AG-Blog: Treiber des Wandels: Wie Innovation gelingt
Innovationsstandort Deutschland – wie wird Innovation (im digitalen Raum) entwickelt und umgesetzt? Welche Rolle übernehmen dabei die Politik und der Staat? Wie kann Innovation vorangetrieben und gefördert werden. Diese und weitere Fragen betrachtete die AG Innovativer Staat bei ihrer Sitzung in Berlin.
Berlin. Die Innovationszyklen werden immer kürzer – gefühlte, aber auch tatsächliche. In der öffentlichen Diskussion steht insbesondere bei Innovationen im digitalen Raum oft das Hinterherhinken des Gesetzgebers im Vordergrund. Dem hat die AG Innovativer Staat in ihrer letzten Sitzung eine andere Perspektive entgegengesetzt: Unter der Moderation vom Leitungstandem Jan-Lars Bey und Cornelia Gottbehüt beleuchteten die Teilnehmenden, wie Institutionen zu aktiven Innovationstreibern werden können: Welche Strukturen sind innovationsfördernd? Wie kommen innovative Proofs of Concept in den Organisationsalltag und wo hakt es beim Transfer? Wo kann auch der Staat innovative Impulse setzen?
Digitale Innovationen in der Bundeswehr – Notwendigkeit als Innovationstreiber
Der erste Impuls des Tages kam von Sven Weizenegger, Leiter des Cyber Innovation Hub der Bundeswehr. Er berichtete über die nutzer*innenorientierte Arbeitsweise des Hubs und darüber, wie dadurch Projekte ungewöhnlich schnell umgesetzt werden können. Das Cyber Innovation Hub ist in die BWI GmbH, den Digitalisierungspartner der Bundeswehr, eingegliedert. Durch diese Zusammenarbeit können sich Weizenegger und sein Team vollständig auf innovative Projekte konzentrieren, während viele organisatorische Aspekte von anderen Abteilungen übernommen werden. Dabei fungiere der Hub als „Change Agent“ der deutschen Streitkräfte. Die strategische Steuerung erfolge durch das BMVg mit Rückendeckung durch die Leitung des Hauses, so Weizenegger. Gleichzeitig herrsche das Prinzip der unternehmerischen Freiheit: Die Entscheidung über die Umsetzung liege letztendlich beim Leiter und den Teams des Hubs.
Der Sense of Urgency sei aktuell groß:
Durch die unterschwellige Realisierung der Projekte könnten Rekordlieferzeiten von ein bis drei Jahren (teilweise noch kürzer) für Projekte erreicht werden. Nichtsdestotrotz könnten sich Rahmenbedingungen wie Finanzierung und Beschaffungsprozesse auch schwierig gestalten. Gerade das Budget stelle oft eine Herausforderung dar.
Innovation in der Praxis
Die Arbeit in der Bundeswehr erfolge sehr bedarfsorientiert – Projekte wüerden grundsätzlich nutzer*innenzentriert und als Bottom-Up-Prozess umgesetzt. Weizenegger erklärte, dass direkt an der Truppe getestet werde, mit echten Nutzer*innen und echten Daten. Der Fokus bei der Zusammenarbeit liege dabei nicht primär auf den „typischen“ Konzernen, sondern auf Start-ups. Das Hub bilde dabei die Schnittstelle zwischen Bundeswehr und BMVg und versuche, Bedürfnisse und Bedarfe zu verstehen und entsprechend zu kommunizieren.
Von insgesamt 170 Projekten befänden sich gerade 140 in der aktiven Entwicklung bzw. Umsetzung. Ein Beispiel dafür ist das Innovationsprojekt „Multi Sensor Data Fusion (MSDF)“ in Kooperation mit der Marine. Dieses solle ein umfassendes Lagebild zu Über- und Unterwasseraktivitäten und die schnellere Aufklärung von feindlichen Aktivitäten ermöglichen.
Zum Abschluss formulierte Weizenegger den Wunsch nach einem Wandel in der deutschen Innovationskultur. Das Scheitern und Fehler machen gehöre zur Innovation dazu. Im Cyber Innovation Hub gelte daher die Prämisse: „Alle Projekte sind erfolgreich, solange wir etwas daraus lernen konnten.“
Wie der Staat Innovationen Flügel verleihen kann
Im Anschluss sprach Prof. Dr. Andreas Zaby, Innovation Manager SPRIND (Bundesagentur für Sprunginnovationen) über die disruptive Wirkung von Sprunginnovationen und die (inter-)nationale Zusammenarbeit der Agentur:
Verschiedene nationale Agenturen und Organisationen würden sich dabei gegenseitig ergänzen und auch international gebe es Zusammenarbeit.
Bottom-Up und Top-Down – Projekte und Challenges
Die Arbeitsweise der Agentur lasse sich grob in zwei Kategorien einteilen: Bottom-Up-Projekte und Top-Down-Projekte (Challenges). Grundsätzlich könne jede*r jederzeit Projektideen über das Online-Formular auf der Website der Agentur einreichen. Allerdings müsse es sich bei der Projektidee um eine Sprunginnovation handeln. Dies stelle ein Ausschlusskriterium dar – sollte der disruptive Charakter während der Umsetzung des Projektes nicht länger gegeben sein, führe dies zum Abbruch des Projekts:
Gleichzeitig gebe es aber auch Ausschreibungen von zielorientierten Top-Down-Projekten, die sogenannten Challenges. Dabei handle es sich um Innovationswettbewerbe, bei denen sich visionäre Teams versammeln, um an radikalen neuen Lösungen zu arbeiten und den besten Weg zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Der Ablauf der Challenges folge einem Stufenmodell. Diese Vorgehensweise ermögliche auch Teams mit unkonventionellen Lösungen eine Chance auf Umsetzung. Die Themengebiete der Projekte und Challenges reichen von nachhaltigen Baustoffen über Nanomedizin hin zu neuartigen kognitiven Datenbänken.
Insgesamt fokussiere sich die SPRIND nicht nur auf die unmittelbare Förderung, sondern auch auf das Schaffen und Pflegen von Innovationsökosystemen in Deutschland. Dazu veranstalte man Wettbewerbe in Zusammenarbeit mit verschiedenen Ministerien und nehme auch regelmäßig selbst an Veranstaltungen in der Gründer*innen-, Start-up- und Innovationsszene teil, um Wissen zu teilen und beispielsweise den IP-Transfer zu verbessern. Generell arbeite die SPRIND sehr eng mit Politik und Verwaltung zusammen und übernehme an vielen Stellen Innovationsförderung für den Staat. So unterstütze und berate man aktuell das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) bei einem Projekt zur Umsetzung des EUDI-Wallets.
Institutionelle Stellschrauben für Transfer und Innovation
Als nächstes räumte Stefan Gross-Selbeck, Leiter der Gründungskommission der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) mit dem verbreiteten Irrglauben auf, die europäische Forschung sei „einfach nicht so gut“ wie die US-amerikanische Forschung. Laut einer Untersuchung von Lakestar zum European Financing Gap Germany liege Deutschland in Sachen Grundlagenforschung längst mit den USA gleich auf. Erst bei der Kommerzialisierung und Skalierung der Projekte würde Deutschland wieder verlieren. Zudem würden US-amerikanische Firmen mehr Vorteile durch die europäische Forschung erhalten als europäische Unternehmen selbst („European Paradox“). Das Problem sei sowohl ein systemisches als auch ein kulturelles, bei dem eine Vielzahl von Faktoren zusammenkommen: Zum einen seien die Deutschen traditionell sehr gut in der Grundlagenforschung, würden aber in der Transferforschung Schwächen zeigen. Zum anderen sei Deutschland seit Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten stark in der inkrementellen Innovation, aber langsam im Bereich der disruptiven Innovation.
Hier setze die DATI an. Laut dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung solle es ihre Aufgabe sein, Forschungsergebnisse durch einen effektiven Ideen-, Wissens- und Technologietransfer in die wirtschaftliche und/oder gesellschaftliche Anwendung zu bringen und Innnovationspotenziale zu heben. Dabei solle die DATI nach ihren vier grundlegenden Prinzipien – Transferexzellenz, Offenheit, Unabhängigkeit und Agilität sowie Akzeptanz und Diversifizierung von Risiken – innerhalb von fünf strategischen Handlungsfeldern – unternehmerische Führung und Kultur, wirksame Governance, attraktive Formate, angemessene Förderkriterien und Auswahlverfahren sowie die Positionierung der DATI als Partner in der Förderlandschaft – agieren.
Aktuell herrsche noch ein gewisses Ungleichgewicht in der deutschen Wissenschaftsförderung: Es werde im großen Maße Grundlagenforschung und nur im geringen Maße angewandte Forschung (Transferforschung) gefördert. Gleichzeitig sei das Nachwuchssystem ebenfalls an dieses sehr einseitiges Forschungsnetzwerk geknüpft. Als wichtigstes Ziel der DATI formulierte Gross-Selbeck daher die gleichwertige Anerkennung der Transferforschung:
Neue Herausforderungen im Wissenschaftsbetrieb
Letztlich brauche man auch einen Kulturwandel in der Wissenschaftsförderung, sodass sich auch der wissenschaftliche Nachwuchs abseits bisher festgelegter Karrierepfade für einen Weg in der Transferforschung entscheiden könne. Transferförderung erfordere aber eine andere Herangehensweise als die Grundlagenforschung. Hier müsse viel stärker anwendungsorientiert vorgegangen werden. Daraus ergebe sich das transsektorale Erarbeiten von Lösungen für Probleme, die es vorher nicht gegeben habe. Der komplette Forschungsförderungsprozess müsse anders organisiert werden: Es würden andere Gutachter*innen und Gutachter*innenverfahren sowie andere KPIs gebraucht, da die Wirkung ebenfalls eine ganz andere sei. Dies sei schwer umzusetzen in Organisationen, die über Jahrzehnte das Gegenteil gemacht hätten.
Leuchtturm oder Lichtermeer? Thesen aus der CeRRI-Forschung zum erfolgreichen Transfer von Innovationen
Zum Abschluss erklärte Simone Kaiser, Leiterin des Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) des Fraunhofer IAO wie Innovation aus den Laboren heraus in die breite Wirkung kommen könne:
Dadurch entstehe die Notwendigkeit einer „Beidhändigkeit“ und somit ein Spannungsfeld, das Herausforderungen für die Organisation, aber auch für die darin arbeitenden Individuen mit sich bringe. Den Spagat zwischen diesen beiden Richtungen zu halten, gelinge in der Praxis nur Wenigen.
Kaiser berichtete von den drei am häufigsten auftretenden Herausforderungen und wie diese überwunden werden können:
- „Viel hilft viel“: Häufig hätten Organisationen eigene Innovationsabteilungen, und trotzdem herrsche ein Gefühl von Stagnation. Das liege oft daran, dass die Arbeit des Innovationslabors nicht strategisch mit dem Rest des Unternehmens verbunden sei. Eine Integration in die Unternehmensstrategie sei jedoch ausschlaggebend für erfolgreiche Innovation.
- „Wir brauchen nur eine gute Idee“: Oft finde man den Irrglauben vor, es brauche nur eine gute Idee. Allerdings werde dabei Innovation oft mit Transformation verwechselt (Eisbergproblem). Dies sei oft eine Frage der Unternehmenskultur und des Mindsets.
- „Die wollen ja nur nicht“: Tatsächlich stoße man gerade am Beginn solcher Innovationsprozesse häufig auf Widerstand. Die Gründe dahinter würden aber oft nicht stark genug hinterfragt. Der Spagat zwischen Tagesgeschäft und Innovation sei oft eine zu große Belastung für viele. Hier sei ein Bewusstsein für die Schwierigkeiten der Belegschaft, mit Innovation umzugehen, besonders wichtig.
Die Teilnehmenden waren sich einig: Innovativen, Ideen und Projekte sind auf jeden Fall an vielen Stellen in Deutschland vorhanden. Die Umsetzung bietet allerdings noch viel Verbesserungspotenzial. Mechanismen, Agenturen und Infrastrukturen müssen weiter ausgebaut und gefördert werden. Dennoch verließen die Teilnehmenden die Veranstaltung mit einem positiven Blick auf die Zukunft eines innovativen Deutschlands.