Wenn kritische Quellenprüfung schwerfällt und es mehr Anwendungs- als Verständniskompetenz gibt
Sonderauswertung des D21-Digital-Index 2023/2024 zu Informations- und Datenkompetenzen in der Bevölkerung von Sandy Jahn, D21-Referentin für Strategic Insights & Analytics. Dieser Beitrag erschien zuerst im Datenkompetenzen Briefing, einem Newsletter-Format über neueste Erkenntnisse zum Stand und zur Entwicklung von Datenkompetenzen in der Bevölkerung des „Transfer-Hub Datenkompetenzen“.
Informationskompetenz bedeutet, Informationen aus verschiedenen Quellen gezielt auswählen, bewerten und effektiv nutzen zu können. Die Europäische Kommission betrachtet Informations- und Datenkompetenz als eine der fünf Schlüsselkompetenzen für die Bürger*innen. In einer Zeit des schnellen Online-Zugriffs auf weltweites Wissen ist sie umso wichtiger. Jedes Jahr untersucht die Initiative D21 mit dem D21-Digital-Index in Anlehnung an das europäische Framework DigComp die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung. Für die aktuelle Ausgabe 2023/2024 wurden 6.455 Personen ab 14 Jahren persönlich und computergestützt befragt. Im Folgenden stellen wir ergänzend zum umfassenden Lagebild des D21-Digital-Index 2023/2024 die zentralen Ergebnisse zur Informations- und Datenkompetenz vor.
Die kritische Prüfung und Bewertung von Informationen fällt vielen Bürger*innen schwer
Für die meisten Menschen ist es heute selbstverständlich, mit Suchmaschinen im Internet nach Informationen zu suchen: 66 Prozent der Bürger*innen machen das nach eigenen Angaben ein- bis mehrmals pro Woche, 17 Prozent nutzen Suchmaschinen zumindest ein- bis mehrmals im Monat und weitere 7 Prozent seltener. Insgesamt benutzen also 90 Prozent der Bevölkerung Suchmaschinen. 81 Prozent der Bürger*innen geben an, gesuchte Informationen im Internet auch tatsächlich zu finden (siehe Abb. 1). Damit sind das Suchen und Finden von Informationen – nicht zuletzt in Form von mehr oder weniger gut aufbereiteten Daten – eine der am weitesten verbreiteten digitalen Kompetenzen, und zwar in allen Bevölkerungsgruppen.
Während also eine breite Mehrheit der Bevölkerung in der Lage ist, ihr Informationsbedürfnis im Internet zu erfüllen, zeigen sich zum Teil erhebliche Defizite bei der Fähigkeit, die Qualität und Vertrauenswürdigkeit dieser Informationen und der genutzten Quellen zu beurteilen. Die Selbsteinschätzung der Bürger*innen in unserem D21-Digital-Index 2023/2024 zeigt: 51 Prozent geben an, die Richtigkeit von Informationen und Quellen überprüfen zu können. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Knapp die Hälfte der Bürger*innen traut sich dies nicht zu. 1
Dabei gibt es sehr deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Deutlich über dem Durchschnitt liegen die sogenannten „Digital Natives“ der Generationen Z (66 Prozent) und Y (61 Prozent) sowie Personen mit hohem Bildungsabschluss (70 Prozent) und aus einkommensstarken Haushalten (67 Prozent). Umgekehrt fällt es vor allem den älteren Generationen schwer, die Qualität von Informationen und deren Quellen zu überprüfen: Nur jede bzw. jeder Dritte aus der Nachkriegsgeneration fühlt sich dazu in der Lage, bei den bis 1945 Geborenen sind es sogar nur 15 Prozent.
Ähnlich groß sind die Unterschiede zwischen den Bildungsniveaus: Personen mit mittlerem Bildungsabschluss liegen mit 49 Prozent nahe am Durchschnitt, Personen mit niedrigem Bildungsabschluss dagegen weit darunter (28 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Personen aus der Mittelschicht (48 Prozent) und aus einkommensschwachen Haushalten (36 Prozent).
Desinformationen erkennen als Schlüsselkompetenz, um Demokratie und Zusammenhalt zu schützen
Desinformation ist eine der zentralen Bedrohungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie. In der aktuellen Zeit mit ihren multiplen Krisen wird sie gezielt eingesetzt, um zu polarisieren und zu verunsichern. Die Verbreitung von unseriösen Nachrichten kann nur dann gestoppt werden, wenn man sie als solche erkennt. Diese Herausforderung ist angesichts der Informationsfülle im Netz nicht leicht zu bewältigen. Zudem sind in den letzten Monaten immer ausgereiftere KI-Technologien auf den Markt gekommen, mit denen sich Desinformationskampagnen noch leichter umsetzen lassen. Diese zu erkennen, fällt dein meisten Menschen schwer.
Dass diese Entwicklungen neue Anforderungen an die Bürger*innen stellen, zeigt sich zum Beispiel im leichten Rückgang der Fähigkeit, seriöse von unseriösen Nachrichten zu unterscheiden (siehe Abb. 2). Möglicherweise trauen sich weniger Menschen als früher zu, Falschinformationen zu erkennen, da die rasche Verbreitung und breite Diskussion über die Möglichkeiten der generativen künstlichen Intelligenz (KI), insbesondere von ChatGPT, ein neues Bewusstsein für die Komplexität der heutigen Informationslandschaft geschaffen hat. Nur 22 Prozent der Bevölkerung trauen sich zu, synthetische Informationen, also Informationen wie Texte, Musik oder Bilder, die von KI-Anwendungen erzeugt wurden, auch als solche zu erkennen. Selbst bei den „Digital Natives“ sind es nur rund ein Drittel (Gen Z: 36 Prozent, Gen Y: 32 Prozent).
Bei der Fähigkeit, unseriöse von seriösen Nachrichten zu unterscheiden, zeigen sich die gleichen gesellschaftlichen Gräben (sogenannte „Digital Skills Gaps“) wie bei der Fähigkeit, die Qualität von Informationen und von deren Quellen zu beurteilen: Jüngere Generationen können dies deutlich häufiger als ältere (Gen Z: 72 Prozent, Generation bis 1945: 16 Prozent), Personen mit hohem Bildungsabschluss (77 Prozent) deutlich häufiger als solche mit niedrigem Abschluss (34 Prozent) und Personen aus einkommensstarken Haushalten (76 Prozent) sind hier kompetenter als solche aus einkommensschwachen Haushalten (41 Prozent). Hierbei korrelieren nicht nur Bildungsabschluss und Einkommen, sondern auch Bildungsabschluss und Alter miteinander: Ältere Generationen haben häufiger niedrigere Bildungsabschlüsse, Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen gehören häufiger einkommensschwachen Schichten an.
Informations- und Datenkompetenzen wachsen, aber zu langsam
Im Zeitverlauf zeigt sich, dass alle betrachteten Informations- und Datenkompetenzen im Laufe der Zeit in der Bevölkerung zugenommen haben, allerdings nur langsam (siehe Abb. 2). Deutlich bemerkbar macht sich ein Corona-Effekt bei der Kompetenz, Informationen online zu finden: Von 2020 auf 2021 gab es einen Anstieg um 5 Prozentpunkte. Seitdem halten die Bürger*innen dieses Kompetenzniveau. Während diese Anwendungskompetenz recht deutlich zugenommen hat, wachsen die komplexeren Verständniskompetenzen aber langsamer und sind insgesamt weniger verbreitet.
Damit zeigt sich in der Bevölkerung neben den bekannten Spaltungen nach Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen ein weiterer „Digital Skills Gap“, nämlich zwischen den sogenannten Anwendungskompetenzen (Suchmaschinen etc. zur Informationsbeschaffung nutzen) und den komplexeren Verständnis- und Transferkompetenzen (diese Informationen prüfen, bewerten und einordnen können): Während die Anwendungskompetenzen in der breiten Bevölkerung vergleichsweise weit verbreitet sind, fallen die komplexeren Verständnis- und Transferkompetenzen selbst digital affinen Bevölkerungsgruppen zum Teil schwer. Gerade diese Kompetenzen sind aber entscheidend für einen sicheren und selbstbestimmten Umgang mit der digitalen Welt.
Fazit: Es braucht konkrete Ziele und Maßnahmen für die Stärkung von Informations- und Datenkompetenzen in der Bevölkerung
Bereits die Studie „Digital Skills Gap“ aus dem Jahr 2021 hat gezeigt, dass eine große Mehrheit weiß, wie man Informationen im Netz findet. Die kritische Bewertung dieser Inhalte fällt jedoch selbst digital affinen Gruppen zum Teil schwer. Dieser „Digital Skills Gap“ zwischen weit verbreiteten Anwendungskompetenzen und oft weniger ausgeprägten Verständniskompetenzen führt im Bereich der Informationskompetenz dazu, dass die nahezu unerschöpfliche Verfügbarkeit von Informationen im Internet schnell zur Herausforderung wird, wenn es um die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit geht.
Dies ist vor dem Hintergrund der hohen Komplexität aktueller Sachverhalte und Entwicklungen – wie dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, dem fortschreitenden Klimawandel oder auch dem Superwahljahr, in dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung zur Wahl aufgerufen ist – ein großes Problem:
Wer Informationen im Netz liest und nicht überprüft oder überprüfen kann, läuft Gefahr, stark vereinfachte, einseitige oder gar falsche Informationen zu glauben und zu reproduzieren. Wer Informationen nicht richtig einordnen und bewerten kann, wird außerdem leichter Opfer gezielter Desinformationskampagnen. Dies ist sowohl für Einzelpersonen als auch für die Gesellschaft gefährlich und stellt eine ernsthafte Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Demokratie dar. Es bedarf daher einer breit angelegten digitalen Kompetenzoffensive, die von einem politischen Zielbild für digitale Kompetenzen getragen und im Schulterschluss von Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bildungssektor umgesetzt wird.