Resilienz im digitalen Wandel – auch eine Frage der digitalen Kompetenzen
Artikel von Sandy Jahn, D21-Referentin für Strategic Insights & Analytics, zu den Ergebnissen des D21-Digital-Index 2022/2023. Dieser Beitrag erschien zuerst in report psychologie, der Fachzeitschrift des Berufsverbands deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.
Das 21. Jahrhundert ist geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (kurz: VUKA). Dies stellt uns alle – Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Individuen – vor vielfältige Herausforderungen, denn wir leben in einer Zeit großer Umbrüche und Transformationsprozesse. Dazu gehören neben dem Klimawandel auch der demografische Wandel, geopolitische Neuordnungen und nicht zuletzt die digitale Transformation.
Beschleunigung der Transformationsprozesse
Die Welt ist also im Wandel. Nun ist dies keine neue Entwicklung; neu ist jedoch die Geschwindigkeit, mit der sich dieser Wandel vollzieht. Die Zeitintervalle, in denen sich unsere Lebenswelt deutlich wandelt, werden immer kleiner: Computer, die noch ganze Räume einnahmen, brauchten etwa 30 Jahre, um die Welt zu verändern. Bei Mini- bzw. Mikrocomputern waren es 20 Jahre, und das Internet 1.0 gestaltete die Welt bereits innerhalb von zehn Jahren um. Der Trend zur mobilen Internetnutzung brauchte schließlich nur noch fünf Jahre, um die Art, wie Menschen arbeiten, kommunizieren oder sich informieren, zu revolutionieren. Der digitale Wandel hat sich in den vergangenen Jahren – unter anderem durch die Corona-Pandemie und die damit verbundene rasante Verbreitung von digitalen Bildungs- und Gesundheitsangeboten, Online-Handel und Telearbeit – noch weiter beschleunigt und auf immer mehr Lebensbereiche ausgeweitet.
Im Prozess der digitalen Transformation sind zahlreiche Chancen für Bürger*innen, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat gleichermaßen entstanden. So wurden in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte etwa im Bereich der Medizin oder des Klimaschutzes erzielt, die ohne neue Technologien und den digitalen Wandel nicht möglich gewesen wären. Aber auch der Alltag vieler Menschen wurde durch digitale Geräte und Anwendungen stark erleichtert. Neue Möglichkeiten der Kommunikation und Information haben sich eröffnet. Wie mit allen Transformationsprozessen gehen mit der fortschreitenden Digitalisierung aber auch gesellschaftliche Herausforderungen einher. Es stellt sich die Frage, wie gut die Gesellschaft auf die Veränderungen durch den digitalen Wandel vorbereitet ist. Dafür lohnt sich ein Blick auf eine zentrale Eigenschaft, um souverän mit Umbrüchen und Herausforderungen umgehen zu können: Resilienz.
Resilienz als zentrale Eigenschaft
Resiliente Individuen macht demnach aus, dass sie sich proaktiv auf Veränderungen und Widrigkeiten einstellen können und wollen. Resilienz im digitalen Wandel bezieht sich dementsprechend auf die Fähigkeit von Individuen, Organisationen und Gesellschaften, den ständigen Wandel, der durch die digitale Technologie verursacht wird, zu antizipieren (verstehen zu können), zu akzeptieren (positive Grundhaltung) und zu adaptieren (lösungsorientiert zu handeln). Anders gesagt: Es handelt sich dabei um die Fähigkeit, in einer zunehmend digitalisierten Welt widerstandsfähig, agil und anpassungsfähig zu sein. Für einen resilienten Umgang mit der digitalen Transformation brauchen Menschen verschiedene Resilienzfaktoren, die sie in diesem Prozess stärken.
„D21-Digital-Index“-Studie
Seit dem Jahr 2013 liefert die Studie D21-Digital-Index jährlich ein umfassendes Lagebild zur digitalen
Gesellschaft in Deutschland. Sie zeigt auf empirischer Grundlage, wie die Gesellschaft die Veränderungen durch die Digitalisierung adaptiert und wie gut sie für die Herausforderungen des digitalen Wandels gerüstet ist. Dafür werden jedes Jahr etwa 6.000 Menschen in Deutschland befragt. Die Studie ist repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab 14 Jahren. In der aktuellen Ausgabe der Studie wird die Fähigkeit zum resilienten Umgang mit dem digitalen Wandel mit Hilfe eines Indikators ausgedrückt, der aus fünf Resilienzfaktoren besteht, die verschiedenen Aspekte der Resilienz abdecken:
Ausgewiesen wird er als Anteil derer, die mindestens drei der fünf Resilienzfaktoren besitzen und damit nach dieser Definition mit der digitalen Transformation resilient umgehen können. Die fünf Resilienzfaktoren orientieren sich am „Sieben-Säulen-Modell“ von Monika Gruhl, welches sieben Säulen definiert, auf denen Resilienz aufbaut (Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung, soziale Unterstützung und Zukunftsplanung).
Folgende Fragen bilden die fünf Faktoren ab:
- Verfügen Menschen über die mentale Widerstandsfähigkeit gegen den Druck, den das Schritthalten mit dem digitalen Wandel auslösen kann?
- Übernehmen sie Eigenverantwortung, um mit dem digitalen Wandel Schritt zu halten?
- Haben die Menschen eine Vorstellung von den zukünftigen Anforderungen, die der digitale Wandel an sie und ihre Fähigkeiten stellen wird?
- Sind sie in der Lage, diese Fähigkeiten selbstkritisch zu beurteilen?
- Sind Menschen der Auffassung, dass sie persönlich von der Digitalisierung profitieren?
Laut „D21-Digital-Index“ liegt der Anteil resilienter Bürger*innen in der deutschen Bevölkerung insgesamt bei 64 %. Somit besitzen beinahe zwei von drei Bürger*innen ab 14 Jahren mindestens drei der Resilienzfaktoren. Dabei gibt es jedoch große Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. So weisen etwa Menschen mit formal niedriger Bildung (48 %) seltener Resilienzfaktoren auf als Menschen mit mittlerer (62 %) und hoher formaler Bildung (79 %). Auch zwischen den Geschlechtern zeichnen sich Unterschiede ab: 60 % der Frauen weisen mindestens drei der fünf Resilienzfaktoren auf, bei den Männern sind es 68 %. Auch zwischen den Generationen gibt es teilweise deutliche Unterschiede. Vor allem Menschen hohen Alters sind seltener resilient. Aber auch in der Generation Z, der digital affinsten Gruppe, sind mit 69 % bei Weitem nicht alle resilient für den digitalen Wandel aufgestellt.
Wie kann Resilienz im digitalen Wandel gestärkt werden?
Um mit dem kontinuierlichen digitalen Veränderungsprozess souverän umgehen zu können, reicht es also nicht aus, digitale Geräte und Anwendungen bedienen zu können. Vielmehr ist es notwendig, die Zusammenhänge und die Komplexität technologischer Innovationen zu verstehen. Digitale Kompetenzen sind weitaus mehr als reine Anwendungskompetenzen, weshalb auch digital affine Gruppen nicht immer einen Vorteil haben, wenn es um ihre Zukunftsfähigkeit im digitalen Wandel geht.
Digitale Kompetenzen können also dazu beitragen, die Resilienz in einer digitalisierten Welt zu stärken. Doch wie sind die digitalen Kompetenzen in der deutschen Bevölkerung verteilt, und welche Fähigkeiten wirken sich besonders begünstigend auf die Resilienz der Menschen im digitalen Wandel aus? Die digitalen Kompetenzen, die in der Studie D21-Digital-Index untersucht wurden, lassen sich in fünf Kompetenzfelder einordnen, welche sich am DigComp-Modell der Europäischen Kommission orientieren:
- Im Bereich der Informations- und Datenkompetenz geht es darum, in digitalen Umgebungen nach
Daten, Informationen und Inhalten zu suchen, zwischen ihnen zu navigieren und diese zu bewerten. Während das Recherchieren von Informationen vielen leichtfällt, zeigt die Studie regelmäßig Defizite bei der kritischen Einordnung dieser Informationen. - Das Gestalten und Erzeugen digitaler Inhalte beinhaltet neben dem Erstellen und Bearbeiten digitaler Inhalte auch das Wissen um die Regeln zu digitalem Eigentum. Vor allem Jüngere können sich mit digitalen Mitteln ausdrücken, aber häufig nicht einschätzen, ob diese Inhalte vom Urheberrecht geschützt sind.
- Für die Kommunikation und Kollaboration im Digitalen gilt es, durch verschiedene Technologien miteinander interagieren und kollaborieren zu können, z. B. mit Smartphones oder Videokonferenzsystemen. Vor allem bei der Verwendung von Smartphones zur Kommunikation, sei es via Text oder Bild, zeigt der D21-Digital-Index hohe Kompetenzen in der Breite der Bevölkerung.
- Bei der Sicherheit und dem eigenen Wohlbefinden geht es sowohl um den Schutz der eigenen Geräte und Daten als auch um den Schutz der eigenen Gesundheit. Während die Datenschutz- und Sicherheitskompetenz bei vielen schon sehr gut ausgeprägt ist, ist der Schutz der eigenen Gesundheit im Umgang mit der digitalen Welt eine noch wenig vorhandene Kompetenz.
- Problemlösekompetenz als letztes und wahrscheinlich wichtigstes Feld bedeutet, dass man sich die Welt hinter digitalen und technologischen Entwicklungen erschließen kann und dieses Verständnis auch auf andere Zusammenhänge transferieren kann. Dadurch bildet diese Kompetenz die Basis dafür, sich auch in anderen Bereichen selbstständig digitale Kompetenzen aneignen zu können. Hier zeigt die Studie die größten Nachholbedarfe.
Die Studie fragt für jedes der beschriebenen fünf Kompetenzfelder komplexe und weniger komplexe digitale Kompetenzen ab. Wenig komplexe, aber in der Bevölkerung häufig benötigte Kompetenzen werden in der vorliegenden Studie als Basiskompetenz definiert. Die fünf Basiskompetenzen sind:
- im Internet Informationen finden
- Fotos oder Videos mit dem Smartphone machen und versenden
- einfache Texte digital erstellen
- die Verwendung starker Passwörter und
- grundlegende Funktionen am eigenen Smartphone anpassen können.
Nicht einmal die Hälfte der Bürger*innen in Deutschland verfügt über alle fünf Basiskompetenzen (49 %). Am häufigsten trauen sich die Bürger*innen zu, Informationen im Netz zu finden. Am seltensten sehen sie sich in der Lage, sich mit starken Passwörtern selbst zu schützen. Dabei zeigen die Ergebnisse des D21-Digital-Index: Wer über alle digitalen Basiskompetenzen verfügt, zählt auch häufiger zu den resilienten Individuen im digitalen Wandel: 83 % derjenigen, die angeben, über die fünf digitalen Basiskompetenzen zu verfügen, weisen auch mindestens drei der Resilienzfaktoren auf.
Auch die Europäische Kommission hat die Notwendigkeit digitaler Kompetenzen für ein resilientes Europa im digitalen Wandel erkannt: Die Förderung digitaler Kompetenzen ist einer ihrer Schwerpunkte. So wurde das Jahr 2023 offiziell zum „Europäischen Jahr der Kompetenzen“ erklärt, und in der Kompetenzagenda der Europäischen Kommission ist das Ziel verankert, dass bis 2025 mindestens 70 % der Erwachsenen in Europa zwischen 16 und 74 Jahren über zumindest grundlegende digitale Kompetenzen verfügen sollen. Die Kommission unterstützt dabei die Entwicklung digitaler Kompetenzen durch Bildungs- und Ausbildungsprogramme, die Förderung von lebenslangem Lernen und die Bereitstellung von Ressourcen für die digitale Weiterbildung.
Der D21-Digital-Index zeigt jedoch, dass bisher noch zu wenige Menschen in Deutschland solche Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs in Anspruch nehmen. So gaben im Jahr 2022 69 % der Befragten an, sich in den vergangenen zwölf Monaten neues Wissen zu digitalen Themen angeeignet zu haben, die meisten durch eigenes Ausprobieren. Eine solche aktuelle Lernerfahrung erhöht ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, resilienter im digitalen Wandel zu sein.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bedeutung digitaler Kompetenzen für einen selbstbestimmten und sicheren Umgang mit einer sich immer weiter digitalisierenden Welt gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Neue technologische Entwicklungen, wie ganz aktuell ChatGPT als Anwendung generativer künstlicher Intelligenz, werden die Menschen immer wieder vor neue Aufgaben des Verstehens und der Anpassung stellen. Für die Resilienz der Menschen im digitalen Wandel ist es also unerlässlich, digitale Kompetenzen zu erwerben, und das ein Leben lang.