Warum das Klassenzimmer von heute unsere Zukunft zerstören könnte

Ein Kommentar von Stefanie Kaste, stellvertretende D21-Geschäftsführerin und -Bildungsexpertin. Dieser Beitrag erschien in einer kürzeren Version zuerst als Gastbeitrag bei c't D.digital, einem Newsletter-Format von heise über die Digitalisierung in Deutschland.

Porträt von Stefanie Kaste

Die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte – Klimawandel, globale Migration und Künstliche Intelligenz – erfordern radikal andere Kompetenzen. Doch statt Kinder und Jugendliche auf diese Themen vorzubereiten, vermitteln Schulen oft noch Wissen, das Suchmaschinen in Sekunden liefern könnten. Ist unser Bildungssystem noch zukunftsfähig? Sind wir mutig genug, uns von überholten Traditionen zu lösen und das Bildungssystem so zu gestalten, dass es zur Lösung der Probleme von morgen beiträgt?

Veraltete Bildung für eine ungewisse Zukunft: Wo das System versagt

Lehrpläne versuchen längst, neue Kompetenzanforderungen wie digitale Fähigkeiten, kritisches Denken oder Teamarbeit zu integrieren. Dennoch mangelt es häufig an der Unterstützung bei der Umsetzung – sei es durch fehlende finanzielle Mittel, zu wenig Personal oder einen Mangel an Zeit für Weiterentwicklung. Die Bildung steckt in einem Teufelskreis aus Anpassungsdruck und strukturellen Engpässen.

Doch der Kern des Problems liegt tiefer: Es fehlt eine klare und mutige Vision, die zeigt, wie Bildung im 21. Jahrhundert aussehen sollte. Wie schlagen wir die Brücke vom Ist zum Soll, wenn unklar bleibt, was das „Soll“ überhaupt ist?

Neue Kompetenzen, alte Strukturen: Warum Transformation scheitert

Bildung sollte mehr sein, als kurzfristig auf Trends und Erhebungen zu reagieren. Sie ist das Fundament einer demokratischen Gesellschaft und prägt die Art und Weise, wie wir die Welt von morgen gestalten.

Eine echte Transformation kann nur gelingen, wenn wir gemeinsam ein zeitgemäßes Leitbild für Bildung entwickeln – einen Nordstern, der Orientierung bietet und Lust auf Zukunft macht. Eine solche Vision darf nicht in geschlossenen Gremien hinter verschlossenen Türen entstehen. Sie muss gesellschaftlich verhandelt werden, mit den Stimmen aller, die betroffen sind und gestalten wollen. Warum nicht Bürger*innenräte ins Leben rufen, die die Grundlage für diese Vision erarbeiten? Vertreter*innen aus der Bildungslandschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft könnten gemeinsam mit Menschen unterschiedlichster Generationen, Einkommensklassen und Lebenshintergründe einen Nordstern definieren.

Was, wenn Schulen nicht mehr primär Wissen vermitteln, sondern junge Menschen befähigen, die Welt aktiv zu gestalten? Wenn sie lehren, wie man Zukunft entwirft, Verantwortung übernimmt und die Herausforderungen von KI, Klimawandel und gesellschaftlichem Wandel mutig angeht?

Eine Vision für Bildung im 21. Jahrhundert: Mut zur Neugestaltung

Doch eine so tiefgreifende Revolution wirft auch Fragen auf: Was passiert mit den „Kernfächern“? Werden Mathematik, Geschichte und Naturwissenschaften abgewertet? Verlieren wir in unserer Begeisterung für die Zukunft das Fundament? Dabei geht es nicht darum, grundlegende Basiskompetenzen abzuschaffen – diese bleiben essenziell. Allerdings sollten sie durch vernetztes Denken ergänzt werden, um Wissen in komplexen Zusammenhängen anzuwenden und globale Herausforderungen zu meistern. Vernetztes Denken ist die Fähigkeiten, Wissen zu übertragen und Zusammenhänge zu verstehen. Ein Bespiel wäre die Fähigkeit, Desinformation zu erkennen, indem man sein Wissen über die Funktionsweise von Social Media (Medienkompetenz) mit fachlichem Wissen und Kontextwissen über strategische oder politische Motive verknüpft.

Mit der Komplexität von Themen, Meinungen und Informationen umzugehen und Orientierung zu finden ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Schulen sollten junge Menschen befähigen, mit dieser Komplexität umzugehen, die Zukunft aktiv mitzugestalten, Verantwortung zu übernehmen und innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu finden.

Das Bildungssystem ist ein träges Schiff, gefangen zwischen politischen Agenden, begrenzten Ressourcen und Widerständen gegen Veränderung. Es ist schwer, solch ein System radikal neu zu denken. Aber es wird essenziell für die Zukunft unseres Landes sein. Sind wir mutig genug, uns von überholten Traditionen zu lösen? Sind wir bereit, alte Zöpfe abzuschneiden, auch wenn es unbequem wird? Es braucht Mut, Bildung neu zu denken. Aber genau diesen Mut müssen wir aufbringen, wenn wir wollen, dass die nächste Generation nicht nur die Herausforderungen der Zukunft meistert, sondern aktiv eine lebenswerte Welt gestaltet, kurz: wenn wir unsere Demokratie und unsere Wirtschaft sichern wollen.

Bildung darf nicht länger ein Flickenteppich aus Reformen sein, sondern braucht eine klare Richtung. Bildung muss zur Brücke in eine wünschenswerte Zukunft werden.

Dafür braucht es ein klares Bild dieser Zukunft. Die Entscheidung liegt bei uns: Bleiben wir in der Komfortzone, oder wagen wir den Sprung ins Ungewisse? Eines ist sicher: So wie es jetzt ist, reicht es nicht. Die Zukunft wartet nicht.

Autorin

Porträt von Stefanie Kaste

Stefanie Kaste, Stellv. Geschäftsführerin (sie/ihr)