AG-Blog | Verschwörungsmythen aus ethischer und bildungspolitischer Sicht
Bei der gemeinsamen virtuelle Sitzung der AG Bildung und Ethik wurden Verschwörungsmythen aus ethischer wie auch aus bildungspolitischer Sicht beleuchtet und diskutiert.
Berlin/virtuell, 22.09.2021. „Verschwörungsmythen sind selten so breit wahrnehmbar und gesellschaftlich und politisch bedeutsam diskutiert worden, wie es aktuell der Fall ist.“ Mit diesen Worten begrüßten Simone Kaiser und Cornelia Schneider-Pungs (Co-Leiterinnen der AG Ethik und AG Bildung) die Teilnehmenden zur gemeinsamen Sitzung der Arbeitsgruppen Bildung und Ethik. Die beiden AGs setzten sich diesmal mit Verschwörungsmythen auseinander und beleuchteten das Phänomen sowohl aus ethischer als auch aus bildungspolitischer Sicht.
Input gab es dabei von Dr. Pascal Henke, Referat Prävention und Aussteigerprogramme im Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, sowie von Prof. Dr. Dr. Matthias Rath, Leiter der Forschungsgruppe Medienethik „Jugend – Medien – Bildung“ an der PH Ludwigsburg.
Netzwerken in Remo
Die Sitzung fand über die Software Remo statt, mit der sich die Teilnehmer*innen zwischen den Vorträgen selbstständig in einer virtuellen Lobby bewegen und sich an Tischen mit anderen Gästen austauschen konnten.
Verschwörungsmythen aus ethischer Perspektive
Dr. Pascal Henke, promovierter Philosoph, eröffnete den Tag aus ethischer Perspektive und gab den Teilnehmenden zunächst eine thematische Einführung aus Sicht eines Verfassungsschützers: Ab wann kann man von einer Verschwörung sprechen? Ab wann werden bestimmte verschwörungstheoretische Glaubenssätze zu einer demokratischen Herausforderung? Henke gab an dieser Stelle einen Einblick, wie die Behörde Verschwörungsmythen kategorisiert. Ihre Verbreitung wird durch soziale Medien wesentlich einfacher, was auch Prof. Dr. Dr. Rath später im bildungspolitischen Block des Tages thematisierte: Analoge Verschwörungsmythen müssen aufwändiger in Umlauf gebracht werden als in der aktuellen Zeit. Die mediale Aufbereitung und Produktion ist teurer und umständlicher, die Verteilungsorganisation umfangreicher und das geheime Agieren erschwert ihre Wirksamkeit.
Die Corona-Pandemie: Von der Sach- zur Systemfrage und die Rolle der Medien
Spätestens seit der Corona-Pandemie nehmen Verschwörungsmythen aber auch eine wahrnehmbar politische Dimension ein: „Corona war ein großes Einfallstor für Verschwörungsmythen aller Art“, berichtete Henke. Zum ersten Mal habe staatliches Handeln großen Einfluss auf persönliche Lebensbereiche genommen, um Ansteckungen zu unterbinden.
Medienberichte, Schlagzeilen und Aussagen von Politiker*innen wurden dabei aus dem Kontext gerissen, falsch verbreitet und somit in vielen Fällen zu einer verfassungsschutz-relevanten Angelegenheit. Um dem Phänomen aber entgegenzuwirken, leiste der Verfassungsschutz erhebliche Präventionsarbeit in drei Ebenen, so Henke:
- Während in der Primärprävention Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit in der breiten Gesellschaft betrieben wird, um zu sensibilisieren und Verantwortliche, beispielsweise aus Kommunen, einzubinden,
- befasst sich die zweite Säule mit der Prävention „Ausstieg vor dem Einstieg“. Hierbei werden potenzielle Betroffene aktiv angesprochen, bevor sie in die Spirale der Verschwörungen geraten.
- Bei der dritten und letzten Stufe hingegen bemüht sich der Verfassungsschutz, bereits Betroffene mit Hilfe von Aussteiger*innenprogrammen aus dem Milieu zu holen und sie zu resozialisieren.
„Bildung ist die Blaupause der zukünftigen Gesellschaft“
Die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen sieht auch Prof. Dr. Dr. Rath gegeben. Insbesondere die Schulbildung, so der Professor der PH Ludwigsburg, sei dabei von großer Bedeutung, sehe sich aber drei wesentlichen Hemmnissen entgegengestellt. Viele Schulen würden eine antimediale Kultur betreiben, die den Einsatz von Medien eingrenzt und moralisiert. Auch die antidigitale Einstellung führe dazu, dass das Phänomen, gerade im digitalen Raum, nicht genug aufgearbeitet würde, ebenso wie der politische Neutralismus, der Schulen dazu verpflichten würde, neutral zu bleiben.
Auf diese Herausforderungen würde es aber sehr einfache Antworten geben, entgegnet Rath. So sollten Lehrkräfte bereits im Lehramtsstudium zu Medien- und Digitalprofis ausgebildet, Fächer, wie „Coding“ oder „Digitale Didaktik“ verpflichtend angeboten werden. Weiterhin müssten Schulen sowohl technisch als auch inhaltlich als Medienzentren ausgestattet werden: Tablets, WLAN und IT-Fachkräfte sind in seinen Augen dabei unabdingbar. Und auch die Förderung eines „kritischen Bewusstseins“ bei Lehrkräften und Schüler*innen, gerade im Hinblick auf Verschwörungsmythen, sollte eingeübt und politisiert werden.
Kritisch sieht Prof. Dr. Dr. Rath die aktuell große Hemmschwelle angehender Lehrkräfte im Umgang mit digitalen Medien: Ein bestimmter Habitus unter Lehrkräften würde sich jedes Jahr „klonen“ und Lehrerfahrungen in einem digitalen Umfeld erschweren. Dabei sollten angehende und bereits ausgebildete Lehrkräfte aber viele Praxiserfahrungen mit Medien und digitalen Werkzeugen sammeln, um sie im Unterricht und auch im Hinblick auf Verschwörungserzählungen einzubringen, denn:
Er appelliert dabei an die Universitäten, Praxiserfahrungen qualifiziert in die Ausbildung einzubringen, um Lehrkräften die Möglichkeit zu geben, sich als digital selbst wirksam und aktiv zu erleben.