AG-Blog | Von der Theorie in die Praxis – ethische Reflexionsprozesse in Behörden

Wie ethische Reflexionsprozesse in Behörden ablaufen, haben die AG Ethik und AG Innovativer Staat in einer gemeinsamen und letzten Sitzung im Jahr 2020 beleuchtet.

Berlin/virtuell. Die digitale Welt wird ständig komplexer und schnelllebiger, aber es bleibt immer weniger Zeit, sich an neue Technologien zu gewöhnen und ihre Auswirkungen zu bewerten. Deswegen ist es für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wichtig, vorausdenkend und umblickend zu agieren. Die öffentliche Verwaltung nimmt in diesem Prozess eine besondere Rolle ein. Zum einen muss sie sich – wie auch Unternehmen – intern mit den Auswirkungen der digitalen Transformation auseinandersetzen. Wie verändern sich bspw. Entscheidungen bei Anträgen bei der automatisierten Bearbeitung? Wie kann eine Behörde Daten zur Effizienzsteigerung verwenden und wo entstehen dabei ethische Probleme?

Zum anderen hat die Verwaltung eine große Verantwortung für alle Bürger*innen im Land, weswegen auch die externe, gesellschaftliche Perspektive zu beleuchten ist: Wo haben Maßnahmen der Verwaltung in der Gesellschaft eine Wirkung und wo ist Regulierung notwendig? Wie ethische Reflexionsprozesse in Behörden ablaufen, haben die Teilnehmer*innen der AG Ethik und AG Innovativer Staat in einer gemeinsamen Sitzung mit zwei Vorträgen und Diskussionsgruppen näher betrachtet.

Die modulare Reflexionsanleitung des BMFSFJ

Von Pflegerobotern über Medienkompetenz bis hin zu diskriminierungsfreien Algorithmen: Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) kommt bereits an vielen Stellen mit Fragen zur digitalen Ethik in Berührung. Nicola Sommer und Ali-Cina Fahimi erläuterten in ihrem Impuls, dass das Ministerium in internen sowie externen Workshops Schwerpunktthemen festgelegt und diese in die Entstehung eines Reflexionsprozesses mit aufgenommen hat. Dabei war das zentrale Ziel, Mitarbeiter*innen des BMFSFJ und seine Zielgruppen zur eigenständigen digitalethischen Reflexion zu befähigen und zu trainieren.

Screenshot von Nicola Sommer und ihrer Präsentation aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nicola Sommer aus dem BMFSFJ

Entstanden ist dabei eine „Reflexionsanleitung zu guten Projekten im digitalen Zeitalter“, die es den Akteur*innen in mehreren Modulen ermöglicht, unterschiedliche Perspektiven zu beleuchten und Maßnahmen zu priorisieren. Das Ministerium nutzt dabei auch das Ethik-Framework der Initiative D21, um ethische Zielkonflikte zu erkennen und aufzulösen. Die Verantwortlichen erhoffen sich von dem modularen Reflexionsprozess, eine gesellschaftspolitische Wirkung auf verschiedenen Ebenen zu erreichen und eine Grundlage für ressortübergreifende digitalethische Diskurse zu schaffen. In einem weiteren denkbaren Schritt können auch externe Stakeholder und Zielgruppen, wie zum Beispiel Pflegeeinrichtungen oder zivilgesellschaftliche Organisationen der digitalethischen Szene, von der Anleitung profitieren, diese anpassen und anwenden.

Das Synthesekonzept der Bundesagentur für Arbeit für Unternehmen

Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) beschäftigt sich intensiv mit digitalethischen Fragestellungen und hat mit einem Synthesekonzept sechs Kernelemente identifiziert, die in ihrem Zusammenwirken zur Verankerung einer Datenethik in Unternehmen notwendig sind. Das Konzept, so Alina Lorenz von der Bundesagentur für Arbeit, soll dabei eine Grundlage für ethische Diskussionen bieten und Spielraum für individuelle Anpassungen beinhalten. Mithilfe ethischer Leitlinien unterschiedlicher Expert*innengruppen und -Kommissionen, einem Konzept für ethische Sensibilisierung mit Maßnahmen zur datenethischen Reflexion sowie einer ethischen Risikobewertung und Kriterienkatalog bis hin zu organisatorischen Strukturen und der letztendlichen Verankerung des Vorgehens in etablierte Prozesse, soll eine wissenschaftliche Methode zur Risikobewertung entstehen und auf bereits entstandenen Prozessen aufbauen.

Screenshot von Alina Lorenz und ihrer Präsentation von der Bundesagentur für Arbeit
Alina Lorenz von der Bundesagentur für Arbeit

Die größte Hürde sieht die Bundesagentur für Arbeit in der ethischen Sensibilisierung, da sich die Informatik beispielsweise mit ganz anderen Fragestellungen beschäftigt als die Ethik. Die BA plädiert daher dafür, diese Disziplinen zusammenzuführen und in Universitäten Ethik-Kurse für Informatik-Studierende anzubieten, um bereits früh ein Verständnis zu entwickeln.

Die beiden vorgestellten Reflexionsprozesse stießen bei den AG-Teilnehmer*innen auf positive Resonanz und werden uns im kommenden Jahr als Grundlage für weitere Diskussionen und Ausarbeitungen dienen.

Ansprechpartner*innen in der Geschäftsstelle

Porträt von Dr. Marie Blachetta

Dr. Marie Blachetta, Referentin Digital Responsibility

Porträt von Alexander Köhler