen wie einem digitalen Hautcheck und anderen medizinischen Anwendungen bis hin zu einem Roboter, der Waren in Regale einsortiert – die Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten wurde greifbar. Die Ausstellung setzt gezielt auf Information und Interaktion und rückt die technologischen Möglichkeiten von KI anschaulich in den Fokus – bei einem der späteren Events unserer Veranstaltungsreihe im IQZ können Sie die Exponate gern selbst ausprobieren!


Physical AI zwischen Verantwortung und Innovation
Nach der Begrüßung durch Moderatorin Katja Weber und Simon Boffen vom IQZ Berlin ordnete Dr. Aljoscha Burchardt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) das Konzept der Physical AI in den größeren Kontext der digitalen Transformation ein. Er betonte, dass Physical AI den nächsten großen Fortschritt in der Digitalisierung darstelle: Während generative KI bei der Interpretation und Generierung von Text-, Audio- und Videodaten unterstützen, interagiert Physical AI direkt mit der realen Welt – und macht dadurch die Unterstützung bei Tätigkeiten möglich, die wir wirklich gern an Maschinen auslagern wollen:
Statt ‚Was kann KI tun?‘, sollte die Frage lauten: ‚Was soll KI für mich tun?‘
Burchardt war es wichtig, die Entwicklungen auch in den Kontext von Nachhaltigkeitsfragen zu setzen: Hier unterschied er zwischen nachhaltiger KI und KI für Nachhaltigkeit. Während nachhaltige KI auf ressourcenschonende Gestaltung und ein umweltfreundliches Geschäftsmodell setzt, eröffnet KI für Nachhaltigkeit neue Wege, um globale Herausforderungen zu bewältigen – etwa im Klimaschutz, bei der Kreislaufwirtschaft oder in der Landwirtschaft.


Physical AI in der Landwirtschaft – eine nahe Zukunftsvision
Martin Vesper, Geschäftsführer bei Pfeifer & Langen und Vorstandsmitglied der Initiative D21, ist einer der Ideengeber des D21-Projekts „KI in Bewegung“ – und gleichzeitig beruflich bei einem Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie tätig. In dieser Doppelrolle gab er spannende Einblicke in die Bedeutung von Physical AI für die Landwirtschaft. Das Zusammenspiel von KI mit unserer physischen Welt werde einer der großen Umbrüche unserer Zeit sein – in der Industrie, aber auch in unserem Alltag. In der politischen Debatte erhalte das Thema jedoch bisher nicht die Aufmerksamkeit, die es verdiene.

Physical AI werde in der Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung in den kommenden Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen. Bisher seien viele Prozesse in der Natur schwer erfassbar gewesen – doch nun seien die technologischen Möglichkeiten so weit fortgeschritten, dass Systeme individuell auf ihre Umgebung reagieren könnten: Sie passen sich an die bestehende Welt an – statt dass die Welt für sie umgebaut werden muss. Sie reagieren flexibel auf Veränderungen und finden eigenständig Lösungen für neue Herausforderungen. Doch was bedeutet das für Europa und Deutschland? Wie können wir sicherstellen, dass wir in diesem Wandel eine führende Rolle einnehmen und unsere lebensnotwendige Basis langfristig sichern? Und: Sind unsere heutigen Rahmenbedingungen überhaupt noch passend für diese neue Realität? Diese Fragen warf Vesper auf und folgerte:
Physical AI in der Landwirtschaft bietet noch viel Raum für Diskussionen. Es gibt kein eindeutiges Richtig oder Falsch – entscheidend wird die Frage sein: Wie wollen wir diese Technologie nutzen?
Die Gegenwart der Landwirtschaft ist bereits digital
Erste Antworten auf die Fragen sollte die folgende Paneldiskussion liefern. Lea Fließ (Geschäftsführerin des Forum Moderne Landwirtschaft), Maurice Gohlke (Co-Gründer und -Geschäftsführer von Farming Revolution), Prof. Dr. Uwe Knauer (Lehr- und Forschungsgebiet „Digitale Technologien in der Pflanzenproduktion“ an der Hochschule Anhalt) und Martin Vesper diskutierten moderiert von Katja Weber über den praktischen Einsatz von Physical AI in der Landwirtschaft.

Die Expert*innen waren sich einig: Das traditionelle Bild des Landwirts auf dem Feld sei längst überholt. Moderne Landwirt*innen würden zunehmend hybrid arbeiten – sowohl am Computer als auch direkt auf dem Feld. Auf den Feldern und in den Ställen kommen verschiedene Technologien zum Einsatz, um Daten zu messen und Prozesse zu optimieren. Dennoch legen viele Landwirt*innen nach wie vor großen Wert auf den physischen Aspekt ihres Berufs: Technologien sollen ihre Arbeit unterstützen, nicht jedoch vollständig automatisieren:
Viele Menschen sind erstaunt, wenn sie erfahren, wie modern die Landwirtschaft heute ist. Das Bild des traditionellen Bauern, das man aus früheren Zeiten kennt, ist längst überholt.

Der Klimawandel und das stetige Bevölkerungswachstum würden die moderne Landwirtschaft vor enorme Herausforderungen stellen. Um diesen globalen Problemen effektiv zu begegnen, könne der gezielte Einsatz von Physical AI in landwirtschaftlichen Betrieben jeder Größe einen entscheidenden Beitrag leisten. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass solche Technologien nur für große Betriebe geeignet seien, können auch und gerade kleinere Unternehmen stark von den Vorteilen profitieren. Der Einsatz von kompakten Maschinen wie intelligenten Mährobotern oder automatisierten Unkrautjätern ermögliche es ihnen, Effizienzsteigerungen zu erzielen und die Arbeiten zu erledigen, für die sich auf dem heutigen Arbeitsmarkt ohnehin keine Arbeitskräfte mehr finden würden.
Als Unternehmen, das solche Technologien entwickelt, setzen wir alles daran, unser Produkt so kostengünstig und effizient wie möglich anzubieten. Für kleinere Betriebe besteht zudem die Möglichkeit, sich mit anderen Betrieben zusammenzuschließen und die Roboter gemeinsam zu nutzen. So lassen sich auch die Kosten verringern.


Ein gutes Anwendungsbeispiel sei auch die Bilderkennung mithilfe von KI, so Knaur. Bilderkennungstechnologien und Sensoren können dabei helfen, Pflanzenschutzmittel sehr viel gezielter einzusetzen und gegebenenfalls sogar ganz einzusparen. Das bringe nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische Vorteile mit sich:
Wir haben nicht nur eine Klimakrise, sondern auch eine Biodiversitätskrise. Da ist ökologisches Handeln ein wichtiger Baustein: Je ökologischer die konventionelle Landwirtschaft wird und je sparsamer solche Mittel gebraucht werden, desto mehr können Produktivität und Umweltschutz gleichzeitig gewährleistet werden.
Die zentrale Frage bleibt: Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Physical AI nachhaltig und sinnvoll in der Landwirtschaft eingesetzt werden kann? Roboter und KI-gesteuerte Systeme werden die Branche weiter transformieren. Die meisten Landwirt*innen würden sich offen für Innovationen zeigen und seien bereit für Veränderung. Damit dieser Wandel möglichst reibungslos gelinge, spiele Bildung eine Schlüsselrolle: Digitale Kompetenzen müssen stärker in die Ausbildung von Landwirt*innen integriert werden. Expertinnen aus den Bereichen KI, Informatik und Digitalethik können diesen Prozess gezielt begleiten und unterstützen.
Ein wichtiges Thema beim Einsatz von KI bleibe jedoch die Datensicherheit: Viele der erfassten Daten würden nicht nur im Betrieb genutzt, sondern auch in die Weiterentwicklung der Systeme einfließen. Eine transparente und vertrauensvolle Nutzung von Betriebs- und Sensordaten sei daher essenziell, um die Akzeptanz bei Landwirt*innen wie auch bei der Bevölkerung langfristig zu sichern.
Zum Abschluss wagten die Expertinnen einen Blick in das Jahr 2040. Für die Zukunft wünschen sie sich nicht nur eine offene Diskussion und die Bereitschaft zum konstruktiven Dialog, sondern auch eine von allen Seiten geförderte Innovationskultur und einen Bürokratieabbau bei der Regulierung. Ebenso betonten sie die Bedeutung eines stärkeren Bewusstseins der Verbraucher*innen für die Landwirtschaft und deren Herausforderungen.


